In knapp mehr als einer Woche, am 27. April 2025, findet die Wahl in Wien statt. Da die Bundeshauptstadt auch gleichzeitig eines der neun Bundesländer ist, sind Gemeinderat und Landtag praktisch ident – von den Mandatar:innen her, nicht von den Vorsitzenden. Gewählt werden nicht nur die Gemeinderät:innen = Landtagsabgeordnete über die bei der Wahl antretenden Parteien samt Möglichkeit, Kandidat:innen mit Vorzugsstimmen auszustatten, sondern auch die 23 Bezirksvertretungen. Für letztere sind auch die rund 265.000 Bürger:innen aus den anderen 26 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wahlberechtigt. Was der 19-jährige Maturant Witold (polnischer Staatsbürger) vor kanpp einem Monat in einem Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… „nur eine halbe Sache“ nannte „wenn ich nicht darüber mitbestimmen darf, wer in Wien Bürgermeister wird.“
Weder da noch dort wahlbrechtigt sind mehr als ein Drittel der Wiener:innen, die keinen österreichischen bzw. EU-Pass haben. Unter den jüngsten und jungen Bewohner:innen Wiens sind es gar 44 Prozent (16 bis 30-jährige) bzw. fast die Hälfte (46 Prozent bei den 31- bis 44-Jährigen), die oft jahr(zehnt)elang hier leben, oft schon hier geboren sind, aber nicht ihre Stimme abgeben dürfen.
Im Vorjahr lebten mehr als die Hälfte (55 Prozent) jener Wiener:innen ab 16 Jahren (Wahlalter), die nicht wahlberechtigt sind, schon mindesten zehn 10 Jahre in Wien. Elf Prozent der bei der Wiener Gemeinderatswahl 2025 nicht wahlberechtigten 16 bis 30-Jährigen sind in Österreich geboren.
Yurdanur und Monsef – zwei Jugendliche, die das betrifft, kamen wie der oben schon zitierte Witold in Interviews auf dieser Seite hier vor als die Wiener Jugendzentren in einem Mediengespräch auf diese demokratiepolitische große Lücke und Ungerechtigkeit für die Betroffenen hinwies – alle diese Beiträge am Ende dieses Artikels verlinkt. In dem Überblicksartikel dazu sagen auch Expert:innen, dass Österreich eine der allerhöchsten Hürden beim Zugang zur Staatsbürger:innenschaft haben!
In einer Aussendung am Gründonnerstag werden Vizebürgermeisterin und Integrationsstadträtin Bettina Emmerling sowie der für Umwelt, aber auch die Wahlen zuständige Stadtrat Jürgen Czernohorszky zitiert, die auf eine „kleine Wahlhilfe“ in einigen EU-Sprachen – der sieben größten Zuwanderungsgruppen – neben jenen aus Deutschland: Bulgarisch, Italienisch, Kroatisch, Polnisch, Rumänisch, Slowakisch und Ungarisch. Zusätzlich findet sich die „kleine Wiener Wahlhilfe“ auf der entsprechenden Rathaus-Website – Link in der Info-Box am Ende des Beitrages – auch auf Englisch für wohl alle anderen zugewanderten EU-Bürger:innen sowie auch in einer (deutschsprachigen) „Leicht lesen“-Version.
Die oben zitierten Fakten über die nicht-wahlberechtigten Wiener:innen finden sich übrigens ebenfalls auf einer Stadt-Wien-Site, wurden – abgesehen vom einfachen Link (ebenfalls in der Info-Box) – in der Aussendung „verschämt“ verschwiegen.
Weil immer mehr Bürger:innen in Österreich, in diesem Fall in Wien, ihre Stimme nicht abgeben können, organisierten zivilgesellschaftliche Organisationen seit vielen Jahren „Pass Egal Wahlen“ in Vereinen und Einrichtungen – u.a. in der Kinderinfo im Wiener MuseumsQuartier und an einigen Schulen – Link zur Liste in der Info-Box Ende des Beitrages.
Erstmals machen Würstelstände als Wahllokale mit – Motto: „Gib deinen Senf dazu“ (21. und 22. April 2025):an fünf Wiener Würstelständen gewählt werden.
Außerdem gibt es am 22. April 2025 um 19 Uhr – in Kooperation mit dem Stadtkino – ein exklusives Screening des Films „Noch lange keine Lipizzaner“ (über den extrem hürdenreichen Weg zur österreichischen Staatsbürgerschaft und zum Wahlrecht) der Regisseurin Olga Kosanović mit anschließendem Publikumsgespräch.
Als Höhepunkt und Abschluss der Wiener Pass Egal Wahl veranstaltet SOS Mitmensch am Mittwoch, 23. April 2025, von 15 bis 20 Uhr am Yppenplatz ein großes Demokratiefest. Anschließend werden die Stimmen aus dieser Wahl, bei denen Staatsbürgerschaft keine Rolle spielt, ausgezählt und bekanntgegeben. Die Links zu diesen Events ebenfalls in der Info-Box am Ende des Beitrages.
„Das ist wie wenn du als Kind auf den Spielplatz gehst, aber nur zuschauen und nicht (mit-)spielen darfst!“ So brachte Ahmad, einer von fünf Jugendlichen es auf den Punkt, dass rund vier von zehn 16- bis 24-Jährigen bei der kommenden Wien-Wahl (27. April 2025) nicht mitbestimmen darf.
Witold, polnischer Staatsbürger, darf als Bürger der Europäischen Union zwar die Bezirksvertretung mitwählen ebenso wie im Vorjahr die österreichischen Abgeordneten zum EU-Parlament, „aber über Gemeinderat und damit auch den Wiener Bürgermeister darf ich nicht mitbestimmen!“
Yurdanur musste darüber hinaus schon früher ihren ersten Berufswunsch kübeln.
Fünf Jugendliche – die schon genannten und dazu noch Yurdanur, Daniel und Monsef (Einzelinterviews mit diesen drei in eigenen, unten verlinkten, Beiträgen) sowie die Geschäftsführerin des Vereins Wiener Jugendzentren (JuZ), Manuela Smertnik und der Politikwissenschafter mit Expertise für Staatsbürgerschafts- und Wahlrecht, Gerd Valchars, luden eineinhalb Monate vor der Wien-Wahl zu einem Mediengespräch in den Jugendtreff J.at am Volkertmarkt in der Leopoldstadt (2. Bezirk).
Der Politologe präsentierte einige bemerkens- und bedenkenswerte Fakten: Während die Wiener Bevölkerung im Wahlalter (ab 16 Jahren) in den vergangenen fünf Jahren um fast 100.000 Menschen (97.503) gewachsen ist, ist der Anteil der Wahlberechtigten um 23.074 Menschen gesunken. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Prozentsatz der – wegen ihrer Staatsbürgerschaft – nicht wahlberechtigten Wiener:innen gar verdoppelt (von 17,5 auf 35,4 %). „Und das sind heuer 600.000 Menschen – so viel wie Graz, Linz und Klagenfurt oder das Bundesland Salzburg insgesamt an Einwohner:innen hat“, stellte der Wissenschafter fest.
Außerdem komme es zu einer zunehmenden Verzerrung zwischen Bevölkerung und Wahlberechtigten. So stellen die 16- bis 44-Jährigen zwar die Hälfte der Einwohner:innen Wiens, aber nur 43 Prozent der Wahlberechtigten, hingegen die Ü-60 ein Drittel der Wahlberechtigten, aber nur knapp mehr als ein Viertel (27%) der Bewohner:innen. Lücken tun sich auch in Sachen Einkommen und anderer Parameter zwischen Bevölkerung und Wähler:innen auf.
Obendrein habe Österreich einer Studie zufolge eines der einschränkendsten Staatsbürgerschaftsrechte, „nur die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudiarabien haben einen noch restriktiveren Zugang“. In der Europäischen Union liegt die durchschnittliche Einbürgerungsrate bei 2,6 Prozent, in Deutschland bei 1,5 % und in Österreich bei 0,7%. Hohe Einkommenshürden – netto müssen rund 1.100 Euro übrigbleiben nach Abzug von Wohn- und anderen Fixkosten – sowie hohe Gebühren erschweren den Zugang, um rechtlich Österreicherin oder Österreicher zu werden.
Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der Anteil jener, die nicht wählen dürfen, noch höher, so die Wiener JuZ-Chefin. „Bei der Nationalratswahl im Herbst waren es rund 41 Prozent. „In den mehr als drei Dutzend Einrichtungen erleben wir, dass sich viele Jugendliche in ihrem Umfeld engagieren, ob für Umwelt oder soziale Anliegen. Die meisten wachsen den Großteil ihres Lebens hier auf, viele sind schon in Österreich geboren und wollen auch politisch teilhaben.“ Dass sie vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, sei (nicht nur ) für sie frustrierend, ungerecht und damit auch letztlich desintegrierend. Smertnik zitierte einen Jugendlichen, der es so treffend formulierte: „Wir werden künstlich fremdgemacht“. Die Wiener Jugendzentren verstehen sich als „Stimmenverstärker“ auch dieses jugendlichen Wunsches nach Mitbestimmung.
Die Wiener Jugenzentren präsentierten bei diesem Mediengespräch auch ihre neu Plakatkampagne gegen dieses Demokratie-Defizit. Auf einem sind drei gleich Fußbälle, auf zwei anderen jeweils drei gleiche Kopfhörer sowie Spraydosen zu sehen. Jeweils eines der Objekte ist eingeringelt. Darüber steht die Frage: „Siehst du einen Unterschied?“ und am unteren Rand des Plakats die Frage Warum nicht GLEICH? Mit einem Kästchen und einem Kreuzerl wie er von Stimmzetteln bekannt ist.
Vor fünf Jahren war jeder dritte Buchstabe aus einem Plakat entfernt worden, um rund ein Drittel Nicht-Wahlberechtigter optisch einfach hinzuweisen.
warum-duerfen-wir-nicht-waehlen <- damals noch im Kinder-KURIER
gewaehlte-sprecherinnen-wollen-auch-ausserhalb-der-schule-waehlen-duerfen <- auch damals im KiKu
Monsef wählt für das Foto jenes Plakat mit den drei gleichen Fußbällen, von denen einer eingeringelt ist als Symbol für ein Drittel der Wiener Bevölkerung, die vom Wahlrecht ausgeschlossen ist. „Ich liebe Fußball“, beginnt der 20-jährige zu erzählen. „Ich hab bei Hellas Kagran gespielt und dann zu Rapid gewechselt.“ Der beidbeinige Flügelspieler und Stürmer hat drei Jahren HTL in der Ettenreichgasse absolviert und wechselte danach als Elektro-Lehrling zu Wien-Energie. „Dort bin ich jetzt im zweiten Lehrjahr, meine Kolleginnen und Kollegen haben mich zum Jugendvertrauensrat gewählt, auch in der Berufsschule wurde ich Schulsprecher und bin Stellvertreter in der Bundesschülervertretung.“
Schon in Syrien – die Familie flüchtet aus dem total zerstörten Homs zuerst in die Türkei und später nach Österreich, wo Monsef nun seit acht Jahren lebt – war er Klassensprecher, „weil ich mutig bin, offen sage, wenn ich etwas unfair finde und mich gern für andere einsetze“. Das hat er offensichtlich beibehalten, woraus sich die einigermaßen absurde Situation ergibt, dass er von Mitschüler:innen und Kolleg:innen zu ihrem Vertreter bzw. Sprecher gewählt wird, aber selber weder in der Stadt noch in dem Land, in der bzw. dem er lebt, arbeitet und damit auch Steuern zahlt, wählen darf.
Übrigens ist der nicht nur beidbeinig, spielt – nun bei Wien Energie – sowohl am linken als auch am rechten Flügel, sondern auch vielsprachig: Neben Deutsch noch Arabisch, Türkisch, Französisch und von Freunden lern ich noch Russisch und Bosnisch.
Übrigens kamen in dem Beitrag zur Wien-Wahl vor fünf Jahren auch zwei Jugendliche zu Wort, die damals von Mitschüler:innen gewählt wurden, aber selber nicht in der Stadt wahlberechtigt waren – Link zu diesem Artikel damals noch im Kinder-KURIER unten am Ende des Beitrages.
gewaehlte-sprecherinnen-wollen-auch-ausserhalb-der-schule-waehlen-duerfen <- auch damals im KiKu
Witold (19) steht wenige Monate vor seiner Matura in der HLW (Höhere Lehranstalt für wirtscahftliche Berufe) Straßergasse (Döbling, 19. Bezirk), eine der ersten, die sich einen Europa-Schwerpunkt gegeben hatte. „Europa, Wirtschaft, nationale und internationale Sicherheit sind mein Ding“ nennt er im KiJuKU-Gespräch als Themen, die ihn schon lange interessieren und über die er im Familien- und Bekanntenkreis auch oft diskutiert.
Seine (berufliche) Zukunft sieht der eloquente, kämpferische Jugendliche „in der Diplomatie“.
„Dass ich bei der EU- und der Bezirksvertretungswahlen meine Stimme abgeben darf, ist nur eine halbe Sache, wenn ich nicht darüber mitbestimmen darf, wer in Wien Bürgermeister wird.“
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