Im Gegensatz zu seinem echten Dasein verwandelte sich Leo, ein kleiner gelb-weiß gestreifter Vogel in seinen (Tag-)Träumen zu einem Höhenflieger. Hing er im echten Leben schlapp auf einem Zweig, während seine Kolleg:innen hin und herflogen, zwitscherten, sangen, pfiffen, so führten ihn die Bilder im Schlaf zu großen Abenteuern. Den größten für Vögel überhaupt.
Während die (Stuben-)Tiger für die fliegenden Tiere eher als eine der größten Gefahren gelten, träumte Leo davon, ausgerechnet mit Katzen befreundet zu sein. Doch auch für jene Katze, der Leo im Wachzustand seinen Wunsch verklickerte, galt das als „Unverschämtheit… eine ordentliche Katze will doch einen Vogel nicht zum Freund haben. Sondern zum Frühstück!“, schreibt Julian Tapprich in dem auch von ihm illustrierten Bilderbuch „Tigerträume“. Und schon stürzte sie sich auf den Frechdachs.
Doch da zog sie gegen Leo – durch zahlreiche Träume im Umgang mit Katzen geübt – den Kürzeren, verkroch sich in einer Blumenvase. Leo aber konnte den Triumph nicht als solchen genießen, wollte er sie doch als Freundin. In der Wohnung der Katze aber fand er ein offenes Bilderbuch mit Riesenkatzen, die im Dschungel leben – Tigern.
Und so wurde aus dem zuvor meist schlafenden und träumenden Vogel einer der sich in die Lüfte erhob und zu einer weiten Reise ansetzte – mit kurzen Begegnungen mit unterschiedlichsten Tieren, die ihn vor der Gefährlichkeit seines Vorhabens warnten.
Im Dschungel fand er den Tiger zwar bald, aber der wirkte ziemlich grimmig – und einsam, denn kein anderes Tier wagte sich an ihn heran. Leo hingegen hatte keine Angst, näherte sich der gestreiften wilden Großkatze und mutig sagte er ihm: „Ich weiß, ich sehe köstlich aus!“… aber warte einen Moment, friss mich nicht glich, ich bin nämlich ein Vogel, der viele wilde Geschichten und Geheimnisse zu erzählen hat!“
Und wie Scheherazade in Tausendundeine Nacht dem König Schahriyar Geschichte um Geschichte erzählt, so schilderte Leo dem Tiger seine wilden Träume und noch dazu auch solche, die er sich spontan ausdachte.
„Du kennst wirklich die aufregendsten Geschichten, aber ich merke schon, dass du mich nur mit ihnen fütterst, damit ich dich nicht verschlinge!“, brummte der Tiger. Da lockte Leo den Tiger mit der Ankündigung eines Geheimnisses, das nicht einmal dieser mächtige Dschungelbewohner kenne… Das aber wird hier sicher nicht gespoilert.
Vor einem stilisierten Baum und zwei vieleckigen Kisten mit je einem kleinen Loch treffen die beiden aufeinander: Tiger und Löwe. Bevor sie ins Spiel der Bilderbuch-Geschichte „Wenn sich zwei streiten“ eintauchen, lockern die beiden Schauspielerinnen ihr (junges) Publikum mit ein paar kleinen Schmähs auf. In gespielter Konkurrenz wollen sie die Zuschauer:innen begrüßen – „lauter nette Menschen“ – „kannst du doch gar nicht wissen, du kennst sie ja gar nicht“…
Um Konkurrenzkampf dreht sich die Story, die auf dem gleichnamigen Bilderbuch von Britta Sabbag (Text) und Igor Lange (Illustration) aufbaut. Tiger und Löwe meinen, jeweils der Stärkste, Größte und so weiter im Tierreich zu sein. Und das müsse nun sozusagen ausgefochten werden, um klarzustellen, wer es tatsächlich ist.
Das Theater des Kindes in Linz hat auf der Basis des Buches eine Bühnenversion erarbeitet. Regisseur Harald Bodingbauer hat eine Stückfassung getextet, die sich sehr nahe am Original bewegt. Das teils tänzerische (Choreografie: Jasmin Shahali) Spiel der beiden Akteurinnen bringt aber noch eine zusätzliche Ebene ins Geschehen. Immer wieder brechen sie die Bewerbe um die Vormachtstellung mit mindestens einem Schuss (Selbst-)Ironie. Die beginnt schon damit, dass beide zunächst ihre Schwänze (Kostüme: Elke Gattinger) gar nicht am Popo haben, sondern erst aus den Kisten holen müssen und dann zunächst sogar vertauschen.
Ob Stärke, Sprungkraft, Balancierkunst – mal legt Lena Matthews-Noske als Tiger vor und Katharina Schraml als Löwe muss und wird ausgleichen, dann wieder muss Tiger versuchen, die gleiche Leistung zu erbringen wie Löwe. Übrigens ist es für Schraml nicht ihr erster Löwe, einen solchen spielte sie auch schon in „Konferenz der Tiere – ihre helle gelockte Haarpracht prädestiniert sie schon rein optisch dafür.
Bei der Premiere Freitagvormittag (18. Oktober 2024) begannen die meisten Kinder sich wie bei einem sportlichen Wettkampf auf eine Seite zu schlagen und eine der beiden Raubkatzen anzufeuern – welche, das sei hier nicht verraten, um nicht eventuell einen Nachahmungseffekt für spätere Vorstellungen auszulösen. Aber trotz dessen beklatschten (fast) alle stets die jeweilige Akteurin, wenn sie ihre Herausforderung bewältigte.
Je länger das Kräfte- und Stärkemessen dauert, umso öfter kommt es – natürlich nicht zufällig – vor, dass Tiger und Löwe (mitunter scheinbar unfreiwillig) einander helfen. Und natürlich kommen sie auf kein wirkliches Ergebnis: Immer gleich stark, schnell, geschickt… Aber statt eines Unentschiedens kommt’s zu einer riesigen kleinen Überraschung. Nein, gespoilert wird hier wie auch schon bei der Buchbesprechung (Link unten) nicht; lass dich überraschen 😉
Eines sei aber schon verraten: Die mit wenigen Mitteln auskommende und doch so weite Welten eröffnende Bühne wurde von Franz Flieger Stögner erdacht und gebaut. Er sorgte dieses Mal aber auch gleich noch für die Musik. Seine Überlegung dazu zitiert das Programmheft des Theaters des Kindes so: „Mein erster Gedanke war, Löwe und Tiger mit heißen afrikanischen und indischen Rhythmen zu manifestieren. Aber auch ruhigere Töne aus den beiden Kulturkreisen werden ihren Platz finden. Ich finde es sehr interessant, Kindern diese ethnographischen Musikstile näher zu bringen und ihren musikalischen Horizont abseits des Mainstreams zu erweitern.“ Über die Musik hinaus schuf er allerdings noch eine Geräuschkulisse, die Dschungel, Wind aber auch die Wettkampf-Atmosphäre akustisch erahnen lässt. Für die passenden Lichtstimmungen sorgt Natascha Woldrich.
Auch wenn der Löwe von den Menschen König der Tiere genannt wird, vielleicht finden Tiere selber das ganz anders. Immerhin wurden und werden ja alle Geschichten, in denen auch die Tiere den Löwen für „ihren“ König halten von Menschen geschrieben, gemalt, verfilmt…
Für das Bilderbuch „Wenn zwei sich streiten“ dachte sich die studierte Sprachwissenschafterin, Psychologin und Pädagogin Britta Sabbag aus, dass auch ein Tiger sich erhaben, ja sogar stärker fühlte.
Der Tiger, also jener aus dem Buch, und seine Co-Hauptfigur, der Löwe, hörten voneinander, wollten sich treffen, um dann ein für alle Mal die Vormachtstellung zu klären. Gedacht, aufeinander zu bewegt, dann ging’s los: Sie maßen Stärke, Schnelligkeit, Sprungkraft, diese sowohl in der Weite als auch in der Höhe, Balancieren… Ja, sie checkten obendrein, wer mehr fressen konnte – doch überall gab’s keinen oder eben zwei sozusagen ex aequo-Sieger.
Und das in üppigen Bildern, die Igor Lange malte und zeichnete. Über ihn schreibt der Verlag: „Schon in ganz jungen Jahren malte der kleine Igor auf den Tischen oder Wänden. Eigene Geschichten, Superhelden und Abenteuer sollten es sein. Bloß keine Langeweile. Heute sind es Bücher und keine Wände.“
Nach dem Fress-Duell lagen beide ermattet auf dem Boden. Aber dann… kam alles ganz anders – wie, das sei jetzt hier sicher nicht gespoilert.
Lediglich so viel sei verraten, das Ergebnis war/ ist kein Liger, wie die Kreuzung eines männlichen Löwen und einem weiblichen Tiger genannt wird. Denn es war ja auch keine Tigerin – das wer ist stärker, größer, mächtiger und so weiter ist ja (fast) immer so ein Buben- oder Männerdings.
Achja, eines sei schon noch verraten, das Linzer „Theater des Kindes“ hat aus der Geschichte dieses Bilderbuchs ein Stück gemacht, das ab knapp nach Mitte Oktober zu sehen sein wird und fügte dem Buch- und Stücktitel einen Untertitel hinzu: „Ein tierischer Wettkampf mit einem überraschenden Ausgang“ und dem Hinweis auf das klassische Sprichwort, dessen erste Hälfte „Wenn sich zwei streiten“ ist.
PS: Der Verlag bietet auf seiner Website zum Buch auch pädagogische Begleitmaterial an. Hintergründe, Spielvorschläge und sogar zum Ausdrucken geeignete Masken von Tiger und Löwe, allerdings nicht des überraschenden dritten Tieres. Und kleine Vorsicht: Beim Klick auf „mehr zum Buch“ finden sich „nur“ interessante andere Bücher des Verlags.
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