„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde…“ Mit dem biblischen Schöpfungs-Mythos beginnt die 1¼-stündige Performance „Do you belieeeeve in Life after Love?“ (ausgehend vom ersten Top-10-Hit der US-amerikanischen Rockband Huey Lewis and the News) mit unterschiedlichsten Teilen – witzig-ironischen und brutal-traurigen. Letztere unter anderem aus der Literatur, gespeist durch reale Gewalt gegen Frauen. Kern, der sich durchzieht: Darstellung und Auseinandersetzung mit patriarchalen Verhältnissen (noch zu erleben am Sonntag, 16. März im Dschungel Wien – siehe Info-Box).
Und so rückt die Arbeit der vier vormaligen Studierenden der MUK (Musik- und Kunst-Privatuniversität der Stadt Wien), Hannah Joe Huberty, Paul Clementi, Felix Werner-Tutschku, Leonid Sushon, schon im einleitenden Mythos die erste große Fehlstelle der christlichen Bibel ins Zentrum: Lilith. Die erste Frau, die nach dieser Vorstellung von Gott erschaffen wurde – und dies gleichzeitig mit Adam, dem Manne.
Weil sie auf ihre Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit pochte und sich im nicht unterwerfen wollte, was er gern gehabt hätte, verließ sie das Paradies. Er bettelte Gott um eine neue Frau an und bekam aus einer seiner Rippen Eva.
Spannenderweise steht in der Bibel (Luther-Übersetzung): „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf einen Mann und ein Weib.“ Und nur wenige Seiten später ist dann die Rede davon, dass der Mensch, in dem Fall offenbar aber der Mann, allein war und er eben diese Rippengeburt erledigte.
In die biblische Phase mischt das Quartett (Künstlerische Betreuung: Dora Schneider, Markus Meyer) schon den für große Lacher sorgenden bewussten Versprecher: „Seid furchtbar und mehret euch“ statt fruchtbar.
Es folgt die Persiflage auf TV-Dating-Shows mit männlichen Helden und Frauen, die per Lichtsäulen buzzern samt Animation des Publikums in Sprüche miteinzustimmen. Szenen, die scheinbare männliche Größe durch Lächerlichkeit schrumpfen lassen.
Hier eingebaut ein „Match“ zwischen Marie (der vorherigen Lilith-Darstellerin) und Franz – und den Übergang zu einer Art Hintergrund-Talkshow über dieses Paar, fast zwei Jahrhunderte zurückversetzt – in Georg Büchners Woyzeck, in dem Franz die Ehefrau ersticht. Büchners Romanfragment hatte übrigens ein reales Vorbild mit tatsächlichem Namen Woyzeck; Letzteres zu erwähnen wäre schon gut statt den Autor zu verdächtigen, er hätte in diesem Fragment willkürlich Partei für den Mörder ergriffen.
Von da an wird’s heftig. Auseinandersetzung mit verharmlosenden (medialen) Darstellungen der Ermordung von Frauen mit Begriffen wie Liebesdrama, Tat aus Leidenschaft und ähnlichem bekanntem – und dem entgegenstellend „Femizid“, ermordet, weil Frau und nicht Eigentum oder unterworfen sein wollend… Samt einer rund zehnminütigen Lesung eines Kapitels aus Yvonne Widlers „Heimat bist du toter Töchter“ über die Tirolerin Larissa, die von ihrem – einheimischen – Freund ermordet wurde.
Doch so heftig und gleichzeitig auch niederschmetternd will das Stück das Publikum nicht entlassen. So wird einerseits groß der Schriftzug „Die Scham muss die Seite wechseln“ über die ganze Breite der Bühne projiziert. Es handelt sich um das berühmt gewordene Zitat von Giséle Pelicot rund um den wenige Monate zurückliegenden Prozess gegen ihren Ehemann und Dutzende weitere Männer. In Frankreich hatte er die Ehefrau an Dutzende andere Männer zur Vergewaltigung verkauft. Und mit diesem Spruch, vor allem dieser Haltung kämpfte sie sich aus der Rolle des Opfers in die der moralischen Anklägerin. Die Täter müssen beginnen sich zu schämen, ihr Unrecht einsehen.
Mit einer wieder witzigen Aktion schließen die vier jungen Schauspieler:innen den Bogen zurück zur „Bibel“. In einem Video sind sie zu sehen, wie sie an verschiedensten Orten aus einem Korb heraus Äpfel der Erkenntnis verteilen. Wurden Eva und Adam von Gott aus dem Paradies vertreiben, weil sie die Früchte vom Baum der Erkenntnis aßen, so geht es doch genau darum zu erkennen, wieso Männer aus unterschiedlichsten Machtgelüsten zu Mördern an Frauen werden.
Übrigens platzieren die Spieler:innen am Ende auch im Foyer des Theaterhauses Dschungel Wien
Auf eine – teils intensive – Achterbahn der Gefühle nehmen die Schauspieler:innen vom inklusiven Theater Delphin das Publikum im 1 ¼-stündigen Stück „Jacky“ mit. Was als Hoffnung auf ein besseres Leben für das Mädchen Jacky Antonich, die mit ihrem schwerkranken Vater Josef vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet ist, beginnt, wird zum Albtraum im US-amerikanischen Anwesen der reichen Familie Heiter. Der Hausherr Albert, ein Politiker und Unternehmer mit mehr als zweifelhaften Geschäften, erweist sich als eine Art „Menschenfresser“. Dem letztlich aber das Handwerk gelegt werden kann.
Ausgehend vom Kern des bekannten Märchens „Hans und die Bohnenranke“, schreib Gabriele Weber, Co-Leiterin des Theaters, eine total umgemodelte Version dieser Geschichte, die sie gemeinsam mit dem Co-Leiter Georg Wagner inszenierte (Regie und Produktionsleitung).
Hans tauscht eine Kuh gegen fünf Bohnen. Schlechter Deal würden wohl die meisten meinen. Auch seine Mutter schimpft ihn dafür. Doch die Bohnen lassen urschnell riesige Ranken wachsen mit denen Hans in die Welt von Riesen kommt, in der er Wertvolles mitnehmen kann. Aber auch bedroht ist vom Riesen, der Menschen frisst. Das ist das Märchen von „Hans und die Bohnenranke“ (Jack and the Beanstalk – bekannt geworden in der Version von Joseph Jacobs 1890, aber schon fast ein Jahrhundert zuvor – 1807 – in einer Fassung von Benjamin Tabart veröffentlicht).
Der Kern – scheinbar schlechter Tausch gegen fünf Bohnen – ist der Gleiche. Die Pflanzen ermöglichen das Eintauchen in eine andere Welt – wo die Hauptfigur zu materiellen Gütern kommt, aber bedroht wird „gefressen“ zu werden. In dem Fall wird die lebenslustige, gutgläubige Jacky (verspielt, oft auch tanzend: Evelyn Schonka) von Albert Heiter (Marek Janta im Elektro-Rollstuhl) vergewaltigt. Obendrein droht ihr, in einem Bordell zur Zwangsprostitution eingesetzt zu werden.
Diese Gewalt-Szene, mit wenigen Bewegungen angedeutet, aber vor allem stark gespielten emotionalen Reaktionen, lässt es eisigkalt den Rücken rauf oder/ und runter laufen. Fast unaushaltbar ist eine andere, sehr hautnahe Kampfszene zwischen Jacky und der Haushälterin Maria, die von Zlatoslava Osypova arrogant-machtgeil-tussihaft gespielt wird.
Wirklich wie aus einer anderen Welt wirkt Jackys imaginärer Freund und Helfer Franceso (Reinhard Jadamus). Nur in den entscheidenden Momenten ist er nicht da – damit Ärgstes passieren kann. Folgerichtig darf Jacky auch nicht auf ihre reale Freundin Sarah (resches Spiel: Maria Meitner) hören.
Abgerundet wird das Schauspiel von Herbert Klinghardt als Jackys Vater Josef, Ulli Munsch in der Rolle der wohlhabenden Flüchtlingshelferin Susanne Heiter, die jahrzehntelang bei den Machenschaften ihres Ehemanns offenbar weggeschaut hat, im Alter dann doch die Konsequenz zieht, und sich scheiden lässt und nicht zuletzt dem jahrzehntelang untergebenen „Mädchen für alles“ für Herrn Heiter, dem Prokuristen Friedrich von Arlstein (Roman Kellner). Wobei – ob ohne oder mit Behinderung – jede und jeder der Schauspieler:innen neben dem Zusammenspiel auch jeweils mindestens eine Szene hat, in der sie / er sozusagen im Zentrum steht oder sitzt.
Die Bühne (Bühnenbild, Technik: Georg Wagner) kommt mit wenigen Mitteln aus – genial, wie ein Kastl danke weniger Handgriffe zum Auto wird 😉 Für die passenden Kostüme sorgte Sigrid Dreger.
Vier Frauen und ein Todesfall – das scheint zu Beginn der Bühnenabend zu werden; wenn nicht vorher ins Programmheft hineingelesen worden wäre 😉 Vier in Trauerschwarz gekleidete Frauen – mit roten Hühnerkämmen, die aus einem ineinander verschachtelten „Schlaf“ am Bühnenrand erwachen – finden sich zwischen und auf roten Sesseln, die vor einem Sarg mit Blumenkranz stehen; für die ersten Sitzreihen sind letztere kaum zu sehen ;(
Nachdem Vroni (Pia Zimmermann) detailreich die Hinrichtung eines Huhnes erklärt (am Beginn des zwieten Teils dann eine Schweineschlachtung in ähnlicher Weise), beginnen sich die anderen drei – Marlene (Charlotte Kaiser), Elisabeth (Kaija Ledergerber) und Marianne (Manuela Seidl) – ein bisschen die Mäuler zu zerreißen über einen „Vorfall“, der sich unlängst nach dem Dorffest ereignet haben soll. Laura (Christine Tielkes), der gleich mal das Etikett „Flittchen“ umgehängt wird, soll naja, so direkt will es keine aussprechen, angeblich vergewaltigt worden sein. Aber man hätte ihr anderntags gar nix angemerkt, weder Verletzungsspuren noch Niedergeschlagenheit und so weiter…
Um Machtausübung in Form sexualisierter Gewalt dreht sich „I really liked you Piggyboy“ (Ich mochte dich wirklich, Schweinchen-Bub), einer Eigenproduktion im Theater Forum Schwechat. Satirisch geschrieben von Raoul Eisele, von Regisseurin Rachel Müller mit dem Fünf-Frauen-Schauspiel-Ensemble in eine eigene Fassung geformt, dreht sich der erste Teil darum, wie noch immer Frauen oft von der Öffentlichkeit im Fall von Vergewaltigungen eine Art Mitschuld angedichtet wird – aufreizend angezogen, offenherzig, freizügig. Und nicht akzeptiert wird: Nein heißt einfach Nein! Schluss. Aus. Ende der Debatte.
Heftig jedenfalls. Dann ein krasser Bruch. Vorhang. Ende des ersten Teils. Pause. Eigentlich fast unaushaltbar jetzt so in Pausentratsch überzugehen. Zog es vor, im Saal sitzen zu bleiben.
Und doch gelingt es dem Ensemble und der Inszenierung im zweiten Teil mit einem schrägen Auftritt in pinken großen Muschel-Planschbecken zu Regen- und Gewittergeräuschen einer und dem stilisierten Auto – mit echten Autositzen und Rückbank (Bühnenbild: Barbara Strolz, Werner Ramschak, Daniel Truttmann nach der Raum-Idee der Regisseurin) – in einem Mix aus Satire und bitterem Ernst an Teil eins anzuknüpfen. In einem fast echt wirkenden (inszenierten) Streit geht’s darum, ob nun Laura – im ersten Teil Randfigur, weil nur über sie geredet wurde – nun im Zentrum als jene, die sich selbst zu Wort meldet, aus dem Abend „ein Lehrstück“ machen will und damit der (Spiel-)Witz verloren ginge.
Nein, es solle ein „Ver-Lehr“-Stück werden, das Publikum solle die Chance haben, eingelernte Muster zu verlernen. Laura schildert nicht nur, wie und was passiert war, sondern kämpft auch darum, nicht als das niedergeknüppelte, zu Tode betrübtes Opfer weiterhin durch die Welt rennen zu müssen. Solle sich doch der Täter, ein im Dorf anerkannter beliebter Mann und obendrein Tochter einer der vier Frauen, mit seinem Verhalten auseinandersetzen, mit seiner Übergriffigkeit, dem Nicht-Respektieren gesetzter Grenzen, dem deutlichen mehrmaligen Nein. Und obendrein der mehrfach auch gestellten Frage: Macht dir das wirklich Spaß?
Im Dialog mit dem Quartett bringt dieses die unterschiedlichsten gängigen Ausreden, „Entschuldigungen“, Erklärungen, alte Rollenklischees in satirischem Unterton zur Sprache. Um schließlich ernsthaft Rollen-, aber auch Geschlechterzuschreibungen zu hinterfragen.
So ernst und richtig das Gesagte ist, wird hier das Stück dann doch zu dem, was davor vermieden werden wollte: Belehrung. Da wird zu wenig darauf vertraut, dass das Publikum schon aus dem zuvor Gespielten, selber die entsprechenden, richtigen Schlüsse ziehen kann.
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