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Szenenfoto aus "Idylle und Abgrund" - Auftaktvorstellung beim Visual-Festival 2025

Wenn das Spiel von Kindern durch schrille Pfiffe gestoppt wird

Vier gut einen Meter hohe Gitterkäfige nebeneinander. Darauf mit festem Klebeband fixierte drei Notenpulte. Drei Schauspieler:innen (Markus Rupert, Rita Luksch und Markus Pol) betreten diese Bühne im Theater Spielraum (Wien-Neubau). Sie packen aus einem Netz einen weichen Ball, sechs Kunststoff-Kegel mit kleinen Bällen sowie zwei Kunststoff-Tennisschläger und einen dazugehörige Filzkugel aus und beginnen zu spielen. Die Kegel an der Kante der Käfige in einer Reihe aufgestellt. Die ersten Versuche lassen alle Kegel stehen, erst nach und nach werden immer mehr getroffen. Tennis spielt einer allein mit beiden Schlägern eher gleichsam jonglierend. Der Softball wird bald einmal an die eine oder den anderen im Publikum gespielt. Kommuniziert wird mit Gesten, teils auch Gebärden.

Plötzlich ein schriller Pfiff aus einem Seitengang neben der Bühne. Die Trillerpfeife stoppt das Spiel. Vier Musiker:innen mit Kuhmasken auf dem Kopf (gestaltet von der Künstlerin Burgis Paier; sie gestaltete auch die Bilder der kleinen Ausstellung im Foyer „Die 5 Sinne“)

Laut- und Gebärdensprache

Mit diesem eben beschriebenen Szenario startete am letzten Mai-Abend 2025 das aktuelle, mittlerweile 26. Internationale visuelle Theater-Festival, das vor mehr als einem ¼-Jahrhundert als Gehörlosentheater-Festival von Arbos (Gesellschaft für Musik und Theater) begonnen hatte. Der Abend (noch einmal am 1. Juni gespielt) „Von der Idylle in den Abgrund“ ist Visuelles Theater mit Musik in Bewegung nach den Schicksalen von Alma und Arnold Rosé mit Zitaten von Johann Sebastian Bach, Gustav Mahlers Polyphonie und Hans Krásas Kinderoper „Brundibár“ (Libretto: Adolf Hoffmeister) für Kammerensemble und Gebärdensprache musikalisch bearbeitet von Werner Raditschnig gespielt von den oben schon genannten Schauspieler:innen und in späteren Szenen zusätzlich von Werner Mössler, einem der wenigen gehörlosen Schauspieler in Österreich, der auch international immer wieder angefragt wird und für die Übersetzung der Texte in Österreichische Gebärdensprache gesorgt hatte. Außerdem ist Markus Pol ein CoDA (Kind gehörloser Eltern).

Brundibár

Produziert und inszeniert wird das Projekt von Herbert Gantschacher, der sich mit dem Thema künstlerisch und musikalisch seit 1978 auseinandersetzt, die österreichische Erstaufführung von Hans Krásas Kinderoper am 8.Mai 1995 produzierte und inszenierte. Die von Krása komponierte Oper (1938) konnte nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitler-Deutschland damals nicht mehr aufgeführt werden. Nach und nach landeten er sowie Kinder eines Waisenhauses, die spielen und singen hätten wollen / sollen, im Konzentrationslager Theresienstadt, wo es unter den Lagerbedingungen letztlich doch zwei Vorstellungen gab. Die Käfige auf der Bühne stellen hier den symbolischen Bezug her.

Mahlers

Alma Rosé war Gustav Mahlers Nichte, der Konzertmeister der Wiener Philharmoniker Arnold Rosé hatte Mahlers Schwester in der Idylle am Wörthersee kennengelernt. Für die Nazis war Mahler der Ahnherr der „Entarteten Musik“. Die Cellistin des Frauenorchesters von Auschwitz‐Birkenau, Anita Lasker‐Wallfisch, hatte Alma Rosés Schicksal als Leiterin des Frauenorchesters treffend charakterisiert: „An der Wiege stand Gustav Mahler, an der Bahre Josef Mengele“. Daher bewegt sich das Projekt zwischen der Idylle des Wörthersees bis zum Abgrund nach Auschwitz‐Birkenau.

Das Festival Visual läuft noch bis 6. Juni im schon genannten Theater Spielraum in der Wiener Kaiserstraße – Links in der Info-Box am Ende des Beitrages.

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Szenenfoto aus "Friede den Hütten! Krieg den Palästen" - visuelles Musiktheater von ARBOS

Georg Büchners „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ mit Musik und Gebärdensprache

Die 718.373 Einwohner:innen des Großherzogtums Hessen mussten insgesamt 6 Millionen und 363.363 Gulden an direkten und indirekten Steuern, Strafen und anderem zahlen. Und wurden mit einem Gutteil dieses Geldes unterdrückt. Das und so manch anderes in Sachen Herr-schaft der Fürsten über das Volk prangerte der berühmte Dichter Georg Büchner (1813 – 1837; u.a. „Leonce und Lena“, „Woyzeck“; „Dantons Tod“) in seiner „Flugschrift „Der Hesssiche Landbote“ an.

In der Kampfschrift rief er die Bürger:innen dazu auf, sich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen und für Demokratie zu kämpfen. Daraufhin wurde er steckbrieflich gesucht und musste aus dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt flüchten – nach Straßburg.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Friede den Hütten! Krieg den Palästen“ – visuelles Musiktheater von ARBOS

Der bekannteste Spruch aus diesen rund zehn Seiten hat sich bald danach verselbstständigt, kaum wer weiß, dass „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ aus diesem kurzen Werk Büchners stammt. Und obwohl fast 200 Jahre alt finden sich so manch aktuelle Anklänge. Fällt einem beim Satz „Ihr seid wie die Heiden, die das Krokodil anbeten, von dem sie zerrissen werden“ nicht ein, wie es sein kann, dass Massen rechtsextreme Populisten wählen, die mindestens einen Tag Diktator sein wollen?

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Friede den Hütten! Krieg den Palästen“ – visuelles Musiktheater von ARBOS

Visuelle Musik

„ARBOS – Gesellschaft für Musik und Theater“ machte aus dem gesamten „Landboten“-Text eine rund eineinhalbstündige visuelle, musikalische Performance mit der das aktuelle, 25. Visual-Festival am Wochenende im Wiener Theater Spielraum eröffnet wurde.

In der hintersten Bühnenreihe sitzen die Musiker:innen Thomas Trsek (Violine), Gregor Narnhofer (Klarinette, Saxophon, Bassklarinette), Bojana Foinidis (Akkordeon) und  Adi Schober (Schlagwerk). Sie entlocken ihren Instrumenten nicht nur bekannte Töne. Auch Winseln, Wehklagen oder Schnaufen erzeugen die Musiker:innen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Friede den Hütten! Krieg den Palästen“ – visuelles Musiktheater von ARBOS

Vor ihnen warten vier Schauspieler:innen – Markus Rupert, Werner Mössler, Markus Pol, Rita Luksch – auf ihre Einsätze. Dazu erheben sie sich und treten an das Notenpult im Vordergrund. Georg Büchners Text sagen sie in Österreichischer Gebärdensprache. Abschnittsweise wiederholt Alfred Aichholzer die jeweiligen Textpassagen in deutscher Lautsprache, wobei er jeweils zu Beginn und am Ende auf eine Riesentrommel schlägt.

Komponiert haben die Musik, die nicht nur zu hören, sondern auch stark zu sehen ist, Werner Raditschnig und Herbert Gantschacher, der auch Regie führte. Und der „Vater“ von Arbos ist, das „Visual“ veranstaltet, das in den ersten Jahren noch Gehörlosentheaterfestival hieß.

Das Festival – mit Vormittagsvorstellungen für Schüler:innen und Abendvorstellungen – läuft noch bis 17. Mai 2024 – Details zu allen Aufführungen, Performances und einer Stationenwanderung in der Infobox unten.

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Weitere Fotos aus dem Büchner-Stück

Fotos aus weiteren Stücken des Festivals