„Mit freundlichen Grüßen eure Pandora“ im Wiener Kosmos Theater nimmt Macho-Herrschaft in unterschiedlichster Form aufs Korn.
„Endlich sind wir aus den geschlossenen in die öffentlichen Räume umgezogen…“ in weißen mozartesken Perücken und höfischen Roben begrüßen die fünf Schauspieler:innen via Video das Publikum zur 1 ¼ -stündigen Performance „Mit freundlichen Grüßen eure Pandora“ (von Laura Naumann, Teil des feministischen Performance-Kollektivs Henrike Igelsias, Regie: Paul Spittler). Diese ersten drei Minuten können auch auf dem Video-Trailer – Link unten – als Einstimmung oder zum Nach-Sehen zu Gemüte geführt werden.
Riesige Theaterrauch-Nebel und der Reihe nach tauchen die Protagonist:innen aus dem Video live auf der Bühne auf. In viele kleine Szenen – eingebettet in eine Rahmenhandlung, die sich nach und nach erschließt, nehmen sie mal schräg-witzig, dann wieder sehr ernst, mal szenisch spielend, dann wieder fast choral deklamierend, mal schrill und laut, später leise und nachdenklich die Herrschaft des Patriarchats aufs Korn, demaskieren alltäglichen Sexismus, aber auch die Grundstruktur ungerechter (Geschlechter-)Verhältnisse. Samt einer extremen Utopie der Abschaffung von Männern.
„Dann gibt’s nur mehr Xe“, wie Maria Hofstätter als zunächst verstörende, sich ständig überall kratzende Frau, die einer dunklen Teichfolie mit ein wenig Schilf an Rändern entstiegen ist, es auf den Punkt bringt, keine Y-Chromosomen-Menschen mehr. Wobei sie mit ihrem Kratzen, Spucken, Rotzen „nebenbei“ so etwas wie die Karikatur eines Klischee-Machos ausspielt. Im Kern – auch das entpuppt sie Szenen für Szene – ist sie eine Figur aus uralten Zeiten, ewige Wiedergeburt, aber eigentlich „Baubo“. Diese ist eine anatolische, von den Griech:innen übernommene Göttin, die Demeter (griechische Göttin des Ackerbaus) als einzige zum Lachen und zur Lebensfreude zurückbringt. Demeter war nach der Entführung ihrer Tochter Persephone aus Verzweiflung in die Unterwelt (= Tod) gegangen.
Eva Robinson (Sonja Romei) forscht geheim an pluripotenten Stammzellen – die sich in alle möglichen Zellen verwandeln lassen (und bei denen es kaum, jedenfalls deutlich weniger ethische Bedenken gib als bei embryonalen Stammzellen). Mit deren Hilfe will sie Zeugung von Babys unabhängig von Männern machen.
Obwohl die davon – und auch von der Beziehung ihrer Mutter zu der von ihr bewunderten, ja angehimmelten weltberühmten Sängerin Joanne mit 20 Millionen Follower:innen (Christina Scherrer) – nichts weiß, kommt sie damit ihrer Tochter Valeria (Lara Sienczak) viel näher. „Vally“ thematisiert spielerisch eine pubertierende Jugendliche, die zwar erwachsen, aber keine Frau werden will – wegen der Zuschreibungen und sexistischen Anfeindungen bzw. Verhaltensregeln, die sie überall ortet und die noch immer nicht überwunden sind. Aus allen Wolken fällt sie nur, als sie von der Beziehung ihrer Mutter zu Joanne erfährt, die für sie mit ihren starken Auftritten und Songtexten „die Rettung“ war und ist.
Was diese übrigens auch für Valerias Freundin, Salome (Elena Wolff) ist. They/ sie* sitzt im Brot-Job hinter der Kassa eines Supermarkts, ist ansonsten aber Star in den Discos – samt negativer sexistischer Reaktionen.
Erscheint allen fünf Eva Robinsons Erfindung zur Abschaffung von Männern zunächst als DER Game-Changer in Sachen Sexismuw, so kommen doch rasch Bedenken grundsätzlicher Natur wie Genozid und Biologismus, als wäre Patriarchat und Unterdrückung eine Frage des biologischen Geschlechts und nicht eine der Sozialisation und ließen sich nicht durch Kampf um Gleichberechtigung verändern. Außerdem „ist eine Vulva keine Friedenstaube“.
Aber, so der Schluss-Appell des Quintetts als Aufzählung viele kleiner und großer Wünsche, wollen sie einfach nur sie selbst sein dürfen, ohne aufgezwungene Zuschreibungen. Sehnsüchtige Forderungen an die Hoffnung auf eine gleichberechtigte Zukunft, egal ob Frau, Mann, noch-binär oder was auch immer, einfach Mensch sein dürfen, runden den kurzweiligen Abend im Wiener Kosmos-Theater ab.
von Laura Naumann; die letzte Szene „Wie ich Autorin meiner eigenen Geschichte wurde“ wurde mit einem Textbeitrag von Elena Wolff erweitert.
Inszenierung: Paul Spittler
Es spielen:
Frau aus dem dunklen Teich, Göttin Baubo: Maria Hofstätter
Wissenschafterin Eva Robinson: Sonja Romei
Live- und Video-Musikstar Joanne: Christina Scherrer
Valeria, Robinsons Tochter: Lara Sienczak
Salome, Supermarktkassierin und Dancing Queen, Valerias beste Freundin: Elena Wolff
Ausstattung/Video: Larissa Kramarek
Musik: Johannes Kerschbaummayr
Regieassistenz: Juri Zanger
Mitarbeit Ausstattung: Nina Samadi
Aufführungsrechte: Rowohlt Theaterverlag, Hamburg
Bis 29. Jänner 2022
Kosmos Theater Wien: 1070, Siebensterngasse 42
Telefon: 01 523 12 26
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