„Wir alle für immer zusammen“ nach der erfolgreichen Buchserie Guus Kuijers über Polleke.
Weich und doch können sie zur Munition werden – vielleicht stehen die Dutzenden bunten Pölster für das was sich im und rund um das Leben der elfjährigen Hauptfigur abspielt. Knapp nach Beginn des Stücks „Wir alle für immer zusammen“ in St. Pölten – erst in der Bühne im Hof, im April dann im Landestheater selbst – öffnen die beiden Schauspielerinnen eine riesige hölzerne Kiste, aus der die Kissen purzeln – und mit ihnen ihr Kollege.
Das Stück baut auf der Buchserie des niederländischen Erfolgsautors Guus Kujier (u.a. mit dem Astrid-Gedächtnis-Preis ausgezeichnet) über die elfjährige Polleke auf, deren erste Bände vor 20 Jahren erschienen sind. Dieses Mädchen wird von Marthe Lola Deutschmann verkörpert. Sie ist damit die einzige auf der Bühne, die die ganze Stunde ein- und dieselbe Person sein darf/muss.
Scharmien Zandi switcht von dem eben genannten Mimun zu Pollekes Mutter, Oma, Papas neuneuer Freundin Diana und nicht zuletzt einem von zwei Gefängniswärtern. Und sie hat die – live gespielte – Musik komponiert und rockt mit E-Gitarre die Bühne. Der aus der Kiste gepurzelte Philip Leonhard Kelz gibt Vater Spiek, seine neue Freundin Sina, aber auch Lehrer Walter, Schulfreundin Caro, den Opa und einen zweiten Gefängniswärter. Jeweils klitzekleine Veränderungen an der Kleidung und größere an Bewegung und Sprachfärbung und schon verwandeln sie sich in Sekundenbruchteilen von der einen in eine andere der Figuren.
Viel Wandlungsfähigkeit braucht aber auch die genannte Darstellerin der Hauptfigur. Denn Polleke schleudert’s ganz schön hin und her. Gleich zu Beginn ist sie damit konfrontiert, dass ihr Freund Mimun lapidar mitteilt: „Ich geh nicht mehr mit dir“. Seine Eltern seien gegen diese Beziehung, weil Polleke Dichterin werden will, und das würde sich nicht mit ihrer Kultur vereinbaren lassen. Worauf die Elfjährige einen rassistischen Auszucker kriegt. Worauf die Mutter in die Schule vorgeladen wird und das Schicksal seinen Lauf nimmt – der Lehrer verliebt sich in die Mama Pollekes, die die Zuneigung erwidert, was die Tochter urpeinlich findet.
Die Beziehung zu ihrem Vater („SUP – Super Unnormaler Papa“) ist eine innige und liebevolle, aber kompliziert, weil er immer große davon redet, selber dichten zu wollen, aber … und außerdem mit Drogen dealt, was ihn ins Gefängnis bringt. So zerbröseln rund um die Elfjährige so ziemlich alle Stützen und Pfeiler. Ziemlich viele Gründe für Wut – und die lässt sie ungebremst raus. Genau das gefiel Regisseurin Jana Vetten an Guus Kujiers Zeichnung der Polleke, ein Mädchen, das ihre Wut nicht in sich reinfrisst, runterschluckt, sondern ehrlich und offen rausschleudert, was ihr gegen den Strich geht. Auch wenn sie schon einsieht, dass die rassistische Beleidigung Mimuns und seiner Kultur nicht okay war.
Polleke findet lediglich bei den Großeltern findet Geborgenheit – und da vor allem bei einer Kuh, die nun ein Kalb auf die Welt bringt. Est vor wenigen Jahren hatte das Mädchen diese Mutterkuh als sie noch ein Kalb war, mit der Flasche gesäugt. Hier ruht sie in sich, ist fröhlich – womit die Schauspielerin auch positive Gefühle erleben und spielen darf. Ob der Autor sich dabei davon leiten ließ, dass er selbst, nachdem er als Autor erfolgreich geworden war, den Lehrer-Job schmiss und mit Ehefrau und drei Kindern auf einem Bauernhof lebt?
Das Trio liefert eine flotte, trotz der vielen – vielleicht ein bisschen zu vielen – angerissenen Probleme der Heranwachsenden immer wieder auch vergnügliche, humorvolle, sehr rhythmische Theaterstunde. In dieser spielen die ständig präsenten Kissen (Bühne und Kostüme: Camilla Hägebarth) eine unübersehbare Rolle. Nicht selten wird aus den kuscheligen Objekten auch Munition für die eine oder andere Polsterschlacht.
von Guus Kuijer
Für die Bühne bearbeitet von Philippe Besson und Andreas Steudtner nach der
Übersetzung ins Deutsche von Sylke Hachmeister
Knapp über eine Stunde
Inszenierung: Jana Vetten
Es spielen:
Polleke: Marthe Lola Deutschmann
Mimun, Pollekes (Ex-)Freund/ Mutter/ Oma/ Diana/ anderer Schüler/ ein Gefängniswärter: Scharmien Zandi
Lehrer Walter/ Freundin Caro/ Vater Spiek/ Sina/ Opa/ ein Gefängniswärter: Philip Leonhard Kelz
Bühne und Kostüme: Camilla Hägebarth
Musik – Komposition und viel Live-E-Gitarre: Scharmien Zandi
Dramaturgie: Thorben Meißner, Ludwig zur Hörst
Regie-assistenz: Lisa Stelley
Soufflage: Pierre Balazs
Inspizien: Paul Goga
Aufführungsrechte: Verlag für Kindertheater, Weitendorf
Wann & wo?
7. April und 3. Mai 2022, 10.30 Uhr
29. April 2022; 10 Uhr
Landestheater, 3100 St. Pölten; Rathausplatz 19
Telefon: 0 2742 90 80 80 600