Keynote-Redevon Mojtaba R. Tavakoli, Vorstands- und Gründungsmitglied von IGASUS (Interessengemeinschaft der afghanischen Schüler:innen und Studierenden) und PhD-Kandidat am IST (Institute of Science and Technology) Austria.
Die IGASUS-Zeremonie ist ein Anlass, um neben den Erfolgen der Community im Bildungsbereich auch die Errungenschaften im ökonomischen Bereich zu zelebrieren, und um die Menschen zu ermutigen und Ihnen zu versichern, dass unser gemeinsamer Weg, nämlich „der Weg der Bildung“ uns eine aussichtsreiche Zukunft bescheren wird.
Heute zelebrieren wir 60 Absolvent:innen, mit einem beachtlichen Frauenanteil von 60%. IGASUS ist 2015 mit der Vision gegründet worden, um genau diese Talente und Köpfe für den Fortschritt der Gemeinschaft zu bündeln. Eine Plattform bilden, die den Raum für einen konstruktiven, kritischen und sachlichen Austausch schafft, in dem wir Fehler machen, aus ihnen und voneinander lernen, und gemeinsam wachsen.
Der Weg zu den Erfolgen war gewiss nicht ein einfacher! Um am jetzigen Punkt aufrecht zu stehen, haben wir viele Hürden überwunden, vor allem politische:
Bestimmt erinnern wir uns an die Flüchtlingswelle 2015/2016, als die Züge mit Kindern, Frauen und Männern in Bahnhöfen ankamen, die aus Angst um ihr Leben ihre Heimat verließen und zwangsläufig flüchten mussten.
Wir erinnern uns auch bestimmt an die Hunderten von Menschen, die zur Hilfe eilten. Persönlich kann ich mich sehr lebhaft an das sonnige Gefühl erinnern, welches ich tief in mir spürte: vor lauter Freude weinte und sagte mir, DIESES Land liebe ich, und diese Menschen. Dies ist eine Gesellschaft, der ich sehr gerne angehören möchte!
Die afghanische Community sah es ebenfalls als ihre Pflicht, den Menschen zur Hilfe zu eilen: Wir kochten zuhause und verteilten das Essen an die Unterkünfte, sammelten Geld und stellten es den Organisationen zur Verfügung und dienten als Brücke zwischen den Behörden und den Neu-Ankömmlingen, mit der Vielfalt der Sprachen und Kultur die wir in uns tragen. Viele schöne Erinnerungen und Freundschaften sind entstanden; eine Bereicherung fürs Leben!
Geschätzte Gäste,
die afghanische Community war bis zu diesem Zeitpunkt medial kaum präsent. Dennoch waren wir als Community um das friedliche Miteinander in der Gesellschaft stets bemüht. Hier und da gab es Menschen, die aus der Reihe tanzten, wie in jeder anderen Gesellschaft.
Vielleicht sagt uns allen hier der Begriff „Ballhausplatz“ etwas. Für manche steht es als ein Regierungsviertel, für manche andere als ein touristischer Ort. Die meisten in der afghanischen Community assoziieren es mit dem „Projekt Ballhausplatz“. Jenes Projekt, das die gesamte Republik auf den Kopf gestellt hat, dessen Konsequenzen wir noch lange spüren werden. Das Projekt hat der afghanischen Community Ihre Zuversicht, Zukunft und Mut geraubt und bei allen eine tiefe Narbe hinterlassen.
Innerhalb der Community löste dieses Projekt eine Phase der kollektiven Depression, und ihr gegenüber Diskriminierung und Hass in der Gesellschaft aus: in Hörsälen auf den Universitäten haben die Professor:innen, die Afghanen als Paradebeispiel für Gewalttaten herangezogen, an Arbeitsplätzen, als frauenverachtend. Wir wurden zum Spielball der politischen Kräfte.
Und trotz all dieser Phasen haben wir uns heute hier versammelt um betont und laut das Gegenteil zu demonstrieren.
Wir haben aus dieser Zeit zwei Lehren gezogen:
1) Wir sind eine resiliente Community: 40 Jahre Krieg, fern von der Heimat, in einem Land, das wir gerade begonnen hatten zu lieben, wurden wir moralisch und psychologisch erniedrigt. Trotzdem lächeln wir immer noch und schauen fokussiert in die Zukunft.
2) Die Community hat ein politisches Potenzial: mit 36.000 im Jahr 2017, haben wir ungewollt eine Wahl zu Gunsten einer politischen Partei entschieden. Was würden wir heute, mit 45.000 und fast 6000 Stimmberechtigten, davon 45% in Wien, erreichen, wenn wir es überlegt und strategisch anlegen?
Wir sind der überzeugten Auffassung, dass die Zukunft durch Visionen getrieben wird. Visionen, die wandlungs-, und anpassungsfähig sind, die Interessen einer Gesellschaft reflektieren und einem Ziel dienen: Dem Wohl der Gemeinschaft und ihren Menschen!
Mit dem heutigen Tag, meine Damen und Herren, leiten wir eine neue Phase für die afghanische Community ein und freuen uns sehr, Ihnen die „Vision 2030: Vorwärts für Österreich“ vorzustellen.
Vision 2030 basiert auf Bildung als zentraler Maßnahme und fokussiert sich auf zwei Themen: Wirtschaft und Politik. Wir schreiben uns vor, mit Vision 2030 das Selbstbewusstsein der afghanischen Community zu stärken damit sie in Wirtschaft und Politik auf langfristige Sicht selbstständiger agieren. Alle Ziele im Einklang mit der Verfassung und im Interesse von Österreich, unsere Heimat!
Geschätze Verterter:Innen aus der Wirtschaft,
mit 45.000 Menschen ist die afghanische Community die zweitgrößte Gruppe Asiat:innen in Österreich, davon 68% jünger als 29 Jahre. Mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahre, ist die Community die Jüngste in Österreich. Damit bieten wir ein enormes Humankapital an. Nur um Ihnen das zu veranschaulichen: Wir haben heute ehemaligen Absolvent:innen unter uns, die ihr eigenes Unternehmen leiten: Sohela Tavakoli, Sarah Noori, Sara Mozgan Zirak und Asif Safdary. Vier Unternehmer:innen, die gemeinsam zwischen 150 und 200 Arbeitsplätze geschaffen haben und einen jährlichen Umsatz von 10 bis 12 Millionen Euro schaffen!
Hiermit laden wir die Wirtschaft herzlich ein, in dieses Humankaptial mit zu investieren: es wird eine Investition in die Zukunft Österreichs und Europas sein!
Sehr geehrte Vertreter:Innen aus der Politik,
ein Mensch kann sich nur dann entfalten und weiter entwickeln, wenn die nötigen Maßnahmen vorhanden sind. Wir sind der Überzeugung, dass positive Entwicklungen im Integrationsprozess nur dann möglich sind, wenn zwei Faktoren erfüllt sind:
1) Wenn die zu Integrierenden gewillt sind
2) und wenn die Aufnahme-Gesellschaft den zu Integrierenden auf Augenhöhe begegnet.
Der erste Faktor ist gegeben, wie wir es heute und hier sehen. Bei dem zweiten gibt es einen großen Aufholbedarf. Die österreichische Integrationspolitik bedient sich einem Top-Down-Approach: die Politik schreibt vor, wodurch sich die Menschen zu integrieren haben. Wir sind uns sicher, dass Integration nicht als eine Fließbandleistung betrachtet werden sollte.
Wir haben zwei konkrete Vorschläge:
1) Ergänzung des Wiener Integrationsrates und des Expertenrates für Integration auf der Bundesebene, mit Menschen die einen direkten Bezug zum Thema mitbringen, wie zum Beispiel aus den Communities.
2) Erleichterung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft. Ein Kind kommt in Österreich auf die Welt, besucht die Schule, maturiert, verliebt sich, arbeitet, und zahlt Steuer. Darf aber die eigene Zukunft nicht mitbestimmten.? Das betrifft 1,4 Millionen Menschen. Und 18% der über 16-Jährigen! Diese Menschen sind Fremde im eigenen Land. Sowohl demokratisch als auch wirtschaftspolitisch gesehen ist das nicht nachhaltig. Unser dringender Appell an die Politik lautet: Dass das ALTE Staatsbürgerschaftsgesetz der GEGENWART angepasst werden sollte!
IGASUS streckt ihre Kooperationshand aus! Wir sehen es als unsere Pflicht, die Wirtschaft und die Politik in diesem Bereich zu unterstützen.
Liebe Absolvent:innen,
Träume ohne Visionen bleiben NUR Träume! Und dies führt schließlich zu Enttäuschungen. Wir haben genug geträumt und wurden ausreichend enttäuscht. Es ist Zeit für unsere gemeinsame Vision, Schulter an Schulter, ob Frau oder Mann, Jung oder Alt gemeinsam daran zu arbeiten. Vision 2030 hat einen ganz klaren Auftrag:
Vorwärts für Österreich! Mit Euch als treibende Kraft und Hauptakteur:innen. In diesem Sinne wünsche ich euch und uns allen viel Kraft und Resilienz für unsere gemeinsame Zukunft!