Viele hochphilosophischen, aber auch alltägliche Gedanken rund um Kunst und Wirklichkeit eines sehr jungen Theater-Ensembles im Wiener „Spektakel“.
Nachdenken über sich, das Theater und die Welt – vielschichtig, von vielen Seiten beleuchtet, dabei sich selbst immer wieder auch hinterfragend, mitunter auch auf die Schaufel nehmend. Das tun derzeit in Wien zwei Theaterstücke. Im TAG, dem Theater an der Gumpendorfer Straße, spielt sich dies bitterböse-komödiantisch im „Sumpf des Grauens“ samt Werwolf ab (bis 25. Februar 2025 – Link zur Stückbesprechung am Ende des Beitrages).
„Grau“ steckt auch im Titel des zweiten dieser Stücke: „Grau. In einer farbenfrohen Welt“ vom Ensemble „Farbenfroh“, alles Absolvent:innen der allgemeinbildenden höheren Schule mit künstlerischem Oberstufenzweig (Polyästhetik) in der Wiener Innenstadt (Hegelgasse 12). Geschrieben hat es einer aus diesem Ensemble, Max Melo, der gleich noch auch co-inszenierte (gemeinsam mit Olga Psenner) und obendrein darin eine Rolle spielt.
Apropos Rolle: Dieser Begriff lädt zu einem der vielen Wort- und Gedankenspiele in dem Stück ein. Welche Rolle spielt Theater, bzw. Kunst im Leben – einzelner aber auch der Gesellschaft. Wichtig? Lebensnotwendig? Unnötiges Beiwerk? Behübschung?
Und welche Rolle spielt das Publikum? Ist es überhaupt ein Stück, wenn niemand zuschaut? Steigen Wert und Wichtigkeit bei hohen Quoten? Wird Kunst (immer mehr?) zum Kommerzspektakel? Oder ist die Rolle gar nur eine solche aus vielen Metern perforierten Papiers? Um das es immerhin in der Pandemie vor dem ersten Lockdown sehr viel G’riss, ja fast Schlägereien in Supermärkten gegeben hat?
Diese und viele weitere, meist sehr tiefschürfende Gedanken verpackt das Stück noch dazu in eine Story um ein intensives Ringen zwischen autoritär und demokratisch. Esto (Jakob Köllesberger) meint, den Ton angeben zu müssen – irgendwie auch getrieben von Miss Traun, der Intendantin im Hintergrund (Lisa Zwittkovits). Die beiden spielen übrigens einen zu wenig bemerkten Prolog im Foyer des Veranstaltungs- und Theaterraums im Lokal Spektakel an der Hamburger Straße (nahe U 4 Kettenbrückengasse). Während das Publikum in den Saal drängt, verfasst die Intendantin einen Brief an einem Tisch mit Büchern und einem Uralt-Wählscheiben-Telefon.
Dieses Schreiben spielt später drinnen auf der Bühne eine wichtige Rolle (schon wieder!): Absage des Theaterstücks, wenn nicht die / der Schuldige gefunden werde, wer die Farben gestohlen habe… Solche kommen übrigens lediglich als breite aufgemalte Streifen auf den Armen der Schauspieler:innen vor. Grau taucht übrigens lediglich als optische Täuschung auf – die Bluse von Schill (Livia Andrä) vermittelt durch ihre engen schwarz-weißen Streifen eine Art Schattierung. Ansonsten alles nur weiß und schwarz – womit ein weiteres zentrales aktuelles Thema optisch transportiert wird.
Wie auch immer, Esto kommt abhanden, landet in einem (selbstgewählten?) Gefängnis. Die übrigbleibende Gruppe – Parz (Torben Day), Soy (Theresa Gerstbach), Less (Lena Hergolitsch), Kaff (Max Melo), Weig (Linnea Paulnsteiner) und Jura (Mirandolina Wissgott) – versuchen es nun als basisdemokratisches Ensemble. Was sich auch nicht gerade immer als so einfach darstellt. Heftige Diskussionen in der Gruppe über das weitere Vorgehen, Monologe, Zwiegespräche – über individuelle Zugänge zu Kunst im Allgemeinen oder Theater im Besonderen, nicht selten aber auch über die Welt und den möglichen eigenen Anteil, sie retten zu wollen, wechseln einander ab. Und nicht zuletzt die Frage Individuum oder Gesellschaft ich oder wir mit einem wortspielerischen Highlight als Frage was steckt in Nichts. Die Auflösung ist nicht so schwer und hätte vielleicht dem Publikum selber überlassen werden können 😉
Hochphilosophische Gedanken schwirren ebenso wie scheinbar Banales über die Bühne und den Zuschauer:innen-Raum. Auch wenn blad nach Beginn die Fiktion ins Spiel gebracht wird, sie alle spielten in einen leeren Raum ohne Publikum. Samt der existenziellen Theaterfrage, was das bringen könnte / sollte, wie viel und welchen Sinn das mache.
Sinnfragen, echt oder gespielt? Authentizität – ein seit geraumer Zeit wahrhaft (fast) ständig präsenter Begriff im Diskurs rund um Kunst und Kultur. Fast alles, was gut und teuer (!) ist, wird in „Grau. In einer farbenfrohen Welt“ vom Ensemble aus jungen, enthusiastischen, leidenschaftlichen Theaterleuten, die erst im Vorjahr die Schule mit diesem Schwerpunkt absolviert haben.
Im Hintergrund spielt immer wieder Musik eine weitere Rolle, live auf der Geige gespielt von Maria Laun, die mitunter durch kurze, schrille, schräge Töne manch Bühnengeschehen kommentiert, unterstreicht oder konterkariert.
Ein wirklicher Blick von außen hätte vielleicht geholfen, die doch mit gut zwei Stunden – samt dem Vorspiel sogar 2¼ Stunden – zu kürzen. Klar, wer involviert ist – schreibend, inszenierend und spielend tut sich schwer das zu tun, was so landläufig mit „kill your darlings“ nicht selten (dramatische) Texte doch prägnanter machen kann / könnte.
von Max Melo
Ensemble Farbenfroh
Regie: Max Melo, Olga Psenner
Schill: Livia Andrä
Parz: Torben Day
Soy: Theresa Gerstbach
Less: Lena Hergolitsch
Esto: Jakob Köllesberger
Kaff: Max Melo
Weig: Linnea Paulnsteiner
Jura: Mirandolina Wissgott
Miss Traun: Lisa Zwittkovits
Komposition / Geigenspiel: Maria Laun
Technik: Karrar Alsaadi
Kostüm- und Musikauswahl: Kollektiv
Dramaturgische Beratung: Ute Bauer
Produktion / Realisierung: Luca Nixdorf
Trailerschnitt und Bühnengrafik: Lukas Novoszel
Theater-Workshop: Rita Dummer
4., 5. Dezember 2024
jeweils 20 Uhr
Spektakel – Theater, Art Space, Bar: 1050, Hamburger Straße 14, 1050 Wien
ticket.grau@gmail.com
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