„Fail-Stunde“ – ein Projekt aus der „Mut-Million“ will vor allem Schüler:innen die Angst vor Fehlern nehmen und diese vor allem als Chancen sehen.
„Ich habe heute einen Fehler gemacht.“ Mit einem solchen Satz betreten die Schülerinnen und Schüler der Reihe nach einen gesprenkelten Stoff-Teppich. Den hatte Fabi aus einer Plakatrollen-Hülle gezogen, die sie mit einem Band über der Schulter mitgebracht hatte. Sie und ihr Kollege Ahmad haben diesen auf dem Boden des Klassenzimmers ausgerollt und ihn „unseren roten Teppich“ genannt.
Alle sagen den Satz weder zerknirscht noch niedergeschlagen, wie es – gerade in einer Schule – vielleicht erwartet würde. Sie wissen: Die Reaktion wird keine demütigende sein. Fröhlich stimmen alle einen Chor an: „Paaaasst schon!“
Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… darf wenige Wochen vor Ende des Schuljahres zwei „Fail-Stunden“ einen Lokalaugenschein abstatten. In acht Klassen dreier Wiener Schulen, bzw. hier in der ILB (Integrative Lernwerkstatt Brigittenau – 20. Bezirk) Mehrstufenklassen, die hier seit ewig (gegründet vor mehr als 20 Jahren) „Cluster“ heißen, findet dieses Projekt, finanziert aus der „Mut-Million“, bei der zehn Projekte gefördert werden, die zur psychischen Gesundheit von Schüler:innen beitragen wollen / sollen (mehr dazu in einem eigenen- am Ende verlinkten Beitrag) statt. Fehler machen, etwas, das im Schulsystem (noch?) nicht so üblich ist, ist erlaubt. Ja, sogar wie die eingangs geschilderte Eröffnungs-Szene zeigt, erwünscht.
Es geht in der „Fail“-Stunde – vom englischen Wort für scheitern, misslingen gar versagen – aber natürlich nicht nur ums Feiern von Fehlern, sondern klarerweise um eine der wichtigsten Folgen davon: Lehren, es anders, besser zu machen. Und so steht an diesem Nachmittag des Reporter-Besuchs sogar eine große Herausforderung auf dem Programm.
Der selbe Teppich, der zuvor als „Red Carpet“ für das Lob des Fehlers diente, wird nun zur Challenge für die Schüler:innen. In der ersten Gruppe stellen sich alle auf den länglichen, durchaus schmalen Stoff-Streifen. Und nun gilt es, diesen umzudrehen – ohne sich mit Worten verständigen zu dürfen. In diesem Spiel gilt alles außerhalb des Teppichs als glühende Lava. Es geht also nicht, dass alle runtersteigen, den Stoff umdrehen und sich wieder draufstellen. Stück für Stück wenden, kurz das eine oder andere Bein hoch, draufstellen, einander ausweichen, nur mit Gesten kommunizieren… Und siehe da – die Gruppe schafft’s rasend schnell. Es hat zwar niemand mitgestoppt, aber gefühlt hat’s nicht viel mehr als eine Minute gedauert.
Nicht nur weil die jungen Jugendlichen aus dem „Übergangs-Cluster“ (4. bis 6. Schulstufe) die Aufgabe so flott bewältigt haben, folgt Phase zwei mit einer zusätzlichen Herausforderung: Einige der Schüler:innen, die sich freiwillig melden, kriegen die Augen verbunden. Und dennoch darf wieder nicht gesprochen werden! Klarerweise braucht’s nun doch einiges länger, bis der Teppich nach der neuerlichen Wende nun wieder in der Ausgangsposition da liegt – wobei er auch noch um vier schmale Streifen gekürzt wurde – für die Augenbinden.
Die zweite Gruppe an diesem Nachmittag ist sehr klein, weil die Schüler:innen erst von einem Ausflug in die Au zurückgekommen sind, die etliche doch ermüdet hat. Die verbleibenden wenigen Jugendlichen werden nun ergänzt um eine Lehrerin und die beiden Trainer:innen, die zunächst alle reihum einen Fehler dieses Tages in der Runde vorstellen, um danach das Teppich-Spiel mit einem kleineren, dickeren und gleich mit Augenbinden für Fabi und Ahmad in Angriff nehmen. Eine heftige Challenge auf dem viel engeren zu wendenden und weniger flexiblen Material. Doch auch da gelingt’s – wenngleich mit viel mehr Zeitaufwand und manchen fast ausweglos scheinenden Momenten.
Die Mitwirkenden mit den verbundenen Augen müssen auf die per Berührungen der anderen erbetenen Bewegungen vertrauen können.
Funktioniert aber nicht immer – wie die beiden Trainer:innen in der Runde danach erklären. Es hat auch schon Gruppen gegeben, in denen einige diese spielerische Herausforderung praktisch boykottiert haben und immer wieder absichtlich vom Teppich gestiegen sind – was nach mehreren Versuchen ihre Mitschüler:innen ziemlich frustriert hat. Auch das ist in einer Failstunde möglich, wird dann aber als Fehler nicht gefeiert, sondern dient als Anlass, in der Gruppe ausführlich darüber zu diskutieren, was, warum passiert (ist) und wie damit umgegangen werden könnte.
Fabi (Fabienne Mühlbacher), die Gründerin der „Fail-Stunde“ übermittelt Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… die fünf Phasen des Projekts – wenn es ein Schuljahr dauert, es gibt auch ganz kurze Einheiten als Workshops – übrigens auch für Unternehmen.
1. Funtasie – bewusst so geschrieben und kein, wie natürlich auch angenommen werden könnte, positiver Fehler 😉
Spaß & kreativ sein, Improvisationen
2. Ich-Selbst-Stärkung
Beispielsweise durch Talenteshows – aber ohne Wettbewerb
3. Empathie
Theater spielen, in Rollen schlüpfen…
4. Hydra
Fehler-Hurricane, Übungen zu den einzelnen Schritten
5. Risikofreude
Challenges im Team zur Anwendung von allem davor Erlerntem
Das Projekt nimmt – auf seiner Homepage beschreiben – Anleihe bei der greichischen Mythologie einer- und bei Nassim Nicholas Taleb andererseits. Der im Libanon geborene Finanzmathematiker und Wissenschafter (u.a. Professor in London und New York), der bekannt wurde für die Beschäftigung mit höchst unwahrscheinlichen Ereignissen und ihrer Verarbeitung („Schwarze Schwäne“) diente mit seinem Buch „Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen“ eine Erweiterung dessen, was als Resilienz bekannt ist. Die Fail-Stunde schreibt, dass dieser neue Begriff „unsere Philosophie auf den Punkt bringt“.
„Der Phönix erhebt sich aus der Asche. Man erlebt einen Rückschlag, und steht aber wieder auf – das ist für Taleb Resilienz. Das Schwert des Damokles hängt über ihm und kann ihn durch einen einzigen Schlag vernichten. Alles ist zerstört, nichts wird wieder geboren. Taleb verwendet für dieses Konzept den Begriff „Fragilität“. Als Herkules der Hydra einen Kopf abschlägt, wächst dieser zweifach nach. Diese Idee von sogenannter „Antifragilität“ wollen wir euch in der Failstunde vermitteln: Nach einem Rückschlag steht ihr nicht nur wieder auf, nein: Ihr geht sogar gestärkt, mit neuen Chancen und doppelt so viel Wissen daraus hervor!“
Sophia aus er zweiten Gruppe sowie Lena und Amina aus der ersten Gruppe erzählen in Video-Interviews, die unten verlinkt sind, erzählen mehr und ausführlicher darüber, was die Fail-Stunden (nicht nur) für sie bedeuten und bringen; sogar in dieser Schule, die von Anfang an auf respektvollen, empathischen, offeneren, demokratischeren Umgang miteinander großen Wert legt. Diese, nunmehr das ganze Schuljahr gelaufenen Stunden haben vor allem etwas, das (nicht nur, aber schon sehr) im Schulsystem häufig vorkommt, stark eingeschränkt: „Fehler-Shaming“ wie es Sophia in ihrem Video auf den Punkt bringt.
Wobei anzumerken bleibt, dass viele Lehrer:innen bzw. wie sie in der ILB heißen Lernbegleiter:innen vor allem mit reformpädagogischen Zugängen – seit viiiielen Jahrzehnten – auch zu Fehlern einen offeneren Zugang haben. So gab es schon vor mehr als 30 Jahren in etlichen Volksschulen zwei verschiedene Schreibhefte: In dem einen ging’s geht’s darum, Geschichten zu schreiben OHNE auf Fehler zu achten. Damit soll die Lust am schriftlichen Erzählen gefördert werden, ohne sich beim Schreiben auf das zu beschränken von dem das Kind annimmt zu wissen, wie es richtig buchstabiert wird. Und erst aus den hier gemachten aus Grammatik- und Rechtschreib-Fehlern wird gelernt und dieses dann richtig im zweiten Heft geübt.
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