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Mathias lässt sich von Benya dessen Tallit genanntes Gebetstuch um die Schultern legen
Mathias lässt sich von Benya dessen Tallit genanntes Gebetstuch um die Schultern legen
04.05.2023

Lern Fremde(s) kennen – das hilft gegen Vor-Urteile

Lokalaugenschein bei einem Schulbesuch der Initiative „Zusammen:Österreich“ mit Integrations-Botschafter:innen.

Warum tragen Burschen und Männer ein Kapperl auf dem Kopf? Warum verhüllen Frauen ihr Kopfhaar? Warum und wie oft beten die einen oder die anderen? Warum sind so viele gegen euch/uns? Wie heißen die Gotteshäuser in eurer Religion? Stimmt es, dass…?

Welches Kind, welche/r Jugendliche hat nicht viele Fragen? Erwachsene auch – viele von ihnen sind aber oft zu schüchtern, feig, zurückhaltend, die eine oder andere Frage, die sie vielleicht brennend interessiert, direkt an Menschen zu stellen, von denen oder über die sie wenig wissen bis nichts.

Aus der Unwissenheit werden aber oft bekannte Vorurteile immer und immer wieder weiter geteilt, nicht selten wird daraus auch Vor-Verurteilung, Aggression, Hass, mitunter sogar Gewalt.

Aufeinander zugehen

Vorurteile fallen dort am besten auf fruchtbaren Boden, wo es kein Wissen gibt, wo Menschen der jeweiligen Gruppe kaum leibhaftig bekannt sind. Das zu ändern ist eines, nein eigentlich DAS Ziel der Initiative „Zusammen:Österreich“. Jugendliche bzw. junge Erwachsene aus verschiedensten Kulturen besuchen dabei als „Integrations-Botschafter:innen“ Schulen, um offen auf alle Fragen von Schüler:innen einzugehen, über sich und ihre (Herkunfts-)Kultur, die Vielfalt usw. gemeinsam zu reden.

Kürzlich besuchten Mridula Sharma (Leiterin der Abteilung Digital Engineering bei Siemens, Wurzeln in Indien), Zaker Soltani (Künstler sowie Trainer für Deutsch als Zweitsprache, Wurzeln in Afghanistan) und die beiden Likratinos Benya und Mendi (die aus Sicherheitsgründen nur mit diesen Vornamen aufscheinen) die Mehrstufenklasse in der Mittelschule Grundsteingasse (Wien-Ottakring). Die beiden zuletzt Genannten sind Juden, der eine in Österreich aufgewachsen, der andere in Usbekistan.

Das hebräische Wort „Likrat“ steht für „aufeinander zugehen“ – und genau darum geht’s bei diesem Projekt der Israelitischen Kulturgemeinde Wien, das im Rahmen der oben genannten Initiative des Österreichischen Integrationsfonds Jugendliche besucht. Wer die/den anderen kennt oder kennenlernt, weiß warum sie oder er das eine oder andere Ritual abhält, woran sie/er glaubt, was ihr/ihm wichtig ist…

Tanach – Bibel – Koran

Apropos Hebräisch – in dieser Sprache bzw. einer alten Version davon ist die heilige Schrift der Jüd:innen verfasst. Sie wird übrigens genauso wie Arabischemit dem es auch verwandt ist – von rechts nach links geschrieben. Und ähnlich wie manche Muslime erging es Benya auch in der Kindheit: „Da konnte ich noch nicht Hebräisch lesen, aber ich hab die Verse im Tanach auswendig gekonnt. Ein Freund von mir konnte die Schrift lesen, aber konnte die Aussprache nicht so gut – so haben wir uns ergänzt“, schildert er den Schüler:innen in der Grundsteingasse. Tanach ist übrigens die Bezeichnung für die heilige Schrift im Judentum so wie Bibel im Christentum und Koran im Islam.

Die Kippa – Mehrzahl Kippot -, die Männer zumindest beim Beten, andere auch immer, auf dem Kopf tragen, ist ein Zeichen der Ehrfurcht vor Gott. Gebete sind für Benya „eine Art von Selbstreflexion“, also Nachdenken über sich und die eigenen Handlungen, „damit man nachher ein besserer Mensch ist“.

Übrigens: Wie im Islam bedecken auch im Judentum viele Frauen ihr Haar – was allerdings oft nicht so ersichtlich ist, weil sie statt eines Tuches eine Perücke über dem eigenen Haar tragen.

Erlebte Diskriminierungen

Gefragt, ob er selber schon antisemitische Beschimpfungen, Diskriminierungen usw. erlebt habe, schildert Benya u.a., er und seine Familie seien in ihrer Wohnung mit ebenerdigem Balkon von Jugendlichen beschimpft, der Balkon und die Scheiben mit Steinen und Stöcken beworfen worden. Und das über Tage hinweg. Die herbeigerufene Polizei sei immer zu spät gekommen. Beenden konnten sie die Attacken erst, als er mit seinem großen Bruder, der von einem Auslandsaufenthalt zurückgekommen ist, über das Balkongeländer gesprungen seien, um die Burschen zur Rede zu stellen. Die sind zwar in alle Richtungen davongelaufen, er aber konnte einen stellen, der bereitwillig Namen und Adressen bekanntgab. „Seither grüßen die mich höflich, wenn sie mich auf der Straße sehen!“

Sein Rat an die Schüler:innen: „Es ist ganz egal, welche Religion man hat und woher man kommt. Man muss die Leute kennen lernen.“ Sein Kollege Mendi ergänzt: „Wenn Unwissenheit aufgeklärt wird, werden Vorurteile aufgeklärt.“

Künstler und Deutschlehrer

Zaker Soltani, der vor elf Jahren als jugendlicher Flüchtling allein in Österreich angekommen ist, Kunstgeschichte sowie Deutsch als Zweit- und Fremdsprache studierte, hat übrigens im Winter drei Monate lang an der staatlichen Wirtschaftsuniversität von Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans, Deutsch unterrichtet – und in einem zusätzlichen Projekt österreichische Kunst und Kultur vermittelt.

Er sagte den Schüler:innen unter anderem: „Es ist immer gut, sich selbst und alles zu hinterfragen“, aber auch zu fragen, ob alles stimmt, was in Medien zu sehen, lesen oder hören ist. „Deshalb reise ich gerne! Ich besuche die Menschen und versuche mir selbst ein Bild zu machen“ und so schildert er bei der Frage nach dem Nahost-Konflikt zwischen Israel und Palästinenser:innen: „Ich hab mir das selber auch in Jerusalem angeschaut, wo heilige Stätten für die drei großen Weltreligionen so nah beieinander liegen – für Juden, Muslime und Christen, weshalb diese Stadt eben für Gläubige dieser drei Religionen so wichtig ist.“

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Mehr Sprachen

Mridula Sharma empfahl den Kindern und Jugendlichen „mehr Sprachen zu lernen, damit man sich unterhalten und verständigen kann.“ Aus ihrer beruflichen Praxis schilderte sie: „Vorurteile im Berufsleben nehme ich schon persönlich. Aber: Ich arbeite dann daran, um zu zeigen, dass sie nicht stimmen!“

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