Am internationalen Tag der Muttersprache(n) tauchten Jugendliche im Stationenbetrieb mit „SAG’S-MULTI!“-Alumnis in mehrere Sprach- und Kulturwelten ein.
Dass „petzen“, „zocken“, „Knast“ und ein paar andere Wörter, die die meisten kannten/kennen aus dem Jiddischen stammen – verblüffte (nicht nur) die Jugendlichen, die am Tag der Muttersprache(n) in den Veranstaltungssaal der Volkshochschule Rudolfsheim-Fünfhaus im gleichnamigen Bezirk gekommen waren. Die Schülerinnen und Schüler der dritten und vierten Klasse der nahe gelegenen Mittelschule Kauergasse brachten selber gut ein halbes Dutzend verschiedener Sprachen mit – neben denen, die sie in der Schule lernen.
Jiddisch – sowohl Sprache als auch Schrift und Kultur vermittelte Eidel, eine ehemalige Preisträgerin des mehrsprachigen Redewettbewerbs „SAG’S MULTI!“
Einen Tisch weiter führten Banan und Baraa, ebenfalls „SAG’S-MULTI!“-Preisträgerinnen, in die arabische Sprache und orientalische Kultur ein. Da war einiges manchen der Jugendlichen vertraut. Dass hier von rechts nach links geschrieben wird, wussten viele. Dass dies auch fürs Jiddisch gilt – und dieses wiederum eine andere Sprache wie Hebräisch ist, war hingegen für die meisten neu.
Neben diesen beiden Schriften – in der einen schrieb vor allem Baraa die runden Schriftzeichen, bei Jiddisch versuchten die meisten Buchstaben für Buchstaben aus einer Tabelle zu finden, um den eigenen Vornamen selbst zu schreiben/zeichnen. Ähnliches erfolgte an der BKS-Station, wo mehrsprachige Redetalente mit bosnischem, kroatischem und serbischen Wurzeln die Gemeinsamkeiten sowie die – wenigen – Unterschiede dieser drei Sprachen vermittelten. Serbisch wird sowohl im lateinischen als auch im kyrillischen Alphabet geschrieben – und so versuchten alle ihre Namen in dieser Schrift auf ihre bunten Kärtchen zu malen. Daneben aber – und damit wurden praktisch alle Teilnehmer:innen wie andere Besucher:innen verblüfft, gibt es eine alte kroatische Schrift, genannt Glagoljica, die vor allem noch in kirchlichem Zusammenhang verwendet wird – und wieder ganz anders aussieht – mit vielen Rundungen.
Und so sammelten die Jugendlichen, die intensiv und aktiv stundenlang mit kaum einer Pause am Wissenserwerb dran blieben nach und nach ihre Vornamen in drei, vier, fünf verschiedenen Schriften. Manches versuchten sie selbst aus Tabellen abzumalen, anderes wurde ihnen von den Vermittlerinnen schön auf ihre bunten Kärtchen kalligrafiert. Sie tauchten ein in für sie teils neue Sprachen – und Schriften – ein, erfuhren ein bisschen über die Kulturen, nicht zuletzt Speisen – Naschsachen standen auf den Tischen – aus Italien, Ungarn, der Türkei und dazu den arabischen Sprachraum, jenen von BKS (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch) sowie Jiddisch.
Ähnlich wie die Verblüffung beim jiddischen Ursprung der eingangs genannten Wörter war jene beispielsweise beim Aufdruck Štrudle auf einer Packung mit kleinen mit Marmelade gefüllten Strüdelchen in einer der Süßigkeiten-Packungen. Für noch viel mehr Staunen sorgte ein ganz spezieller Unterschied zwischen den BKS-Sprachen: Währen der vielleicht größte Theaterdichter aller Zeiten auf Kroatisch wie im englischen original William Shakespeare geschrieben wird, wirkt das Schriftbild auf Bosnisch und Serbisch sehr gewöhnungsbedürftig: Vilijam Šekspir – doch für alle, die die Sprachen wenigstens ein bisschen kennen ist’s sozusagen einfach die Lautschrift, wie der Name eben ausgesprochen wird 😉
Als Vermittlerinnen – es waren tatsächlich ausschließlich junge Frauen – traten ehemalige Preisträgerinnen des mehrsprachigen Redewettbewerbs „SAG’S MULTI!“ in Aktion. Der Alumni-Club der mehrsprachigen Redetalente organisierte diesen Vormittag und noch dazu einen Abend mit einem eigenen Theaterstück. Die schon oben erwähnte Banan etwa kann übrigens ganze sieben (7!) Sprachen – Arabisch, Türkisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und Latein, spielt Gitarre, Klavier, Ukulele – und Theater.
Vier, die an diesem Vormittag eine der intensiven Arbeitsgruppen gebildet haben waren Kevser, Medine, Irem und Rohat. Neben Deutsch beherrschen sie noch Türkisch, Kurdisch und Englisch. Und „obwohl wir aus unserer Klasse (3C) und der Schule schon viel über andere Sprachen und Kulturen wissen, haben wir hier heute doch noch einiges neues gelernt. Besonders war auch, dass hier sehr viel Wert auf Mehrsprachigkeit gelegt worden ist und es gut und wichtig ist, wenn es viele verschiedene Sprachen und Kulturen gibt, alle gleich viel Wert sind und keine diskriminiert werden soll.“
Seit fast einem Viertel-Jahrhundert wird der Tag der Muttersprachen begangen – ausgerufen von der UNESCO, der Bildungsorganisation der Vereinten Nationen. Warum am 21. Februar?
An diesem Tag im Jahr 1952 protestierte die Bevölkerung der pakistanischen Provinz Bengalen gegen die Einführung von Urdu als Amtssprache. Das in der Bevölkerung weit verbreitete Bengali sollte hingegen zurückgedrängt werden. Fast 20 Jahre später wurde Ost-Bengalen als Bangladesch unabhängig und führte Bengali als Amtssprache ein.
Übrigens ist nach Untersuchungen der UNESCO fast die Hälfte der mehr als 6.500 Sprachen auf der Welt vom Aussterben bedroht. Die Mehrheit dieser bedrohten Sprachen wird von indigenen Völkern verwendet, von denen sich viele auch mit der Bedrohung ihres eigenen Lebensraumes konfrontiert sehen.
Wie ein fortschrittlicher Umgang mit Mehrsprachigkeit aussehen kann – damit setzt sich auch eine Vortragsreihe der Stadt Wien auseinander. Begonnen wurde damit ebenfalls an diesem internationalen Tag rund um die 14 Thesen aus dem Buch „Fokus Mehrsprachigkeit“ – siehe dazu auch link hier unten
Die Stadt Wien bietet diverse mehrsprachige Angebote an. So helfen etwa Erklär-Videos in unterschiedlichen Sprachen Neuzugewanderten bei ihrem Start in Wien, Videodolmetsch erleichtert die Kommunikation mit Behörden und muttersprachliche Lesepat:innen unterstützen Kinder beim Lesen in der Erstsprache. Auch die Dialogreihe mit den Communities „Dein Wien. Deine Stadt“ befasst sich dieses Jahr mit der Frage der Mehrsprachigkeit – siehe Info-Box.
Vizebürgermeister und Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr ließ anlässlich des Muttersprachen-Tages aussenden: „Wien ist eine vielfältige Stadt, immerhin leben hier Menschen aus rund 180 Nationen. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in unserer Gesellschaft wider, so sprechen etwa über 50 % der Schüler*innen in Wien zwei Sprachen oder mehr. Natürlich ist es von zentraler Bedeutung, Deutsch zu lernen, wenn man in Österreich lebt und hier aufwächst. Es ist jedoch auch wichtig, Mehrsprachigkeit als Ressource anzuerkennen und zu fördern. Mehrsprachig aufzuwachsen muss eine Chance und kein Hindernis sein, um in der weiteren Bildungslaufbahn erfolgreich zu sein.“
Kemal Boztepe, stellvertretender Leiter der Abteilung Integration und Diversität der Stadt Wien, stellte fest: „Deutsch zu können bzw. Deutsch zu lernen steht nicht in Widerspruch zum Beherrschen der Muttersprache, wie es oft missverständlich debattiert wird. Es ist evident, dass Mehrsprachigkeit nie ein Nachteil sein kann. Mehrsprachigkeit ist ein wichtiges Kapital, dieses ungenutzt zu lassen, käme einer Ressourcen-Vergeudung nahe. Mit zahlreichen Projekten versucht die Abteilung Integration und Diversität daher dieses Potenzial in den Vordergrund zu rücken.“
Im Rahmen der oben erwähnten Vortragsreihe Wiens gibt es unter anderem zum Thema „Mehrsprachigkeit in der Schule“ einen Nachmittag. Dabei referiert die ehemalige Leiterin des Migrations-Referats im Bildungsministerium, Elfie Fleck am 30. März 2023, von 14.30 bis 17 Uhr im Seminarraum der Abteilung Integration und Diversität (MA 17), 1150, Gasgasse 8-10, Amtshaus, Stiege 1, 1. Stock, links
Infos über weitere Vorträge aus dieser Reihe sowie zu anderen Themen rund um Vielfalt/Diversity und Integration hier
Der mehrsprachige Redewettbewerb bei dem Jugendliche jeweils in Deutsch und einer anderen Sprache (kann eine Erst- oder Fremdsprache sein) antreten, findet in diesem Schuljahr zum 14. Mal statt.