Ein Kinderbuch-Klassiker rund um die Vermittlung von Krieg und Flucht – inspirierte auch ein Theaterstück, das jetzt (Mitte Februar) in Wien läuft.
Im Süden des Landes war schon Krieg, doch er breitete sich aus und so musste das Mädchen, aus dessen Sicht die Autorin die Geschichte erzählt, das Land verlassen. Ohne Vater und ohne Oma – sie sollte zur Mutter, die „woanders“ in Frieden und Sicherheit lebte. Der Vater musste Soldat werden – und er erklärt seiner Tochter das unter anderem, dass er sich tarnen muss, beispielsweise als Busch versteckt. Und so nannte Joke van Leeuwen, die das Buch (auf Niederländisch) geschrieben und mit vielen Schwarz-Weiß-zeichnungen versehen hat, dieses „Als mein Vater ein Busch wurde“ („Toen mijn vader een struik wird“; Übersetzung: Hanni Ehlers). Das erste Kapitel bekommt diesen Titel als Überschrift und dazu noch „und ich meinen Namen verlor, wohnten wir woanders.“
Und das beginnt so: „Ich dachte zu der Zeit nie, dass dort woanders war. Überall sonst war woanders, nur nicht dort, wo wir wohnten. Dort konnten alle ohne Mühe meinen Namen aussprechen. Wo ich jetzt wohne, können die Leute das nicht. Sie können nämlich kein K sagen. Der Erste, der hier meinen Namen aussprechen wollte, hat sich fast die Zunge abgebrochen. Deshalb sage ich jetzt erst mal, dass ich Toda heiße. Das sind die letzten Buchstaben von meinem langen Vornamen, in dem vier Ks vorkommen.“
Wie traurig, schrecklich und auch sehr mühsam es für Toda ist, in das sichere Land auf der anderen Seite der Grenze zu kommen, ja was überhaupt so eine Grenze ist, beschreibt die Autorin auf knapp mehr als 100 Seiten trotz all des Ernstes immer wieder auch mit einer Portion Humor. Die ergibt sich aus dem seltsamen Verhalten von Menschen, die komische Fragen an das Kind stellen und einfach nicht und nicht glauben wollen, was Toda erzählt. Aber auch aus Situationskomik. Oder aus Überlegungen Todas. Was, wenn jetzt der Vater als Soldat mitten in der Stadt ist? „Vielleicht müsste er da so tun, als wäre er ein Briefkasten oder ein geparktes Auto. Oder ein Baum am Straßenrand.“
Und als eines der vielleicht wichtigsten psychischen Überlebensmittel ließ sich die Autorin eine „Liste von allem, was ich sonst noch im Kopf behalten könnte“ einfallen: Schöne Erinnerungen wie die Torten und Kuchen, die ihr Vater, von Beruf (Zucker-)Bäcker, gebacken hatte, „wie wir gelacht haben, wie wacklig Oma Lieder singt…“ Diese Liste hat die Autorin und Illustratorin in Handschrift geschrieben und als Bild ins Buch getan.
Dass es auf der Flucht mitunter gefährlich und auch immer wieder sehr ungut zugeht, spart Leeuwen nicht aus – von Schleppern, die Toda alles Geld abknöpfen und sie dann doch nicht über die Grenze bringen oder von Menschen, die mit Kindern ins Flüchtlingslager kommen und böse reagieren, wenn die Flüchtlingskinder nicht in untertänigsten Jubel ausbrechen über die ramponierten Stofftiere mit Schmutzflecken, halb kaputten Spielsachen und zerlesenen Bücher…
Die Autorin wollte das Buch bewusst nicht in irgendeinem Land oder einer Region verorten – Kriege und damit ausgelöste Fluchtbewegungen gibt es leider immer wieder in den verschiedensten Gegenden der Welt zu unterschiedlichsten Zeiten. Und so hat sie für Todas neues „woanders“-Land, das sowohl da als auch dort ist – der Wegweiser mit dieser Ortsbezeichnung zeigt in beide Richtungen (S. 43) – eine Fantasiesprache erfunden, die zwar offensichtlich vom Niederländischen inspiriert ist.
Noch ganz schön viel arge Situationen muss Toda überstehen, bis sie irgendwann am Ende des Buches doch bei ihrer Mutter landet – und dort auch schon Briefe von Oma und Papa sind.
Das erstmals vor eineinhalb Jahrzehnten (im Niederländischen original 2010) erschienene Buch ist eine, eigentlich über weite Strecken sogar die zentrale Inspirationsquelle für das (Puppen-)Theaterstück der slowenischen Gruppe „Lutkovno Gledališče Ljubljana“, die derzeit (Mitte Februar 2024) mit der deutschsprachigen Version ihres halbstündigen Stück „anderswo“ im Dschungel Wien gastiert – Link zur Stückbesprechung am Ende dieses Beitrages.
Text und Illustration: Joke van Leeuwen
Übersetzung aus dem Niederländischen: Hanni Ehlers
Als mein Vater ein Busch wurde
114 Seiten plus 2 Seiten Nachwort von UNO-Flüchtlingshilfe
Ab 10 Jahren
Oetinger Verlag
13,40 €
Zu einer Leseprobe (auf „Blick ins Buch“ clicken) geht es hier
Zum Download kostenloser Unterrichtsmaterialien (56 Seiten) zu diesem Buch geht es hier