Gespräch mit dem friedlich kämpfenden, stets optimistischen Osama Abu El Hosna, autor eines bewegend-berührenden Buches über sein bisheriges Leben und die Heldentat beim Terroranschlag am 2. November 2020.
„Es war ein warmer Tag, die Luft roch noch nach Sommer. Ich ging wie im Schlaf, riss meine Augen auf, aber es war niemand da. Wo waren sie? Dann wieder Schüsse. Ein Schreien. Um mich herum Menschen. Ein lautes Rufen, eine Stimme, die mir bekannt vorkam. Meine Stimme? Mein Mund öffnete sich, aber was war es, das ich da rief? Buchstaben, die wie Wasser auf dem Boden versickerten. Alles war gleichzeitig. Ganz nah. Ganz weit weg. Ich war da, aber ich war es nicht …“
Das ist der Beginn des zweiten Absatzes im Buch „Wie wir NICHT sind“, geschrieben von Osama Abu El Hosna. 24 Jahre jung. Und nicht nur geschrieben, sondern auch erlebt. Vielleicht ist er dir/Ihnen bekannt – aus Medien. Vor einem Jahr, am 2. November 2020, rettete er einem vom Terrorattentäter angeschossenen Polizisten das Leben, weil er ihn aus der Todeszone schleifte, schleppte. Und auch heuer am ersten Jahrestag des Anschlags in vielen Medien interviewt worden ist.
Doch was wie die Erinnerung an jene Momente wirkt, in denen er selbst kurz auch Aug in Aug mit dem Mörder stand, geht viel weiter zurück. Auf Kindheits- und Jugendtage im Gaza-Streifen, einem Teil der Autonomiegebiete der Palästinenser:innen zwischen Israel und Ägypten. Eigentlich sollten es längst Teile eines eigenständigen Palästinenserstaates sein, wurden/werden aber immer mehr zu einer Art Insel im besetzten Gebiet.
Aus der ständig beschossenen, bombardierten, immer wieder im Krieg befindlichen Heimat konnte Osama Abu El Hosna mit Geschwistern und der Mutter vor neun Jahren nach Österreich flüchten, wohin es der Vater und Ehemann schon ein paar Jahre früher geschafft hatte.
Ein Leben in Frieden und Freiheit. Das schätzt der Mitt-Zwanziger. Auch wenn es – und darüber muss er auf den knapp 150 Seiten leider immer wieder schreiben – nicht immer einfach für ihn und seine Familie war/ist. Ein Buch, das sich im Grunde genommen leicht und schnell liest – wären da nicht etliche Momente, die dich innehalten lassen – und das bezieht sich nicht nur auf die dramatischen Erlebnisse an dem Abend vor einem Jahr.
Stets besser sein und mehr tun als die anderen, aber nicht zu viele, damit dieser nicht eifersüchtig werden – so in etwa nennt der Autor, gelernter Elektriker und seit geraumer Zeit stellvertretender Restaurantleiter einer internationalen Fast-Food-Kette, ein Motto, das ihm sein Vater für das Leben in der neuen Heimat immer wieder vermittelt.
Schilderungen einzelner der lebensgefährlichen Minuten vor einem Jahr wechseln mit Erinnerungen an die ersten 15 Lebensjahre in Palästina sowie mit solchen seines Lebens in Österreich. Auch wenn er hier ohne Krieg leben kann, so doch nicht immer im Frieden. Diskriminierungen, Anfeindungen, Schikanen hat er erlebt. So verlor er seinen Job, weshalb er beruflich umsattelte. So wurde seiner Familie der Kauf eines Hauses in Weikendorf verweigert. Als sie rechtlich – vertreten durch die Anwältin und vormalige Staatssekretärin Muna Duzdar – gewonnen haben, versicherte ihnen der Orts-Chef: „Ihr dürft gerne kommen, aber willkommen seid ihr nicht.“
Was so nicht stimmt – zumindest nicht für die Bevölkerung. Als Osama Abu Al Hosna, Spitzname Joda“, dieser Tage für das eben erschienene Buch in der kleinen Gemeinde im Bezirk Gänserndorf (Niederösterreich) war, wurde er freudig von Bewohner:innen als „unser Held“ begrüßt.
Apropos Held. Seine wahrhaftige Heldentat, die dem angeschossenen Polizisten wahrscheinlich das Leben gerettet hat – wofür sich dieser bis heute nicht einmal bedankt hat – spielt er runter: „Ich bin kein Held. Ich habe nur geholfen. Das ist doch normal. Das hab ich immer getan. Schon im Gaza-Streifen haben wir uns alle immer gegenseitig geholfen.“
Genauso bescheiden reagiert er auf das Lob für seine Formulierungskünste im Buch, viele Passagen lesen sich sehr blumig, poetisch. „Ich habe dabei sehr viel Unterstützung vom Verlag bekommen. Die haben mich auch nach dem Terrorakt gebeten so ein Buch zu schreiben. Eigentlich wollte ich gar nicht in die Medien. Für mich war das ja normal zu helfen. Ich hab’s zuerst nur meiner Verlobten Nada und meiner Familie erzählt. Die haben aber schon auch gesagt, dass es wichtig wäre, dass die Menschen erfahren, dass nicht nur der Attentäter ein Muslim war, sondern ein Muslim auch einen Menschen gerettet hat.“
Mitgespielt für die Schritte an die Öffentlichkeit hat vielleicht auch, dass Osama Abu Al Hosna immer wieder rassistische Erfahrungen machen musste – vom Jobverlust bis zur Hausverweigerung für seine Familie. Dabei so schreibt er über den Versuch der Familie sich in dem niederösterreichischen Ort im Herbst 2019 vorzustellen im Buch: „… es war ein warmer Herbsttag, als wir nach Weikendorf gingen, mit Blumen und Getränken im Gepäck. Es war Wochenende und es war mehr los als üblich. Viele waren neugierig und kamen auf uns zu, feierten mit uns und hießen uns sogar willkommen. Wir waren in etwa hundertfünfzig Menschen und wenige von den Bewohnern, die stehenblieben und mit uns redeten, waren gegen uns…“
Doch die bürgermeisterlichen Schikanen nahmen kein Ende, der Familie wurde vorgeworfen einen Zubau ohne Baugenehmigung vorgenommen zu haben – dieser Teil seht seit Jahrzehnten. Die Familie vermietete das Haus und lebt nun zerstreut in mehreren Wohnungen vorwiegend in Wien.
Was den Autor auch noch schmerzt: „Seit neun Jahren lebe ich hier, arbeite hier und noch immer bekomme ich die Staatsbürgerschaft nicht. Nicht einmal jetzt.“ Seine Anwältin, Muna Duzdar, hat wegen der Lebensrettung in eigener Lebensgefahr die Ehrenhalber-Staatsbürgerschaft beantragt. Das Innenministerium will – bisher (?) – davon nichts wissen.
Wie gehen Sie mit solchen immer wieder kehrenden Diskriminierungen oder rassistischen Angriffen um? Sie wirken so ruhig und gelassen.
Osama Abu Al Hosna: Wenn das im Restaurant passiert, geh ich in den Kühlraum und schreie. Dann kann ich beruhigt hinausgehen und weiterarbeiten. Ich will ja für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Vorbild sein.“
Um gleich im nächsten Satz auch dieses Wort zu relativieren: „Ich bin kein Vorbild, ich bemühe mich, nur einfach ein guter Mensch zu sein.“ Im Buch liest sich das auf den beiden letzten Seiten so:
„Ich kann auch einen Menschen verletzen, ob mit Taten oder mit Worten, genauso wie er mich verletzt. Aber ich tue es nicht. Es ist einfach, ich will niemanden hassen. Ich will niemandem etwas Schlechtes tun. Ich will mit diesem Menschen sprechen. Vielleicht, denke ich, kann er sich ändern, wenn man darüber redet. Vielleicht kann man zusammen darüber nachdenken, woher diese Gefühle kommen. Und dann will ich diesem Menschen sagen: »Sei erwachsener als die anderen Sei ein ruhiger Mensch. Sei ein Mensch, der Glück will, der nur lachen will. Sei ein Mensch, der Spaß macht. Sei diese Person.«
Ich will auch diese Person sein. Ich wünsche mir, wir alle könnten diese Person sein.
Ich bin durch das, was ich getan habe, ein Held geworden. Aber es war, als ob all die anderen Schritte vorher, die kleinen, die kurzen, die wackeligen, die ersten niemand gesehen hätte. Aber ich habe immer schon weitergemacht. War ich nicht auch ein Held, als wir damals in Dschabaliya die Schule wiederaufgebaut haben? Obwohl wir nicht wussten, wie lange es diesmal halten würde?
Waren wir an der ägyptischen Grenze nicht alle Helden, unsere ganze Familie, als wir trotz Hitze, zitternd vor Angst, in dem kleinen Raum saßen, und dachten, dass wir niemals nach Österreich kommen würden, und trotzdem nicht aufgegeben haben? Ich glaube, wenn es mehr von diesen Geschichten gibt, die wie meine hier sind und wenn die Menschen mehr von diesen Geschichten hören, dann werden sie wissen, wie wir sind, ohne dass wir es ständig beweisen müssen. »Glaubst du wirklich daran?«, fragt Nada mich, »oder hoffst du?«
Ich denke kurz nach.
»Hoffnung«, sage ich,
»Hoffnung, habe ich immer.«“
Cool waäre, wenn wir in Österreich so weit kommen, dass ein Mensch wie Osama Abu el Hosna sein „Plädoyer gegen vorurteile“ ohne „nicht“ im Titel veröffentlichen könnte, also „Wie wir sind“
Osama Abu El Hosna
Wie wir nicht sind – Mein Plädoyer gegen Vorurteile
Ca. 140 Seiten
Edition a
Gebundene Ausgabe: 20 €
eBook: 13,99 €