Noch ein tolles Buch rund um den – ganz unterschiedlichen, vielfältigen – Prozess des Abschiednehmens, auch schon für junge Kinder geeignet; Initiative von und Zusammenarbeit mit Kinderpalliativzentrum.
Licht am Ende des Tunnels verspricht das Titelbild dieses Bilderbuchs. Dunkel bis hellgrau sitzt ein kleines Wesen, könnte ein Kind sein, auf einer Riesenschildkröte. Auch die Pflanzen Grau in Grau. Gleißende Helligkeit als großer weißer Kreis dahinter. Der rosa runde Aufkleber kennzeichnet das Werk als „Begleitbuch zum Abschied-Nehmen“. Auch der Titel „Komm, ich trag dich ein Stück, sagte die Schildkröte“ hat schon Tröstliches.
„Etwas Trauriges würde passieren. Etwas Unvorstellbares. Wahrscheinlich das Traurigste überhaupt“, lauten die ersten Sätze der Autorin Lena Raubaum zwischen Blumen und Blättern aus denen das Strich-Gesicht eines Kindes vorsichtig hervorlugt – gezeichnet von Leonie Schlager.
„Warum? Warum musste das passieren?…“, fragt das Kind (ist es überhaupt ein Kind?) auf der nächsten Doppelseite und formuliert „ich fühle so vieles gleichzeitig. Vor allem Angst. Große Angst.“
Doch da hört der ich-erzählende Mensch die Stimme der Schildkröte, die einfach da war. Und das bleibt sie – solange sie gebraucht wird.
In sanften, einfühlsamen, poetischen Worten und Bildern, die immer wieder ein wenig an Kinderzeichnungen erinnern, liefert das Duo ein tröstliches Buch für Kinder, die mit Tod konfrontiert sind oder einfach darüber reden möchten. Und dennoch nicht alles im Trauerfall nur auf dieses Thema reduzieren wollen. So zeigt eine Doppelseite die Hauptfigur mit vielen Seiten ihres Lebens – Spaß mit Freund:innen, guter Musik und wertvollen Momenten ebenso wie Ärger über einen verpassten Bus oder das Wetter…
Und auf weiteren Seiten wiederum mit Fragen, was nach dem Tod kommen könnte und sowie den unterschiedlichsten Gefühlen besonders in solchen Zeiten. Für alles soll und muss Platz sein vermittelt auch dieses Bilderbuch, das übrigens von MOMO, dem Kinderpalliativzentrum in Wien initiiert wurde. Die Einrichtung, bewusst nach Michael Endes Heldin im gleichnamigen Roman benannt, betreut Kinder – und ihre Familien – mit lebensverkürzenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen, und fragte bei der Autorin an, ein Buch zum Thema zu verfassen. Gerade in solchen Phasen bekommt Zeit eine außerordentliche Bedeutung, weil vieles aus gewohntem Rhythmus reißt. Deshalb der Name des Kindes, das im Untertitel zum Buch „den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte“.
Das Kinderpalliativzentrum wählte eine Schildkröte als Logo, höchstwahrscheinlich inspiriert von Michael Endes Kassiopeia, die in Momo zwar eine halbe Stunde in die Zukunft schauen, aber dies nicht sagen kann. Was sie sieht, erscheint als Schrift auf ihrem Panzer.
Apropos Panzer: Die Schildkröte als das Wesen, dem das Kind (vielleicht ist es auch ein Erwachsener?) die Trauer, Sorgen, Ängste und alle anderen Gefühle anvertrauen kann, hat einen Panzer, womit der Mensch, der mit Tod konfrontiert ist, sich keine „dicke Haut“ zulegen und die Gefühle einsperren muss, sondern Raum UND Zeit dafür ist, wie es Raubaum formuliert: „Alle Fragen, alle Gefühle wollen atmen. Lasst sie Luft holen.“ Etwas, das sie aus den Gesprächen mit Momo-Mitarbeiter:innen über deren Arbeit mit ins Buch genommen hat.
Und so war für Lena Raubaum klar, „Elemente von Momo und der Arbeit des Kinderpalliativzentrums in das Buch einzubauen“, wie sie Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… sagt. Der Schreiber dieser Zeilen wollte von ihr wissen, ob Kassiopeia das Vorbild für die tierische Hauptfigur des Buches war oder die Vielfalt an Mythen in allen Teilen der Welt, die sich mit dem gepanzerten Wesen verbinden. „Außerdem ist es ein Tier, das viel trägt und aushält, es gibt 360 Arten von Schildkröten und mindestens so viele Arten zu trauern. Natürlich schwingt auch diese mythologische Weite mit“, so Raubaum zu KiJuKU.
Sowohl im Hinduismus als auch bei einigen Indigenen Völkern Nordamerikas trägt eine Schildkröte die Welt, bei den Aborigines Australiens zumindest alles Wissen aller Vorfahr:innen, weil eine Schildkröte bei der Erschaffung der Welt dabei war. In China und Japan stehen Schildkröten unter anderem für ein langes Leben, in einigen afrikanischen Kulturen symbolisieren Schildkröten Weisheit und Geduld. Außerdem gibt es die Fabel des antiken griechischen Dichters Äsop von Schildkröte und Hase und einem Wettrennen beider. Aber nicht wie bei „Hase und Igel“ aus der Grimm’schen Sammlung gewinnt der Langsamere durch den Trick, dass im Ziel seine Frau schon da ist, sondern weil der Hase in seiner Arroganz während des Laufs ein Nickerchen einlegt, kommt die Schildkröte früher ins Ziel. Die Äsop’sche Fabel findet sich auch in Märchen einiger afrikanischer Kulturen.
Apropos Afrika: der oberösterreichische Autor und Schauspieler Patrick Addai hat vor einigen Monaten seinem tierischen Kosmos aus Märchen aus seiner ersten Heimat Ghana eine ganz neue Geschichte hinzugefügt. „Die Komödienschildkröte“ versammelt ein Welttreffen dieser Tiere, deren Panzer die Flaggen der Welt zieren mit der Botschaft: Viele Farben eine Menschheit. Im Interview mit KiJuKU sagte der Autor rund um die Neuerscheinung, dass er Schildkröten wählte, weil „dieses Tier eine gewisse Langsamkeit und Sicherheit (hat), so kann sie diese Botschaft besser in die Welt hinaustragen“ und „egal woher und mit welcher Sprache, die Schildkröten – und auch wir Menschen – sind alle gleich und sollen lieber miteinander feiern als sich zu bekriegen.“ (Link zur Buchbesprechung und dem Interview unten am Ende dieses Beitrages).
Text: Lena Raubaum
Illustration: Leonie Schlager
Komm, ich trag dich ein Stück, sagte die Schildkröte
24 Seiten
Ab 5 Jahren
Tyrolia Verlag
16 €
Zu einer Lese- und Schauprobe geht es hier
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