„Mut. Machen. Liebe“ – ein Roman, in dem ein 19-Jähriger und eine 80-Jährige beim Wandern in Italien über (einst verbotene) Liebe reden und reden und reden.
„Na, was geht? Das sagt ihr doch so, oder?“ Ich drehe reflexartig den Kopf und nehme meine Kopfhörer aus dem Ohr. Eine grauhaarige Frau in grellen Outdoor-Klamotten steht fröhlich lächelnd neben meinem klapprigen Liegestuhl und scheint zu warten, dass ich ihr den Stuhl neben mir anbiete. Aber das wird garantiert nicht passieren. Was geht? Hat die sie noch alle?
Der Garten meiner Unterkunft ist menschenleer, soll sie sich doch setzen, wohin sie will. Und reden, mit wem sie will. Aber nicht neben mich. Und nicht mit mir. Ich will allein sein. Musik hören, ein bisschen pennen und mich wie die letzten Stunden auch über meine bescheuerte Idee ärgern, im viel zu heißen Frühsommer 30 Tage durch die Toskana bis nach Rom zu latschen.
Heute ist Tag eins. Fuck!
Vier Stunden war es nur bergauf gegangen. Und schon nach den ersten Kilometern fühlten sich meine Beine wie Pudding an.“
Der 19-jährige Paul will seinen Kopf frei kriegen. Vielleicht auch seine wahren Gefühle zu Jonas erkennen? „Ich möchte verdammt noch mal auch rausfinden, wer ich heute bin. Denn wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich seit über vier Jahren nicht den Hauch einer Ahnung davon.“
Und dann quatscht ihn diese fast 80-jährie Lady namens Liz, nicht ihr echter, ursprünglicher Name, an. Und dennoch lässt er es zu, dass sie ihn sogar volllabert. Nur, dass sie ihn Pilger nennt, mag er nicht. Überdeckt eigene Gedanken, Klärung eigener Gefühle. Und doch tragen gerade die Erzählungen der Frau letztlich dazu bei. Sie schildert – immer kursiv (schräg) gesetzt – weniger über sich, sondern viel mehr über einen Helmut und einen Enzo. Die beiden hatten einander in Köln im Sommer des Jahres 1957 kennengelernt. Und mehr.
Aber das war damals noch strengstens verboten – in Deutschland nach Paragraph 175. Und als „pervers“ verpönt. „El Mut“, wie Enzo ihn mit italienischem Akzent nannte, hatte noch dazu nicht den Mut, zu seiner Zuneigung zu stehen, verleugnete den Freund …
Und so hilft die alte Geschichte dem heutigen Jugendlichen in diesem Roman mit einer historischen und einer aktuellen Perspektive auf dieselbe Liebe. So „nebenbei“ spielt plötzlich der riesige Altersunterschied zwischen Paul und Liz genau keine Rolle – sie fühlen sich im Reden, im Blick auf Vieles – einander sehr vertraut.
„Und was ist mit den ganzen anderen Lügen, die mit voller Absicht ausgesprochen werden, um jemand hinters Licht zu führen? So Social-Media-Lügen zum Beispiel, die andere glauben lassen sollen, wie perfekt das eigene Leben ist. Oder das Verbreiten von falschen Tatsachen. Machen wir das zum eigenen Schutz, um uns schon im Vorfeld unangreifbarer zu machen? Weil wir Angst haben, die Kontrolle zu verlieren und dabei gar nicht checken, dass Kontrolle wie ein Korsett ist, das uns daran hindert, uns frei zu bewegen? Sind wir alle angstgesteuerte Kontroll-Freaks? Feige Korsett-Träger?
Lüge ich auch, weil ich Angst habe, die Kontrolle zu verlieren? Aber worüber? Über mein Leben? Da gibt’s kaum was zu kontrollieren. Meine Gefühle? Ist es das? Lügen wir, um die Kontrolle über unsere Gefühle zu behalten? Habe ich diese kleine Lüge mit der Zeit an Jonas geschrieben, weil ich Angst habe, meine Gefühle zu offenbaren? Aber welche überhaupt?“
Diese Woche läuft übrigens in den heimischen Kinos der Film „Große Freiheit“ (Freibeuterfilm) an. Der greift dasselbe Thema auf: Liebe zwischen Männern, die bis vor rund 50 Jahren gesetzliche verboten war (Drehbuch: Thomas Reider und Sebastian Meise, der auch Regie führte). Und der unter anderem den Wahnsinn aufgreift, dass von den Nazis eingesperrte Homosexuelle gleich nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus wieder hinter Gittern landeten/blieben. Dieser Film ist übrigens Österreichs Kandidat für den kommenden Auslands-Oscar.
Text: Hansjörg Nessensohn
Mut. Machen: Liebe
Ca. 340 Seiten
Ab 14 Jahren
Verlag Ueberreuter
Gebundenes buch: 18,95 €
eBook: 14,99 €
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