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Robert Klement mit seinem jüngsten Buch "Aufstand der Vergessenen" über Kinderarmut
Robert Klement mit seinem jüngsten Buch "Aufstand der Vergessenen" über Kinderarmut
05.12.2023

„Wollte Kinderarmut begreifbar machen“

Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… traf den Jugendbuchautor Robert Klement zum Interview rund um sein neuestes Buch „Aufstand der Vergessenen“, das sich um Kinderarmut dreht.

„Armut ist kein Kinderspiel“ – diese Losung steht auf einem Transparent auf dem Cover des jüngsten Jugendbuchs von Robert Klement „Aufstand der Vergessenen“. Diese Losung stand auch mehrfach auf Transparenten echter Kundgebungen der BundesJugendVertretung, bei denen Maßnahmen gegen Kinderarmut von den jeweiligen Regierungen gefordert wurden.

Noch etwas muss – auch aus Transparenzgründen – vorweg gesagt, pardon geschrieben werden. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr und davor schon Kinder-KURIER kennen den heute 74-jährigen Autor schon lange. Anlässlich eines seiner früheren Jugendbücher verriet Klement dem Journalisten auf die Frage nach neuen Buchprojekten das Vorhaben „ein eigenes Buch zum Thema Kinderarmut schreiben“ zu wollen. Und, KiJuKU durfte eine Vorversion des Buches lesen, das eine oder andere Feedback fand sogar in die nunmehr in gedruckter Buchform vorliegende Fassung Eingang.

Buchautor, Buch und Zeitungsartikel des Interviewers
Buchautor, Buch und Zeitungsartikel des Interviewers

Außerdem überraschte der Autor beim Gespräch in St. Pölten den Journalisten indem er ihm ein Blatt mit einem Artikel des Interviewers unter dem Titel „Wiener Straßenkind-Schicksal“ auf den Tisch legte und sagte: „Das Thema beschäftigt mich schon sehr lange und war oder ist ja auch in vielen meiner Bücher präsent – ob das über die Straßenkinder in Brasilien war oder auch in der Vampirgeschichte in Rumänien – sehr oft ist mir die Schilderung der sozialen Verhältnisse ein großes Anliegen. Und ich hab immer wieder auch Material dazu gesammelt, unter anderem diesen Artikel von dir aus dem KURIER, das muss so Mitte der 90er Jahre gewesen sein.“

KiJuKU: Danke, das überrascht mich jetzt schon sehr. Ich kannte ja schon die Grundgeschichte deines Buches. Der Text ist jetzt viel runder, flüssiger, die Geschichte auch ein wenig verdichtet und vielleicht flotter zu lesen. Wie bist du auf diese Grundstory rund um den jugendlichen Boxer Max gekommen?
Robert Klement: Ich hab versucht, meine Geschichte rund um eine alleinerziehende Mutter zu bauen. Das sind ja diejenigen, die und ihre Kinder am meisten von Armut und Ausgrenzung betroffen und bedroht sind: Alleinerziehend – allein gelassen.
Dazu gibt’s schon auch in Medien immer wieder Reportagen. Ich wollte sie – Sarah Pribil – und ihr Leben mit zwei halbwüchsigen Kindern – Max und Kim – beschreiben und diese ins Zentrum rücken. Die beiden Jugendlichen treffen sich in der Hauptbücherei mit Gleichgesinnten und beginnen sich zusammen zu tun. Dort entsteht die Idee, wir sollten was tun.

Robert Klement mit seinem jüngsten Buch
Robert Klement mit seinem jüngsten Buch „Aufstand der Vergessenen“ über Kinderarmut

KiJuKU: Und du bist dann dorthin gegangen?
Robert Klement: Ja, zuerst hab ich mit zwei Bibliothekarinnen und dann mit drei Jugendlichen, die aus prekären Verhältnissen stammen, in der warmen Jahreszeit auf der Freitreppe vor der Bücherei hinunter zum Urban-Loritz-Platz gesprochen. Sie sind vom gleich angrenzenden 15. Bezirk gekommen. Das ist ja der Bezirk mit dem niedrigsten Netto-Monatseinkommen in Wien. Die haben mit mir darüber geredet, wie sich Armut anfühlt: Wenig Taschengeld, keine Partys, weil kein Geld für Geschenke. Zum Wandertag gibt’s eine Entschuldigung der Mutter für eine Krankmeldung, weil Wandertag kostet Geld. Oder das Gleiche bei der Landschul- oder Sportwoche…

KiJuKU: Das waren dann sozusagen Mosaiksteine, die sich auch im Buch finden. War da ein Boxer dabei?
Robert Klement: Nein, der Boxer ist von mir gekommen, weil das ein Einzelsport ist und der Max jemand ist, der sich nach oben kämpfen möchte. Und es gibt ja einige historische Boxer, die es auf diesem Weg aus ärmlichsten Verhältnissen raus geschafft haben.

KiJuKU: Von denen du einige ja im Buch auch eingebaut hast wie namentlich vor allem Muhamed Ali, vormals Cassius Clay.
Robert Klement: Max möchte aus seinem Milieu herauskommen und sieht in diesem Sport einen Hoffnungsschimmer.

Robert Klement mit seinem jüngsten Buch
Robert Klement mit seinem jüngsten Buch „Aufstand der Vergessenen“ über Kinderarmut

KiJuKU: Gut gebaut finde ich auch, dass nicht gleich die erste Demonstration, die sie dann gegen Kinderarmut organisieren ein großer Erfolg ist, sondern genau das Gegenteil. War das von Anfang an so geplant, oder ist das beim Schreiben entstanden?
Robert Klement: Wir hören hin und wieder in den Medien, jedes vierte Kind ist von Armut betroffen oder bedroht. Mir ist es darum gegangen, diese Kinder aus der Anonymität der Zahlen rauszuholen. In meinem Buch haben sie Namen, sie haben eine Sprache, sie haben individuelle Geschichten und Schicksale. Damit werden sie begreifbar.

Wobei ich gestehen muss, wenn ich Freunden oder Verwandten von meinen Recherchen erzählt habe und dass es diese Armut wirklich gibt, glaubt es dir fast niemand. Sie haben keine Einblicke in diese Milieus.

KiJuKU: Für mich ist das ja in Wirklichkeit eine von mehreren wirklich massiven Parallel-Gesellschaften – in Armut lebende oder vom Abstieg bedrohte einer- und (sehr) wohlhabende bis reiche Menschen andererseits. Die leben nebeneinander ohne dass beispielsweise Letztere sich überhaupt vorstellen können, wie Erstere real leben müssen.
Robert Klement: Das reichste ein Prozent in Österreich…
KiJuKU: … hat ungefähr 40 Prozent des Vermögens. Das hab ich einmal in einem Theaterstück auch gut aufgedröselt gefunden, wo sie einen Kuchen angeschnitten haben…
Robert Klement: … darum hab ich ja auch geschrieben, diese Jugendlichen wollen jetzt den Teil vom Kuchen. Und dazu passt auch, dass 70 Prozent der Menschen in Österreich finden, dass Vermögen ungleich verteilt ist. Für die Kinder geht es um soziale Teilhabe. Jedes Kind hat es verdient, aus dem Kreislauf von Armut und Ausgrenzung herausgeholt wird.
Wer als Kind als armer Eltern geboren wird, trägt eine Hypothek, die es selten loswird.

KiJuKU: Wobei das durch das segregierte Schulsystem, frühe Aufgliederung in Gymnasien und Mittelschule, einzementiert wird.
Robert Klement: Zum ersten Mal hab ich von der Forderung nach einer gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen 1968 gehört. Aber wie’s jetzt ausschaut, kommt’s derzeit nicht so bald dazu.

KiJuKU: So, zurück zu deinem Buch. Nach den Recherche-Gesprächen und der Idee des Boxers, seiner Schwester und Freund:innen hattest du eine Struktur. Hast du die dann kapitelweise der Reihe nach gefüllt?
Robert Klement: Die Geschichte hab ich von Anfang an im Kopf gehabt und zuerst ein Exposé geschrieben. Und wenn ich so eins einmal hab, dann lauft das irgendwie. Ich wollt mit meinem Buch auch zeigen, wie schwierig es für Jugendliche in prekären Verhältnissen ist, darauf aufmerksam zu machen. Und gerade, weil die erste Demonstration so spektakulär scheitert, werden die Medien aufmerksam. Und ich wollte meinen Figuren – und natürlich auch den Leserinnen und Lesern die Ohnmacht nehmen – trotz dramaturgischer Rückschläge.

KiJuKU: Du nennst im Buch ja einige internationale Beispiele, wo Jugendliche durch Demonstrationen und Protesten einiges erreicht haben – Brasilien, Südafrika, USA Emma Gonzalez nach einem der Schulmassaker in den USA für Waffeneinschränkungen…
Robert Klement: Mit erfolgreichen Protesten wollte ich auch zeigen, es kann etwas erreicht werden. Das ist ja auch bemerkenswert, was Kinder und Jugendliche in den vergangenen Jahrzehnten erreicht haben.

KiJuKU: Du hast erzählt, dein Großvater hat in der ersten Republik Arbeiteraufmärsche organisiert. War der ein Vorbild für den Herrn Schebesta im jetzigen Buch, einen Nachbarn der Pribils im Gemeindebau?
Robert Klement: Ja, einiges davon, schon, wobei mein Großvater, der sich für die Besserstellung der arbeitenden Menschen eingesetzt hat, damals auch sein Leben riskiert hat. Mein Vater war übrigens Bewährungshelfer und hat in einer Familienberatungsstelle gearbeitet. Von da her war ich schon von Klein auf mit Sorgen und Nöten ärmerer Menschen vertraut.

Robert Klement mit seinem jüngsten Buch
Buchautor, Buch und Zeitungsartikel des Interviewers

KiJuKU: Du beschreibst nicht nur die Jugendlichen, die sich zu wehren beginnen, es ungerecht finden, dass Kinderarmut immer nur hin und wieder ein Thema ist und dann wieder verschwindet. Du baust auch Fakten ein, dass viele Kinder bzw. Familien betroffen sind, Fakten zur ungleichen Vermögensverteilung. Willst du mit dem Buch auch konkret etwas bewirken?
Robert Klement: Das Buch soll insgesamt auch eine Anklage sein gegen die Untätigkeit der Regierenden, dass sie zulassen, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich immer mehr verfestigt und weiter auftut. Grundsicherung für Kinder, die ja jetzt in Deutschland ein Thema ist, wäre eine wichtige Lösung und eigentlich von den zusätzlichen Staatsausgaben insgesamt ein Klacks.

KiJuKU: Was jedenfalls auch wegfallen würde, das Anstellen als Bittstellerinnen und Bittsteller bei Ämtern und Behören.
Robert Klement: Allerdings bin ich der Meinung, falls eine Kindergrundsicherung endlich kommen würde, müsste irgendwie sichergestellt werden, dass sie wirklich komplett den Kindern zugute kommt – also die Landschulwoche bezahlt, bei Schulausflügen zugeschossen wird und so weiter und nicht für andere Ausgaben der Familie, die nicht für die Kinder sind.

KiJuKU: Du hast am Rande erzählt, dass es schon für dich überraschende Reaktionen auf dein Buch gegeben hat, magst du da was davon erzählen?
Robert Klement: Zum einen hat mir ein Mitarbeiter einer Schuldnerberatung, mit dem ich aus Recherchegründen gesprochen habe, gemailt, dass er überrascht war, dass ich dann wirklich dieses Buch geschrieben habe, das ihn berührt hat. Und der ist ja tagtäglich mit Auswirkungen von Armut befasst. Und ein Benediktiner-Mönch, den ich bei Recherchen im Stift St. Lamprecht vor zwei Jahren getroffen habe, hat mir geschrieben: Das Buch sollte im Religionsunterricht eingesetzt werden, weil die Befreiung von Armen und Unterdrückten seiner Meinung nach ein Hauptthema der Bibel sei.

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