Das Jugendstück „Abgefuckt“ thematisiert Armut, die den Mittelstand erreicht – eine mobile Produktion des Burgtheater Studios für Schulen.
Im schwarz-grün-weiß gestreiften Pulli sitzt Emil in seinem Zimmer zwischen drei Computern plus externen Monitoren, die er alle per Markennamen nennt, dazu die neuesten Modelle zweier angesagter Handy-Hersteller. Damit noch nicht genug zählt er noch all seine Streaming-Abos auf. Nicht ganz klar ist, wieweit das real oder doch nur Wunschtraum ist. Sich vorzustellen, zwischen welchem Techno-Zeug er sitzt, bleibt der Fantasie überlassen. Die Bühne ist fast leer.
Mit Ausnahme weniger metallener Tischgestelle, die hochkant auch zu Kästen werden können und Unmengen von Silikon-Schläuchen gibt es praktisch keine Requisiten (Bühne: Julius Leon Seiler). Das ermöglicht dem knapp mehr als einstündigen Jugendstück „Abgefuckt“ auch relativ leicht mobil zu sein. Es ist nach Stücken ab sechs bzw. neun Jahren das erste ab 13 Jahren mit dem das Burgtheater Studio mobil in Schulen spielt.
Edward Lischka spielt den eingangs schon genannten/beschriebenen Emil – und später auch einen Mann namens Ulrich. Laetitia Toursarkissian schlüpft in die Rollen von Emma, einer Mitschülerin ebenso wie in die von Anna, der Ehefrau Ulrichs, sowie Emils Mutter. Als diese aber vor allem als Stimme hinter einem Paravent, hinter dem auch die Umzüge stattfinden – erkennbar durch Gewandstücke, die auf den über diese Abdeckwand hinausragenden Kleiderständer gehängt werden.
Emma erleben wir bei ihrem ersten Auftritt in einer Shoppings-Situation. Und als doch eher in sich verschlossen – äußerlich stark zum Ausdruck gebracht durch eine ihren Kopf fast verschließende Haube (Kostüme: Maria-Lena Poindl) aus vielen kleinen Kuscheltieren. Und auf der Suche nach sich, nach ihrer Linie.
Emils Mutter – die Kommunikation zwischen ihr und ihrem Sohn erfolgt praktisch nur durch die Wand, verklickert ihm bald: „Wir stürzen ab“ – keine Kohle mehr, Gerichtsvollzieher, alles weg. Emmas Eltern – Anna und Ulrich – kaufen für die Konfirmation der Tochter ein – riesiges Gartenfest, 70 Gäste. Und doch schwingt mit: So viele Kohle ist nicht da. Anna spricht zwar von Bildungskarenz (hier immer -Urlaub genannt), aber zwischen den Zeilen klingt da eher Job-Verlust durch.
Soweit die Ausgangsgeschichte des Stücks, das Julie Maj Jakobsen nach einer Geschichte von ihr und Petrea Søe auf Dänisch (Übersetzung: Franziska Koller) geschrieben und Tobias Georg Jagdhuhn für das Burgtheater inszeniert hat. Armut, die in den Mittelstand eindringt – und das auf recht nachvollziehbarer Ebene wird hier thematisiert. Auch samt der Scham und dem Verschweigen. Anna verheimlicht ihre Kündigung zu Hause, Emil wird aggressiv als Emma ihn darauf anspricht, dass die ganze Schule über den Gerichtsvollzieher in seinem Zuhause redet.
Womit Auswirkungen der finanziellen Abwärtsspirale auf die psychische Verfassung der davon betroffenen in dem Fall Jugendlichen nachvollziehbar dargestellt und von den beiden Schauspieler:innen mit-erlebbar wird.
Vielleicht ein bisschen aufgesetzt, wenngleich natürlich ein wenig Hoffnung gebend, wirkt die Annäherung von Emma und Emil am Ende.
Jedenfalls ist es den beiden Schauspieler:innen aber gelungen die meisten Schüler:innen dreier Klassen (zweier sechster und einer dritter) im Gymnasium Diefenbachgasse (Wien 15) die Theaterstunde bei der Stange zu halten. Trotz dessen, dass in den hinteren Reihen jene Szenen kaum bis nicht zu sehen waren, die auf der Bühnenfläche ganz vorne und am Boden gespielt werden.
„Das Stück war ziemlich interessant, man konnte sich gut in die Situation der Figuren hineinversetzen“, meint Anisa nach der Vorstellung zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… Beim kurzen Publikumsgespräch zuvor war es vor allem um technische Fragen gegangen – woraus sind die Schläuche, wie kann man sich so viel Text merken. Anisa hob auch die Soundeffekte (Musik: Gabriel Wörfel) hervor und meinte im Gegensatz zu anderen Theaterstücken, die sie bisher mit der Schule gesehen hat, „war das hier jetzt moderner“.
Batoul fand: „Das was in dem Stück passiert war nahe an dem was es in Wirklichkeit gibt, wie es manchen Jugendlichen geht.“
Ryan hat einen Bruder „der auch Theater spielt. Aber so etwas hab ich bisher noch nicht gesehen. Es hat mir sehr gefallen, dass man sich sehr viel selber vorstellen konnte, weil sie die Sachen, von denen sie erzählen, nicht wirklich sieht, sondern nur diese vielen Schläuche.“
Julie Maj Jakobsen; nach einer Geschichte von Julie Maj Jakobsen und Petrea Søe
Übersetzung aus dem Dänischen: Franziska Koller
Ab 13 Jahren; eine Stunde
Emil/ Ulrich: Edward Lischka
Emma/ Emils Mutter/ Anna: Laetitia Toursarkissian
Regie: Tobias Georg Jagdhuhn
Dramaturgie: Christina Schlögl
Bühne: Julius Leon Seiler
Kostüme: Maria-Lena Poindl
Musik: Gabriel Wörfel
Licht: Rodrigo Martinez
Nächste Aufführungstermine im Burgtheater-Vestibül
7. und 9. Dezember 2023
3., 26. Jänner 2024
1010, Universitätsring 2
Telefon: 01 51 444 4545
burgtheater -> abgefuckt
sowie als mobile Produktion in Schulen auf Anfrage – Vorstellung plus kurzes Publikumsgespräch – 10 € pro Schüler:in
Anfragen dafür: burgtheaterstudio@burgtheater.at