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Szenenfoto aus "Skakavci / Heuschrecken" von Biljana Srbljanović in eineer Inszenierung des Jugendtheaters "Stanislavski" im Theater am Werk (Wien, Innere Stadt; 1. Bezirk)
Szenenfoto aus "Skakavci / Heuschrecken" von Biljana Srbljanović in eineer Inszenierung des Jugendtheaters "Stanislavski" im Theater am Werk (Wien, Innere Stadt; 1. Bezirk)
18.08.2025

Alle fressen Seelen auf, auch die eigenen

Uraufführung des Stücks „Skakavci“ (Heuschrecken) von Biljana Srbljanović, gespielt vom Wiener Jugendtheater Stansilavski auf Serbisch mit deutschen Untertiteln.

Heuschrecken – Insekten mit einem ähnlich schlechten Ruf wie Wölfe. Immer, wenn sie in Geschichten erwähnt werden, sind sie die Bösen. Was nicht selten auf realen Kahlfraß ganzer Ernten und Landstriche zurückgeht, wenngleich manche ihrer Arten schon ausgestorben oder davon bedroht sind, in die „ewigen Jagdgründe“ einzugehen.  Neben echten Berichten halten sich vor allem aber auch Geschichten darüber – von einer der zehn biblischen Plagen im Alten Testament (die auf einen realen Kahlfraß zurückging der schon in einer frühen ägyptischen Grabmalerei verewigt war) über Südamerika bei den Azteken, Südafrika, Europa (im Mittelalter wurden 400 Attacken geschätzt), Australien, Asien…

Einzeln nett, aber in Gruppen ;(

Die bekannte serbische, in Schweden als Kind von Diplomat:innen geborene, Dramatikerin Biljana Srbljanović schrieb „Heuschrecken sind wirklich entzückende Insekten, friedlich – aber manchmal, so aus keinem erkennbaren Grund, entscheiden sie sich, eine Gruppe zu bilden, richten enormen Schaden an. In einer halben Stunde können sie ein riesiges Feld zerstören. Das war für mich eine Metapher für die Menschen, die ich in dem Stück behandele. Als Einzelpersonen sind sie liebenswert, aber wehe sie treten in einer Gruppe auf.“

Ihr episodenartiges Stück über so manch menschliche Abgründe heißt daher „Skakavci“ (Heuschrecken). Im Text – vor 20 Jahren uraufgeführt und mit Preisen bedacht -, inszeniert vom Jugendtheater „Stanislavski“ im Frühjahr 2025 im Theater am Werk, kommen „Heuschrecken“ als Wort und Bild nur drei Mal (und nicht wie ursprünglich irrtümlich hier stand zwei Mal) vor. Aber schon beim ersten Mal, als Nadežda (Stefanija Budak), die Visagistin im TV, die auch Lippenlesen beherrscht für den Starmoderator Maks (Jovan Spasojević) geheime Gespräche anderer übersetzen soll, nennt sie diese „ekelhaften Leute“ eben Heuschrecken und später meint sie noch über den alten Simić (Žorž Bakoš-Dodek) im grünen Mantel, dass er aussehe wie eine Heuschrecke.

Kinder verteidigt, oder?

„Einmal waren meine Kinder verdammt stolz auf mich. Einmal. In Sutomore, am Meer. Bei einem Einfall von Heuschrecken. Der ganze Strand hat uns offen ins Gesicht gelacht. Aber ich hab sie mit Füßen, Händen und dem Stock zerquetscht. Und meine Kinder verteidigt“, sagt Herr Jović – das ist die zweite Erwähnung der titelgebenden Insekten. Das ihm seine Kinder aber später alles andere als danken, wobei – ob er sich an seine Heldentat erinnert oder sie nur erfindet – das bleibt in der Schilderung auch offen;)

Jede/r gegen jede/n

Ansonsten spielt sich nicht viel an Verteidigung ab, eher kämpfen alle Figuren des Stücks gegeneinander, offen oder versteckt.

  • In der Familie – Dada (Sandra Bajić), Ehemann Milan (Marko Dimitrijević), Tochter Alegra (Lara Mraković) und (Schwieger-)Vater Ignjatović (Aleksandar Kostić);
  • in der schon angedeuteten Zweckgemeinschaft der Visagistin und des (vermeintlichen) Star-Moderators, bei der noch mehr mitschwingt,
  • in der Beziehung von Maks‘ Ex-Ehefrau Žana (Zorica Simić) und ihrer Mutter Petrović (Miroslava Milosavljević),
  • beim wie eine Karikatur eines Geheimagenten auftretenden Simić (Žorž Bakoš-Dodek), der unter anderem der jungen Nadežda nachsteigt,
  • in der Beziehung von Dada und ihrem homosexuellen Bruder Fredi, der sich gerne als Frau kleidet, besonders seit sein Vater psychisch nicht mehr bei sich ist und es nicht wahrnehmen kann (Riana Sulić) zum Vater Jović (Dejan Knežević) – mehr Kahlfraß als Beziehung, gar Liebe zueinander, wenn die beiden erwachsenen Kinder beschließen, den dementen, sehr abwesend wirkenden Vater einfach irgendwo auszusetzen, irgendwer werde ihn schon aufnehmen…
  • Beim Familientreffen – ohne der Großelterngeneration – erfüllt das Aneinander- vorbei-Leben spürbar den gesamten Bühnen- und Theaterraum.

Überhöht

Und doch kommen die aneinander gereihten, nur durch kurze Blacks getrennten Szenen (Regie: Marina Margo; Assistenz: Sandra Bajić) immer wieder auch mit einer gewissen Leichtigkeit daher, einem Schuss Überhöhung. So dass sie aber nicht selten Zuschauer:innen an reale Szenen aus dem eigenen oder dem Umfeld erinnern – und vielleicht ein wenig Innehalten auslösen. Gespielt wurde übrigens auf Serbisch mit deutscher Untertitelung (Übersetzung: Irmgard Kanwar).

Wobei die fast archetypischen Charaktere nicht nur gegeneinander kämpfen, die meisten sind auch gekennzeichnet von einer großen Unzufriedenheit mit sich selbst, einer großen Leere.

Auch wenn andere Stücke von  Biljana Srbljanović schon in Wien gespielt wurden, Heuschrecken war erstmals zu sehen, noch dazu in Originalsprache; Übrigens ist Skakavci auch der Name eines kleinen Dorfes im Westen Serbiens 275 Einwohner:innen laut Wikipedia nach der Volkszählung von 2002) sowie einer Band mit „goßer Jugo-nostalgie“.

Ausgetüftelte Meta-Ebene

Regisseurin Marina Margo hat aber nicht nur den Theatertext von Biljana Srbljanović zum szenischen Miterleben erweckt, sondern noch so manche Zitate aus bzw. Anspielungen an Filme/n und deren Musik (Almodóvar, Baraka – der Tod kann tanzen) sowie Gemälde/n (u.a. Zar Iwan, der Schreckliche mit seinem Sohn, von Ilja Jefimowitsch Repin; Tod und das Mädchen von Marianne Stokes; Vereinigung der Seelen von Max Svabinsky) eingebaut, wie sie Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… verriet. Ähnliches gilt auch für die von ihr ausgewählte Musik – einerseits Untermalung, andererseits hin und wieder eigenständiges Theaterelement sowie das Licht (Design: Ivan Ljubisavljević).

„Die Szene, in der Fredi seinen Vater badet, ist musikalisch mit Vertigo verbunden – durch die authentischen Rottöne und die Musik. Assoziativ verweist sie auf den Moment, in dem die Tragödie spürbar näher rückt, unausweichlich scheint. Es ist, als würde sich ein Schicksal abzeichnen, das nicht mehr aufgehalten werden kann – woraufhin Fredi in Tränen ausbricht“, beschrieb sie gegenüber KiJuKU.at und „die Partyszene mit „Ne me quitte pas“ ist ein persönlicher Liebesbrief an Pedro Almodóvar. Ein visuelles Filmzitat schafft eine subtile Verbindung zur emotionalen Welt seines Films „Law of Desire“ (Gesetz der Begierde). Das Lied fungiert als poetischer Kommentar zum inneren Zustand der Figur“, so Marina Margo.

Auch die Jungen sind alt

„Alle Helden sind sehr alt, insbesondere die jüngsten“ – so beschreibt die serbische Erfolgsautorin Biljana Srbljanovic die Figuren in Skakavci / Heuschrecken, zitiert die Regisseurin die Thaterautorin. „Einige der Protagonisten sind so jung und schön, dass man nicht glauben kann, welche Abgründe in ihnen stecken.“

Und überraschenderweise spielen zwei ziemlich junge Spieler:innen mit, die erst 14-jährige Lara Mraković schlüpft zwar in die Rolle der jungen Tochter von Dada und Milan, aber letzterer, ein Mitt-30er, wird immerhin vom erst 17-jährigen Marko Dimitrijević gespielt.

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Zu kurzen Interviews mit den beiden jüngsten Darsteller:innen des Stücks geht es hier unten

stanislawski.at

wikipedia -> Heuschrecken

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Skakavci / Heuschrecken

2 ½ Stunden (inklusive 20 Minuten Pause)

Text: Biljana Srbljanović
Übersetzung: Irmgard Kanwar

Regie: Marina Margo

Cast
Nadežda: Stefanija Budak
Maks: Jovan Spasojević
Herr Simić: Žorž Bakoš-Dodek
Herr Ignjatović: Aleksandar Kostić
Dada: Sandra Bajić
Milan: Marko Dimitrijević
Alegra: Lara Mraković
Frau Petrović: Miroslava Milosavljević
Žana: Zorica Simić
Fredi: Riana Sulić
Herr Jović: Dejan Knežević
Der Tod: Vanja Radenković

Hinter den Kulissen
Regie-Assistenz: Sandra Bajić
Bühnenbild: Riana Sulić
Kostüme: Vanja Radenković
Lichtdesign: Ivan Ljubisavljević
Intendantin: Violeta Veljović
Produktion: Omladinsko pozorište Stanislavski