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Szenenfoto aus "Amphitryon" im Wiener Bronski & Grünberg Theater
Szenenfoto aus "Amphitryon" im Wiener Bronski & Grünberg Theater
16.05.2025

Bin ich noch ich selbst?

Scheinbare Verwechslungskomödie „Amphitryon“ (Heinrich Kleist) in einer sehr spielfreudigen, witzigen und doch nicht verblödenden Version im Wiener Bronski & Grünberg Theater.

Rauch und Donner – aber nein, nicht der Donnergott hat seinen ersten Auftritt, sondern Merkur, römischer Gott der Händler und Diebe sowie Götterbote (Pendant zum griechischen Hermes). Und was für ein Erscheinen. Statt die Tür von Zimmer 217 im verwinkelten Gang – eines abgefuckten, billigen Hotels oder großen ebenbürtigen Wohnhauses – zu nehmen, klettert er einigermaßen geschickt aus einer Luke über der Tür (Bühne: Franziska Bornkamm). Eleganter Sprung auf den Boden. Und im nächsten Moment ein fast mitfühlbares Reißen im Rücken, knapp oberhalb der Hüfte. Übergang zu Bewegungsabläufen eines alternden Mannes.

Kein Lustspiel, sondern „kleistscher Horreur“

Schon diese kleine Szene mit Widersprüchen in – und mit – sich (selbst) steht für die 1¼-stündige rasante mit viel (Spiel-)Witz gespickte und doch tiefgründige Inszenierung von „Amphitryon“ im kleinen, innovativen, spielfreudigen, humorvollen Bronski & Grünberg Theater in Wien-Alsergrund. Heinrich Kleists Stück, das meist mit Untertitel „Ein Lustspiel nach Molière“ bekannt ist, wurde trotz des durchgängig starken Witzes bis hin zum Blödeln, ohne jedoch die Story zu verblödeln, und der Spiellust dieses Zusatzes entkleidet. „Für uns steht der Kleist-Text für sich. Und Lustspiel greift zu kurz, da es doch auch sehr existenziell ist und für uns der Identitätsraub und die Gewalt so virulent sind. Daher ist es bei uns der kleistsche Horreur“, meint Co-Regisseur Martin Vischer auf die entsprechende Frage zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… Gemeinsam mir Sarah Viktoria Frick zeichnet er für die mit sehr viel Applaus – und dies bei einer Aufführung fast zwei Wochen nach der Premiere – Inszenierung verantwortlich.

Der Original-Plot

Zurück zum Geschehen, bzw. vielleicht – für jene, die die Story gar nicht kennen sollten – zum Original-Plot: Sowohl Merkur als auch der oberste römische Gott Jupiter (analog zum antiken griechischen Zeus) eigenen sich die Identitäten von Erdenbürgern an. Letzterer die des Amphitryon, seines Zeichens Heerführer der Thebener im Kampf gegen die Athener Krieger. Der andere raubt die Identität von Amphitryons Diener Sosias.

Letzterer sollte Alkmene, der Ehefrau Amphitryons die Ankunft seines Herren und ihres Mannes samt dem Geschenk eines Diadems überbringen.

Stattdessen taucht der Ober-Gott in Form dieses Ehemannes auf, vergewaltigte damit eigentlich Alkmene. Und am Ende als „Entschädigung“ noch einmal – zur Zeugung eines halbgöttlichen Sohnes namens Herkules.

Ich bin du und du bist… nix?

Rasant, turbulent und zunächst recht humorvoll gestaltet sich das erste Aufeinandertreffen von Merkur (Gerhard Kasal) mit Sosias (Peter Knaack) als Erster behauptet, Letzterer zu sein. Denkt Sosias – wobei da der Name auch noch zu etlichen Wortspielen einlädt – an einen Scherz, so entpuppt sich dieser als immer böser. Stück für Stück zieht Merkur, der nun Sosias sein will, dem echten Diener Amphitryons Gewand (Kostüm: Anna Lechner) aus und sich an. Damit nicht genug, schlägt der Gott auf den Menschen ein, heftig und fürchterlich zum Zusammenzucken im Publikum, ausgeführt mit einer grauen Schwimmnudel, die die Schläge offenbar doch erträglich machen. Als würde er ihm die Identität aus dem Leib und über die Schmerzen aus dem Gedächtnis prügeln.

Zweierlei Maß

Merkur verhilft seinem Götterboss den Eintritt ins Geschehen aus einer Klappe im Boden. Jeanne Werner gibt diesen von sich total überzeugten Jupiter, lebt die Lust im gewaltvollen Sex mit Alkmene (Brit Purwin selbstbewusst und stark und so gar nicht Opfer) aus und bringt Dietmar König als Amphitryon dazu, selbst an seiner eigenen Identität zu zweifeln. Frei nach dem Motto des lateinischen Sprichworts vom Messen mit zweierlei Maß: Quod licet Jovi, non licet bovi (Was Jupiter erlaubt ist, ist einem Rindvieh noch lange nicht gestattet).

Ich nehm‘ mir, was mir gefällt, koste es was es wolle und du bist ein armer Wurm, den ich auch zertreten / vernichten kann. Und dann bist du vielleicht gar noch dankbar und gestattest mir noch mehr – siehe Möchtegern-König oder gar -Papst à la Trampistan.

Licht und Schatten

Die rasante Inszenierung lebt von so vielen witzigen Details – Götter als Herren über Licht und Finsternis oder Schatten (?) mit Spiel rund um einen altmodischen Sicherungskasten, Anspielungen auf die haarige Geschichte mit vielen Haaren im selbigen und allüberall, einem Merkur, der sich selbst ein Ei legt… – dass sie hier gar nicht ansatzweise transportiert werden können.

Aber eins noch: Völlig schräg legt Reini Moritz die Rolle von Charis, der Ehefrau von Sosias an. Nicht ganz einfach ist vielleicht anfangs zu checken, wer nun wer ist – aber durch einander Zurufen der göttlichen Namen bzw. der Verwendung von Luxemburgisch, in dem doch viel auch zu verstehen ist, einer- und Deutsch andererseits versucht die Inszenierung die Differenzen der Personen deutlich zu machen.

Übrigens: Identitäts-Diebstahl im Internet-Zeitalter fast allgegenwärtig, ist längst kein modernes Thema, hat Kleist sein Stück doch vor mehr als 220 Jahren und Molière seine Verskomödie, bei der Ersterer Anleihe genommen hat, noch einmal fast 150 Jahre davor verfasst. Vielleicht rauben auch die Götter gar nicht die Identität der beiden Menschen, sondern zweifeln Letztere an ihrem eigenen Dasein und würden gern Götter sein, die sich ihrer bemächtigen?

PS: Die griechische Vorsilbe „amphi“ doppelt oder „zu beiden Seiten“ – Amphibien können im Wasser und an der Luft leben 😉

kijuku_heinz

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Amphitryon

Von Heinrich von Kleist

Regie: Sarah Viktoria Frick und Martin Vischer

Jupiter, in der Gestalt des Amphitryon: Jeanne Werner
Amphitryon: Dietmar König
Merkur, in der Gestalt des Sosias: Gerhard Kasal
Sosias, sein Diener: Peter Knaack
Alkmene, Ehefrau von Amphitryon: Brit Purwin
Charis, Ehefrau von Sosias: Reini Moritz

Musik: Bernhard Moshammer
Bühne: Franziska Bornkamm
Kostüm: Anna Lechner
Technik: Katharina Stoeger

Wann & wo?

18., 21., 23. Mai und
5., 6., 9., 13. Juni 2025
Bronski & Grünberg Theater
1090, Müllnergasse 2
bronski-gruenberg.at