Inklusives Theater Delphin holt eine der ersten Psychoanalytikerinnen aus dem Dunkel des Vergessens: Sabina Naftulowna Spielrein.
Aufs erste wirkt der Titel des Stückes, das im bekannten Café Landtmann neben dem Burgtheater beginnt und in einem kleinen Theater in der Blumauergasse im 2. Wiener Bezirk endet, wie ein Wortspiel. Eines, das Fragezeichen auslöst. „Wir spielen die Spielrein rein“. WTF ist „die Spielrein“?
Und genau darum dreht sich vieles in den Szenen des Inklusiven Theaters Delphin sowohl in jenem Saal im berühmten Kaffeehaus, in dem oft Pressekonferenzen stattfinden, als auch in der Delphin-Homebase. „Die Spielrein“ ist keine fiktive Figur, sondern die Ärztin und Psychoanalytikerin Sabina Naftulowna Spielrein (1885 bis 1942). Geboren im russischen Rostow am Don, als eines von fünf Kindern einer Zahnärztin und eines Kaufmannes, kam sie mit 19 Jahren in die Klinik Burghölzli in Zürich (Schweiz) mit der Diagnose „Hysterie“. Der bis heute bekannteste Arzt dort war Carl Gustav Jung, ein früher Schüler des Wiener Erfinders der Psychoanalyse, Sigmund Freud.
Ein Jahr später schon begann Spielrein in Zürich Medizin zu studieren und promovierte sechs Jahre später mit einer Arbeit über den psychologischen Inhalt eines Falles von Schizophrenie zur Doktorin. Danach verbrachte sie auch einige Monate in Wien und wurde zu den legendären „Mittwochsgesellschaften“ der Wiener Psychoanalytische Vereinigung mit Freud eingeladen und dort erst als zweite Frau aufgenommen. 1923 kehrte sie mit ihrer Tochter in ihre Geburtsstadt, dann schon in der Sowjetunion, zurück, wo einige Jahre später Psychoanalyse verboten wurde, sie dann als Pädagogin und Ärztin arbeitete. Und 1942 im Zuge des Überfalls von Nazi-Deutschland gemeinsam mit Tausenden anderen Jüdinnen und Juden ermordet wurde.
Dennoch ist auch heute ihr Name weitgehend unbekannt. Das wollte Theater Delphin ändern. Bei Diskussionen, welche Stück als nächstes in Angriff genommen werden sollte, war – so die künstlerische Leiterin und Regisseurin dieses Stücks, Gabriele Weber, zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… „klar, wir wollen eine starke Frau ins Zentrum stellen. Wir hatten verschiedene Vorschläge, Valentina nannte dann die Spielrein.“
Und diese Valentina Himmelbauer, die mehr über die in Vergessenheit geratene Pionierin in der Psychoanalyse, schrieb dann einen Text fürs Stück und schlüpft auch selber in die Rolle der Sabina Spielrein.
Die Inszenierung ist aber keine einfache Biographie dieser Wissenschafterin, die wichtige Aufsätze zur Kinderpsychologie geschrieben hat, vor allem aber auch zu Sexual- und Todestreib forschte. Das Stück ist einerseits rund um den Kampf um Anerkennung ihrer Arbeit gebaut. So beginnen zuerst vier Männer auf grauen Podesten: Sigmund Freud (Georg Wagner), C. G. Jung (Ante Pavković), Prof. Bleule, Leiter der Klinik Burghölzli (Rigel Flamond) sowie Dr. Otto Gross, ebenfalls ein Psychoanalytiker aus dieser Zeit rund um Burghölzli (Stefan Musil). Gscheit daherreden. Die Spielrein will sich – es soll doch um sie gehen – endlich Platz auf der kleinen Bühne im Landtmann verschaffen. Nix da. Kein Durchkommen. Irgendeine Randfigur soll sie spielen, wird ständig unterbrochen… Tragisch, dass dies – obwohl alle in Kostümen (Sigrid Dreger), die historisch wirken – gar nicht nur so vergangen wirkt!
Selbst Anna Freud (Ivana Veznikova; Anna als Kind wird von Anna Freud als Kind: Sinah Stamberg gespielt und getanzt) wird eher auf die Rolle als Tochter Sigmunds reduziert und der Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Kinderanalyse als „eh kloar, weil Frau…“ abgewertet. Und wenn überhaupt dann herrscht der Tenor „für eine Frau bist eh intelligent…“
Das Stück spiegelt nicht nur diesen damaligen – und heute gar nicht so viel weniger nötigen – Kampf von Frauen um Anerkennung ihrer Leistungen. Die Dynamik des Spiels lebt davon, dass die Schauspieler:innen immer wieder aus ihrer Rolle aussteigen und eben als Theaterleute agieren, die für ein Stück, ja eher sogar für einen Film proben. „Na geh, jetzt stört die schon wieder“, „so kommen wir nicht weiter“, „wir wollen doch auch fertig werden“. Wobei manche wie „halt doch endlich die Klappe“ oder „spar dir den Kommentar“ dann doch wieder gleich für beides gelten könnte. Immer wieder „muss“ die (Film-)Regisseurin im Stück (Bianca Bruckner) mahnen, dass, und wo jetzt weiter geprobt werden müsse.
Dieses Spiel im Spiel ist erst – so verraten Mitwirkende – erst bei den Proben entstanden.
Was vielleicht im Stück dann doch ein wenig zu kurz kommt, sind die Leistungen von Sabina Naftulowna Spielrein. Könnte aber sein, dass – angefixt von dem spannenden, vielschichtigen Spiel auf mehreren Ebenen, Besucher:innen das doch ausführliche Programmheft mit Zitaten aus Spielreins Tagebüchern genau zu lesen, bzw. danach zu suchen und lesen – Link zu einem wikipedia-Artikel, der einen guten Überblick verschafft, unten am Ende des Beitrages.
Was jedenfalls im Klinik-Teil im Theater dezidiert angespielt und -gesprochen wird ist die Legende von der sehr oft verbreiteten Geschichte, dass Spielrein Geliebte von C. G. Jung gewesen sein soll. Dies ist nicht sicher, basiert auf Tagebuch-Aufzeichnungen von engen, vertrauten Kontakten und auf Briefen von Jung mit Freud, in denen ersterer von sexuellen Begehren seiner Patientin schreibt. Aber was ist mit ihm? Als ihr Therapeut hätte er in so einem Fall ja das Autoritätsverhältnis missbraucht…
Auf den Spuren der Ärztin und Psychoanalytikerin Sabina Naftulowna Spielrein
Inklusive Theaterproduktion von Theater Delphin Basis 1 an zwei Spielorten
Text: Valentina Himmelbauer
Regie, künstlerische Leitung: Gabriele Weber
Sabina Naftulowna Spielrein: Valentina Himmelbauer
Prof. Bleule, Leiter der Klinik Burghölzli (Schweiz): Rigel Flamond
(Film-)Regisseurin im Stück: Bianca Bruckner
Dr. Otto Gross: Stefan Musil
C. G. (Carl Gustav) Jung: Ante Pavković
Lou Andreas-Salomé: Alex Spreitzer
Prof. Sigmund Freud: Georg Wagner
Emma Jung, Ehefrau von C. G. Jung: Angela Wirnsberger
Namenlose Patientin: Judith Czerny
Krankenschwester Johanna: Ulli Munsch
Anna Freud als Kind: Sinah Stamberg
Anna Freud als Erwachsene: Ivana Veznikova
Ewa Markowna, Spielreins Mutter: Gabriele Weber
Produktionsleitung: Georg Wagner
Technik: Marion Oberleitner
Kostüme: Sigrid Dreger
Graphik, Layout: Eva Seidl
Social Media: Annika Segel, Nancy Abdelmalak
Aufführungsrechte: Verein Theater Delphin
Bis 18. Mai 2024
Beginn: 18 Uhr Cafe Landmann, 1010 Universitätsring 4
Wanderung bis U2 und mit dieser zur Taborstraße von dort zum Theater Delphin: 1020, Blumauergasse 24
wo weitere Szenen gespiel werden
insgesamt 2 ½ Stunden
Telefon: 0675 448 87 78
karten@theater-delphin.at
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