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Szenenfoto aus "Peter Schlemihls wundersame Geschichte" im Theater der Jugend, Wien
Szenenfoto aus "Peter Schlemihls wundersame Geschichte" im Theater der Jugend, Wien
04.04.2022

Ewiger Außenseiter kämpft um seinen verkauften Schatten

Das Theater der Jugend (Wien) bringt in seine Version von „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ auch dessen Autor, Adelbert von Chamisso, als Bühnenfigur ein.

Unglücksrabe, Pechvogel – sowohl als armer Schlucker als auch später, als er zu Reichtum gekommen ist. Das ist Peter Schlemihl und seine wundersame Geschichte. In nicht ganz zweieinhalb Stunden (eine Pause) wird das berühmte Märchen von Adelbert von Chamisso derzeit (bis 1. Mai 2022) sehr kurzweilig in einer eigenen Version im Renaissancetheater gespielt.

Szenenfoto aus
Schlemihl und der graue Herr

Gold gegen Schatten

Die Grundgeschichte: Durch einen „grauen Herren“, der alles Mögliche aus seinen (Mantel-)Taschen hervorzaubern kann, wird die Hauptfigur unerschöpflich reich. Wie viele Goldmünzen Peter Schlemihl auch immer aus dem Zauber-Lederbeutel zieht, der füllt sich immer wieder. Doch dafür musste er dem geheimnisvollen Herren seinen Schatten überlassen, den dieser zusammenrollt und in seine Tasche steckt.

Ach, was kümmert mich schon so (m)ein Schatten, war dessen Überlegung. Und würde es dir, mir oder sonst wem auffallen, dass da einer in der Welt (der ganzen Bühnenboden ist mit einer Weltkarte überzogen; Ausstattung und Lichtkonzept: Friedrich Eggert) unterwegs ist und keinen Schatten wirft? Das merkte selbst der bekannte Schriftsteller Thomas Mann in einer Besprechung einer neu illustrierten Ausgabe von Chamissos Märchen an (1910 im Berliner Tagblatt). „Wenn mir in der Sonne ein Mensch begegnete, der keinen Schatten würfe, – würde es mir auffallen? Und wenn es mir wirklich auffiele, würde ich nicht einfach im Stillen auf irgendwelche mir unbekannte optische Ursachen schließen, die die Entstehung eines Schlagschattens in diesem Falle zufällig verhindern? Gleichviel! Eben die Unkontrollierbarkeit und Unentscheidbarkeit dieser Frage ist das treibende Motiv, der eigentliche Witz und Einfall des Buches, und die Voraussetzung zugegeben, so ergibt alles sich mit erschütternder Folgerichtigkeit.“

Szenenfoto aus
Peter und Mina

Schatten = Seele

Wobei Chamisso (1781 bis 1838) schnell seinen Peter (das Jiddische schlemiel steht für ungeschickte Person, unschuldiges Opfer von Streichen und kommt möglicherweise aus dem Hebräischen šęlęm das für „Opfer/Dankopfer“ steht) auf verschiedene Menschen treffen, die vor ihm die Flucht ergreifen: Wer keinen Schatten werfe, habe keine Seele, sei also zu meiden. Diese eng(st)e Verbindung Schatten und Seele zieht sich durch viele (religiöse) Vorstellungen und Kulturen. Teils gilt es auch als Teil des Menschen, ohne den dieser nicht ganz ist – Licht und Schatten fast wie Yin und Yang.

Szenenfoto aus
Ärmlicher Dorfempfang für den reichen geheimnisvollen Mann ohne Schatten

Wie auch immer, Peter Schlemihl (Marius Zernatto) ist frisch wieder unglücklich, Außenseiter, wenngleich er mit seinem Reichtum sich angenehmerer Lebensumstände schaffen kann. Aber einsam, wenngleich er sich Diener leisten kann. Den treuen Bendel aus dem Original macht die Version des Theaters der Jugend von Gerald Maria Bauer und Sebastian von Lagiewski zu einer Figur mit einem Zweitleben – den Autor Adelbert von Chamisso (Valentin Späth) selbst, der dem Peter Schlemihl irgendwie beschützen und behüten will. Als Gegenspieler hat er jedoch den zweiten Diener Rascal, der von Florian Stohr durchtreiben hinterhältig gespielt wird, der auch – anfangs sehr distanziert, gegen Ende extrem fordernd – den grauen Herren und damit natürlich den Teufel spielt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ im Wiener Renaissancetheater (großes Haus des Theaters der Jugend)

Schattendasein für Frauen

Als einzige nennenswert in Erscheinung tretende Frauenfigur erleben wir immer wieder selbstbewusst Victoria Hauer als Mina, die sich nicht mit der arrangierten ehe ihres Vaters abfinden will und als Krankenschwester, aber auch eines der Schulkinder. Sowie als einen der Schatten. DEN Schatten schlechthin, jenen von Schlemihl, spielt Stefan Rosenthal, unter anderem.

Szenenfoto aus
Schatten von Chamisso – mit Anklängen an die wissenscahftliche Karriere des Schriftstellers

Schatten spielen

Die auftretenden Schatten sind keine solchen, sondern wie eben genannt Schauspieler:innen. In Materialien des Theaters der Jugend zum Stück erklärt Lichttechniker Fritz Gmoser: „Bei dieser Produktion standen wir vor der Aufgabe, die Schatten von Darsteller*innen für das Publikum sichtbar zu machen. Die Lösung war eine Folie an der hinteren Bühnenwand, die von hinten beleuchtet wird. Davor wurde ein Netzvorhang gespannt. Die Darsteller*innen, die sich zwischen dieser Folie und dem Netz befinden, werden für das Publikum nur noch als schwarze Schatten sichtbar.“

Szenenfoto aus
Mina und Peter

Empathischer Kämpfer

Natürlich holt sich Schlemihl seinen Schatten zurück, auch wenn er sich nicht auf den Handel mit dem Teufel einlässt. Seinen Befreiungsmoment erlebt er als er sich von seinem Reichtum trennt und den magischen Beutel weit von sich wirft. Und trotz der starken Moral von der Geschichte wirken die zweieinhalb Stunden nicht lehrmeisterlich mit erhobenem Zeigefinger. Wie schon das Original erleben wir einen Außenseiter, der trotz widrigster Umstände nicht aufgibt und ständig um sein Seelenheil kämpft – und dabei immer mit viel Empathie seinen Mitmenschen begegnet, aber auch standhaft und hart bleibt, wo es nötig ist.

Gemutmaßt wird häufig, dass Chamisso diese Geschichte vor dem Hintergrund dessen verfasst, dass er als gebürtiger Franzose der in Deutschland lebte, weder von den einen noch von den anderen voll akzeptiert worden ist, sich nirgends wirklich heimisch fühlte.

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Peter Schlemihls wundersame Geschichte

nach Adelbert von Chamisso
von Gerald Maria Bauer und Sebastian von Lagiewski
ab 12 Jahren; ca. 2 ½ Stunden

Peter Schlemihl: Marius Zernatto
Chamisso / Bendel / Ein Bettler: Valentin Späth
Ein grauer Herr / Rascal: Florian Stohr
Mina / Ein Schatten / Ein Schulkind: Victoria Hauer
Herr John / Forstmeister / Ein Wirt / Ein Schatten / Ein Bauer: Kaj Louis Lucke
Der Maler / Der Torfstecher / Schlemihls Schatten / Ein Schulkind: Stefan Rosenthal
Schwester des Forstmeisters / Gast bei John / Frau mit Kopftuch / Ein Schatten: Christine Tielkes
Der Bürgermeister / Schneider: Uwe Achilles
Ein Diener / Ein Bauer / Ein Schulkind: Jakob Pinter
In weiteren Rollen: Ensemble
Swing: Jakob Pinter

Regie: Gerald Maria Bauer
Ausstattung und Lichtkonzept: Friedrich Eggert
Dramaturgie: Sebastian von Lagiewski
Assistenz und Inspizienz: Simone Tomas
Hospitanz: René Kmet

Aufführungsrechte: Theater der Jugend, Wien

Wann & wo?

Bis 1. Mai 2022
Renaissancetheater: 1070, Neubaugasse 36
Telefon: 01 521 10
tdj -> peter-schlemihl