„Schwestern? War’n wir gestern!“ – ein revue-artiger Abend über die vor 30 Jahren verstorbene Sängerin und Hollywood-Größe mit Hits aus ihrem Schaffen und Verborgenem aus ihrem Leben – im Theater Forum Schwechat.
Erster Hollywood-Filmstar aus Deutschland UND weltbekannte Sängerin – das war Marlene Dietrich. Ein halbes Jahr nach ihrem 30. Todestag gibt es einen berührenden, beschwingten und doch auch sehr nachdenklichen Abend in Form einer klassischen Revue. Als Welturaufführung. Und mit durchaus auch un- oder zumindest sehr wenige bekannten Tatsachen aus der Biographie der Marie Magdalene Dietrich (geboren am 27. Dezember 1901 in Schöneberg/Berlin und gestorben in Paris am 6. Mai 1992). „Schwestern? War’n wir gestern!“ heißt der nicht ganz zweistündige Abend im Theater Forum Schwechat – bis 2. Dezember 2022 (ca. zehn Gehminuten von der S-Bahn-Station, die übrigens noch zum Netz der Wiener Linien gehört, Details siehe Info-Box am Ende des Beitrages).
Wer schon gut ¼ Stunde vor dem Beginn der Aufführung im Saal sitzt, kann sogar die Originalstimme DER Dietrich aus einem Radio-Interview aus dem Jahre 1963 hören. Danach schlüpft die künstlerische Leiterin des Theaters, Manuela Seidl herself in die Rolle der Bühnen- und Filmgröße (mit insgesamt 15 Kostümwechsel – Kostüme: Sigrid Dreger), beginnt allerdings als alte Frau im Rollstuhl mit dem Rücken zum Publikum aus ihrem Leben zu erzählen. Und switcht dann in die der jungen Marlene Dietrich – noch am Beginn ihrer Karriere – mit den ersten Rollen und vor allem Liedern/Songs. Dabei ist sie nicht allein. Nein, die schon im Titel angekündigte (ältere) Schwester Elisabeth (1900 – 1973) kommt erst im zweiten Teil so wirklich vor. Aber auch schon davor gesellt sich Gudrun Liemberger, die dann später in Liesls Rolle schlüpft, bei den Chansons und Liedern stets als sozusagen innere Schwester Marlenes in den dazugehörigen Lichtspot vor dem zweiten Mikrophon. Im Duett erfüllen sie den Saal mit den gesungenen Zeilen zu vorerst weniger und dann vor allem den bekannten Melodien von der „feschen Lola“ oder „vom Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“. Synchron tanzen sie – unter anderem auch eine Stepp-Nummer, bringen das Flair des Weltstars auf die Bühne in Schwechat.
Der zweite Teil birgt dann die Überraschung, sozusagen die Enthüllung. Marlene nutzte die Gunst des Welterfolgs vor allem in den USA, um nicht mehr nach Nazi-Deutschland zurückkehren zu müssen. Sie stellte sich gegen den Faschismus, nahm die US-Staatsbürgerschaft an und unterstützte moralisch die gegen die Nazis kämpfenden Truppen mit Gesangsauftritten und Lazarettbesuchen. Nach dem 2. Weltkrieg wurde sie bei ihrer ersten Deutschland-Tournee in den 60er Jahren immer wieder wüst als „Verräterin“ beschimpft. Solches unter anderem in einer der Projektionen auf weißer Leinwand über der Bühne zu sehen.
Die Schwester blieb in Deutschland und betrieb mit ihrem Ehemann in der Nähe des Konzentrationslagers Bergen-Belsen ein Kino und eine Kantine. Ob das der Grund war, weshalb sie Marlene gebeten hat, nie über ihre Schwester zu reden, ist nicht klar. Allerdings, dass der Kontakt bis zu Liesls Tod aufrecht blieb und diese – nach der Trennung von ihrem Ehemann – auch von Marlene finanziell unterstützt wurde. Aber sie hielt auch ihr Versprechen, nie über Liesl zu sprechen. Auch dieser Satz kommt in dem Abend vor, den Marius Schiener inszeniert hat – wie auch schon im Vorjahr die etwas andere Peter-Alexander-Show, bei dem dessen Ehefrau und Managerin Hilde Haagen ins Zentrum gerückt worden war.
Der Teil nach der Pause ist aber auch der gesellschaftspolitischere. Bob Dylans Klassiker „Blowin‘ in the Wind“, von Dietrich als „Die Antwort weiß ganz allein der Wind“ über Straßen voller Tränen und Leid, Unfreiheit und Armut auf der Welt einer- und „Berge von Geld … für Bomben, Raketen und Tod“ darf hier ebenso wenig fehlen wie DAS Antikriegslied der Dietrich, „Sag mir, wo die Blumen sind“, mit dem die beiden Sängerinnen einfühlsam und doch entsprechend kraftvoll den Saal erfüllen, Herzen und Hirne – hoffentlich – erreichen. Mit dieser Übertragung ins Deutsche hatte Marlene Dietrich 1962 den sieben Jahre zuvor von Pete Seeger geschriebenen Antikriegs-Song „Where have all the Flowers gone“, der sich aber auch gegen Gewalt an Frauen ausspricht, noch populärer gemacht.
Tragischer Wermutstropfen bei den zuletzt angeführten Songs: Gelernt hat die Menschheit in den vergangenen Jahrzehnten nicht wirklich ;(
Das kommt auch in einem Lied, das Seidl/Liemberger intoniert und von einer in Vergessenheit geratenen Grazer Autorin stammt, damals schon knapp und präzise zum Ausdruck. „In den Kasernen“ … heißt es unter anderem „In den Kasernen, da warten sie… Auf Menschen Brüder, da schießen sie. /Und Menschen Brüder befehlen sie. / So war‘s schon immer, und endet nie. / Auf Menschen Brüder, da schießen sie. … / Kreuz unter Kreuzen, so enden sie. / Kreuz unter Kreuzen, wer denkt an sie …“ Hertha Koch (geborene Brückler) aus Graz hatte diesen Text für Marlene Dietrich geschrieben. Und sie sang ihn. Die anderen Texte nicht mehr, da hatte die große Künstlerin ihre Karriere bereits beendet.
Jenes Lied, das den Abend beschließt, ist hinzugefügt „und ich bin sicher, wenn sie es gekannt hätte, hätte sie es gesungen“, meint der Regisseur des Abends, Marius Schiener zu Kinder I Jugend I Kultur I und mehr…: „Lieb Vaterland“ (Text: Eckart Hachfeld, Musik: Udo Jürgens). Unter anderem heißt es hier: „Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein, / Die Großen zäunen Wald und Ufer ein, / Und Kinder spielen am Straßenrand, … Die Großen zäunen ihren Wohlstand ein. / Die Armen warten mit leerer Hand,/ Lieb’ Vaterland!“ Versicherungspaläste und Schulen statt Kasernen kommen ebenfalls in diesem Song vor. Damit wagte Udo Jürgens 1971 als schon bekannter, auch Song-Contest-Sieger, den Schritt vom Schlager zur Unterhaltung mit Haltung – wofür er anfangs heftig angefeindet worden war.
Das Bühnenbuch des Abends hatte der Regisseur gemeinsam mit DEM heimischen Marlene-Dietrich-Experten verfasst, Peter Kraxner, der auch Bücher über sie (mit-)geschrieben hat. Er hatte bis zu deren Tod regelmäßigen Kontakt mit der einstigen Sängerin und (Film-)Schauspielerin – persönlich, brieflich und telefonisch. Kopien von Briefen sowie zahlreiche Fotos und Fahnen aus einer US-Ausstellung über Dietrich zieren die Wände des Theaterfoyers.
Wie es überhaupt zu dem Kontakt gekommen ist, schildert Kraxner im Gespräch mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…: „Ich war 16 Jahre, es war noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. Die SPÖ hat auf der Donauinsel ein Treffen europäischer Kinder und Jugendlicher von beiden Seiten der Grenzen organisiert und wir haben unter anderem „Sag mir, wo die Blumen sind“ gesungen.“
Kraxner schreib davon an Marlene Dietrich, die zu der Zeit in Paris lebte. „Sie hat mir nach ein paar Tagen zurückgeschrieben. Und so hat der Kontakt begonnen, der dann nicht mehr abgerissen ist.“ Dazwischen hat er sie auch real in Paris besucht und ein Gespräch aufgenommen. Ihre Stimme ist über ein altes Wählscheiben-Telefon in der Ausstellung zu hören.
Eine Revue über Marlene Dietrich und ihre Schwester Elisabeth
Welturaufführung mit Livemusik!
Buch: Peter Kraxner & Marius Schiener
Inszenierung: Marius Schiener
Es spielen
Marlene Dietrich: Manuela Seidl
Mutter/ Schwester Liesl: Gudrun Liemberger
Musikalische Leitung und Livebegleitung: Gábor Rivó
Kostüme: Sigrid Dreger
Bühne: Barbara Strolz, Werner Ramschak und Daniel Truttmann
Mitarbeiterin der Regie: Amy Parteli
Technische Leitung: Werner Ramschak
Eigenproduktion Theater Forum Schwechat
Im Foyer: Ausstellung über Marlene Dietrich kuratiert von Peter Kraxner, der Marlene Dietrich persönlich kannte.
Bis 2. Dezember 2022
Theater Forum Schwechat: 2320, Ehrenbrunngasse 24
Telefon: 01 707 82 72
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