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Zeynep Buyr als Prof. Roger Hardiman (rechts im Foto) - Szenenfoto aus "Die Ärztin" im Burgtheater (Wien)
Zeynep Buyr als Prof. Roger Hardiman (rechts im Foto) - Szenenfoto aus "Die Ärztin" im Burgtheater (Wien)
04.02.2022

„Ich spiel gern die Bösen und Gemeinen“

Interview mit Zeynep Buyraç, Debutantin am Wiener Burgtheater aber schon lange Schauspielerin auf Theaterbühnen und in TV- sowie Kinofilmen.

Zeynep Buyraç spielt im Wiener Burgtheater in „Die Ärztin“, einer Überschreibung von Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ einen intriganten stellvertretenden Klinikleiter, der am Sessel der Chefin sägt und eine Diskutantin in einer TV-Show. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … führte mit ihr, sowie Sandra Selimović, Darstellerin der Charlie, der Lebenspartnerin der Klinikleiterin Ruth Wolff, Interviews. Für beide, langjährige Schauspielerinnen, sind es die ersten Auftritte auf dieser Paradebühne im deutschsprachigen Raum. Um ewiges Runter-scrollen zu vermeiden, sind die beiden Gespräche in eigenen – miteinander sowie mit der Besprechung des Stückes verlinkten – Beiträge zu finden.

Wurdest du genau für die Rolle des Professor Roger Hardiman gesucht/gecastet?
Zeynep Buyraç: Irgendwann einmal im Sommer kam der Anruf. Ich war in Bregenz, um wieder für die Festspiele zu proben. Ich wurde gefragt, ob ich Interesse hätte, in „Die Ärztin“ mitzuspielen. Ich hab mir das Stück schicken lassen, es gelesen und war sehr begeistert – und so kam’s, dass ich jetzt hier dabei bin.

Bist du zufrieden mit der Rolle dieses Hardiman oder hättest du gerne eine andere Rolle gespielt? Warum genau ihn?
Zeynep Buyraç: Weil der so genau nichts mit mir zu tun hat. Das ist erstens einmal ein Mann, dann hat er katholischen Background und, und , und – also die Reise war eine andere. Die rolle ist so entfernt von mir und das hat mich total interessiert. Spannend war/ ist ja auch die Idee des Autors und Regisseurs dahinter: Nicht gut/böse, sondern die Zwischentöne. Diese Suche war sehr spannend. Du darfst ja keinen Bösewicht spielen, du musst ja diesen Menschen am Ende des Tages verstehen auch wenn ich nicht mit dem auf einen Kaffee gehen will.

Szenenfoto aus
Zeynep Buyr als „Zwei“ (rechts im Foto), eine der Diskutant:innen in der TV-Show mit der Klinik-Chefin Ruth Wolff (gespielt von Sophie Kessel im Vordergrund und groß im Hintergrund projiziert

Und die zweite Rolle in der TV-Show als Medizinehtikerin, Anwältin und Abreibungsgegnerin?
Zeynep Buyraç: Und Muslimin. Das ist insofern spannend, weil im Original ist es ja eine Katholikin. Während der Proben hab ich gesagt, wir haben alle monotheistischen Weltreligionen, aber Islam nicht, das fand ich schade. Und ich hab doch ein bisschen was damit zu tun. Dann haben wir erst recherchiert, wie die Haltung der Muslim:innen gegenüber Abtreibung ist und sind drauf gekommen, die sind eigentlich entspannter.

Anders als bisherigen Bühnenerfahrungen?

Wie ist es, auf der riesengroßen Bühne des Burgtheaters vor 1000 Leuten zu spielen, ist das doch anders als deine bisherigen, jahrelangen Bühnenerfahrungen?
Zeynep Buyraç (lacht herzlich): Du gewöhnst dich wahnsinnig schnell daran. Beim ersten Mal ist es natürlich schon ein Wahnsinn: Die Bühne ist riesig, der Zuschauerraum ist riesig – nicht so sehr die Tiefe, sondern vor allem die Höhe. Du darfst ja nicht übertreiben nach oben spielen, aber du musst dir bewusst sein, dass da irgendwo oben, ganz wie weg auch Leute sitzen. Aber wir haben zum Glück gute Probenzeiten auf der Bühne

Wobei geprobt wird ja die meiste Zeit nicht auf dieser Bühne, oder?
Zeynep Buyraç: Ja, genau, im Arsenal auf der Probebühne, aber wir hatten schon viel Zeit hier.

Aber doch vor leerem Publikumsraum?
Zeynep Buyraç: Aber wir hatten – Glück im Unglück durch Lockdown das ganze Theater für uns, um hier intensiv zu proben. S gab ja keine Vorstellungen. Das war sehr hilfreich.

Ist diese Angst/Ehrfurcht vor dem großen vollen Publikumsraum weg in dem Moment wo du auf der Bühne stehst?
Zeynep Buyraç: Das Spannende an diesem Theater ist ja du bist trotzdem den Menschen wahnsinnig nahe, es ist schwer zu beschreiben, aber der Kontakt ist sofort da. Obwohl alles so groß ist, kann es hier sehr intim sein. Ich seh und spür die Menschen total. Umgekehrt ist es sicher fürs Publikum: Wenn du unten im Parkett sitzt, siehst du ein anderes Stück als ganz oben aus dem dritten Rang. Aber natürlich bin ich jedes Mal nervös?

Aber mehr als auf einer anderen Bühne?
Zeynep Buyraç: Eigentlich nein. Ich bin immer nervös.

Das sagen aber viele Schauspieler:innen, in mehreren Interviews hab ich so Sätze gehört wie „Wenn ich nicht vor dem Auftritt nervös bin, habe ich das Gefühl, irgendwas stimmt nicht.“
Zeynep Buyraç: Genau so geht’s mir auch. Es würde mich wesentlich mehr nervös machen, wenn ich nicht nervös bin.

Das Rundherum in einem so großen Haus ist das anders?
Zeynep Buyraç: Die Bedingungen sind andere, der Apparat ist wesentlich größer. Für jedes Anliegen gibt’s eine andere Abteilung, aber es funktioniert wunderbar, die sind alle entzückend.

Theater oder Film?

Du spielst viel Theater, aber auch Film und TV. Was ist dir lieber. Wo fühlst dich wohler?
Zeynep Buyraç: Ich möchte beides nicht missen, es ist zwar anders, aber es ist ja doch am Ende des Tages der selbe Beruf. Ich mach beides sehr, sehr gern. Vom Rhythmus her ist es ganz anders, aber am Theater hast du halt Menschen vor dir zu denen zu spielst. Das will ich auf jeden Fall. Beim Film ist alles auch sehr zerhackt und nicht chronologisch. Bei „Wischen ist Macht“ haben wir am Stück vier Monate gedreht und ein Gutteil der Arbeit war für mich die genaue Vorbereitung, zu wissen wo gehört die Szene die wir jetzt drehen hin. Und die Figur im Griff haben, dass du das leicht und mehrere Male hintereinander spielen kann. Was du trainieren musst, ist so viel warten zu können und dann, wenn es so weit ist, am Punkt trotzdem voll da zu sein.

Was steht als nächstes auf dem Spielplan?
Zeynep Buyraç: Im Werk X kommt wieder Konsum, dann mach ich was Schönes an der Drachengasse, wenn’s gut läuft, wird ich vielleicht über den Sommer drehen – das darf ich dir noch nicht sagen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Demokratische Nacht, du Prolet“ im Werk X-Meidling (Wien)

Mit Tanz begonnen

Von deiner Biografie her hast du ja zuerst Tanz gemacht?
Zeynep Buyraç: Ja, in Istanbul.

Machst du noch irgendwas mit Tanz, oder war das der Kindheitstraum und dann wolltest du mehr Schauspiel – wo du in Wien studiert hast?
Zeynep Buyraç: Mit 15, 16 Jahren hab ich gemerkt: Das macht mir Spaß, DAS ist es aber nicht, ich will schon reden.

Wie kam’s zu diesem Wunsch als kleines Kind, warst du mit den Eltern oft im Ballett, im Theater?
Zeynep Buyraç: Meine Mutter ist mit mir jeden Samstag – ab glaub ich sieben Jahren bis ich 13 ins Theater gegangen, danach hab ich allein Stücke besucht.

Nicht nur Ballett?
Zeynep Buyraç: Nein, auch und vor allem Theaterstücke. Das war ein Teil meines Lebens.

Und das hat dich angefixt, selber zu spielen, aber du hast doch mit Balletttanz begonnen?
Zeynep Buyraç: Ich wollte auf die Bühne. Bei Ballett hatte ich das Gefühl, da muss man wahnsinnig viel können, bei Schauspiel hast du als Zuschauerin ja oft nicht das Gefühl, dass da so viel Arbeit dahinter steckt. Deswegen war Schauspiel immer schon Teil meines Lebens, mit sieben, acht Jahren wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass man das studieren kann. Erst mit 16, 17 bin ich da drauf gekommen.

Hexe und Medea

Gibt es das eine oder andere Stück, eine Figur, die dir aus den Kindheitsbesuchen stark in Erinnerung geblieben ist?
Zeynep Buyraç: Die Hexe in „Der Zauberer von Oz“ ist total hängen geblieben und später hab ich eine wunderbare Medea gesehen. Überhaupt haben mir die ganzen griechischen Frauenfiguren in meiner Jugend imponiert, wo du gern leidest und alles ein Riesendrama ist. Die hab ich alle gelesen, auch vorgesprochen, Mit 19 oder 20 hab ich mich auch nie jugendlich gefühlt, nicht dieses Naive, das hat mich alles nicht interessiert. Ich will die Bösen, die Gemeinen spielen, die kein glückliches Ende haben, das hat mir schon damals mehr Spaß gemacht.

In Wien hast du dann Schauspiel studiert.
Zeynep Buyraç: Mit 19 in Wien hab ich am Konservatorium die Aufnahmeprüfung für Schauspiel gemacht. Also, es kommen schon immer wieder Stücke, wo ich mich sehr körperlich bewege, aber ich hab wahnsinnig viel als Schauspielerin von der langjährigen Tanzausbildung profitiert. Dadurch hab ich ein sehr gutes Körpergefühl, das hilft mir schauspielerisch sehr viel.

Inwiefern?
Zeynep Buyraç: Dass mein Körpergedächtnis gut funktioniert, auch vieles über das Körperliche verstehen und umsetzen kann. Ich bin fit geblieben. Und Disziplin, das ist vom Tanzen übriggeblieben. Ich liebe nach wie vor Tanztheater großartig, aber ich habe mich als Jugendliche dann nicht mehr dort gesehen. Mit der rolle der Balletttänzerin konnte ich gar nicht viel anfangen. Klar, während der Ausbildung gab’s auch Modern Dance, aber hauptsächlich Ballett.

Wie kam es, dass du in Istanbul die deutsche Schule besucht hast?
Zeynep Buyraç: Das ist eine sehr gute Schule wie auch die anderen internationalen – die amerikanische, französische, österreichische, meist noch im osmanischen Reich gegründet. Meine Eltern wollten, dass ich eine sehr gute Bildung genießen kann und zwei Sprachen lerne, Abitur mache und im besten Fall was „G’scheites“ studier‘. Das ist dann (lacht herzlich) doch anders gekommen.

Wie fiel deine Wahl auf Wien?
Zeynep Buyraç: Ich war mit 16 einmal in Wien, eine Freundin aus der deutschen Schule besuchen, die damals an der Filmakademie zu studieren begonnen hat. Ich hab mich so in diese Stadt verliebt. In Berlin war ich auch, aber das war für mich wie Istanbul nur ohne Meer. Ich hab’s auch nie bereut.

Länger in Wien als in Istanbul

Wobei du in Wien ja schon mittlerweile mehr Jahre lebst als du in Istanbul gelebt hast und dennoch wurde in praktisch allen Medienberichten weniger über deine Rolle berichtet als mehr darüber, dass du die erste Türkin am Burgtheater bist.
Zeynep Buyraç: In diesen mittlerweile glaub ich 15 Jahren in denen ich diesen Beruf ausübe, wurde ich ja nie oder kaum als Türkin besetzt. Ich hab ja alles Mögliche spielen dürfen und können, unter anderem eine ukrainische Oligarchin in der Fernsehserie „Wischen ist Macht“. Reduziert wurde ich nie, ich musste auch nie etwas mit gebrochenem Deutsch spielen. Ich hätte auch kein Problem, eine Türkischstämmige zu spielen, wenn die Rolle Sinn macht.

Hier ist der ganze Wahnsinn ja so entstanden, dass mich eine Freundin im Smalltalk gefragt hat, bist du eigentlich die erste Türkischstämmige auf der Burgtheaterbühne. Ich hab gesagt: „Keine Ahnung, waß i ned, glaub i ned!“ Dann hat sie gesagt, dann frag einmal. Das hab ich gemacht, dann hat man hier glaub ich drei Wochen recherchiert – bis 80er, 70er, 60er zurück. Eines Tages kam unsere Dramaturgin und hat gesagt: Sie glaubt schon. Dann war die Katze aus dem Sack.

Gestehe, ich fand’s befremdlich. Wobei übrigens Frau vielleicht, ein Mann mit Wurzeln in der Türkei, auch wenn er dort fast 30 Jahre Einreiseverbot hatte, DER kurdische Sänger und Musiker Şivan Perwer hat vor fast zehn Jahren gemeinsam mit Ostbahn-Kurdi (wie ihn der damalige Bundespräsident Heinz Fischer ehrenhalber umbenannte) die Bühne des Burgtheaters gerockt, massenweise sind Leute im Publikum aufgesprungen und haben in den Gängen getanzt.
Zeynep Buyraç: Stimmt. Mich stört’s oder nervt’s überhaupt nicht, es interessiert mich nicht, weil ich mich nicht als Türkischstämmige oder österreichisch definiere. Das Sind keine Definitionen in meiner Welt. Ich hab so das Gefühl gehabt, dass es nicht nur um ein Theaterstück, eine Rolle oder mich als Schauspielerin ging, sondern eine Botschaft, die echt größer ist. Als Feedback auf allen möglichen Kanälen von blutjungen Menschen, die mich noch nie gesehen hatten, kam an mich: Sie sind so stolz, dass sie jetzt gesehen werden. Grad in der ganzen Integration – wenn du nicht sichtbar bist, gibt’s keine Teilhabe. Das hat eine Bedeutung für Menschen, die eine ähnliche Einwanderungsgeschichte haben. Und das Burgtheater ist ja auch nicht nur ein Theater, es ist ein Symbol.

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Zeynep Buyraç