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Szenenfoto aus "Mario und der Zauberer" des Nö-Landestheters in der Theaterwerkstatt und mobil in Schulen: Sven Kaschte
Szenenfoto aus "Mario und der Zauberer" des Nö-Landestheters in der Theaterwerkstatt und mobil in Schulen: Sven Kaschte
11.12.2023

Ist es möglich, unbeteiligt zuzuschauen?

Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“ als Solo-Stück des NÖ-Landestheaters auch für Klassenzimmer über populistische Verführungskunst.

Ein Solo-Schauspieler, der zwischen Erzähler und dem Zauberer hin und her switcht und außer einem Tisch und Sessel nur ein paar Requisiten. Mehr braucht es nicht. Oder natürlich doch: Das starke Spiel von Sven Kaschte – und Publikum. Ob in der Theaterwerkstatt des niederösterreichischen Landestheaters auf der Rückseite des großen Hauses auf dem Rathausplatz oder – dafür ist „Mario und der Zauberer“ in erster Linie gedacht – in Schulklassen.

Basis: Manns Familien-Urlaub

Als Erzähler schlüpft der Schauspieler damit auch gleich in die Rolle des Autors, des berühmten Thomas Mann. Der hat diese Novelle 1930 veröffentlicht – ausgehend von eigenen Erlebnissen und Stimmungseindrücken bei einem Urlaub in Italien.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Mario und der Zauberer“ des Nö-Landestheters in der Theaterwerkstatt und mobil in Schulen: Sven Kaschte

Als offenbar äußerst unangenehm empfindet Mann, der mit Frau und Kindern Urlaub an der Festlandküste machte, dass die Veranda mit Meerblick im Hotel, in dem sie wohnten, ausschließlich einheimischen Gästen vorbehalten blieb – auch wenn wes freie Plätze gab. Weswegen sie die Unterkunft wechselten. Im Zentrum der Erzählung steht aber der Auftritt eines Zauberers namens Cipolla (was übrigens auf Deutsch Zwiebel heißt). Der Magier hat zwar einige Kartentricks auf Lager, in erster Linie aber demonstriert er, wie leicht sich Menschen im Publikum manipulieren lassen können. Wobei er sie dann noch versucht, der Lächerlichkeit Preis zu geben – wie zuletzt beim Kellner Mario – der sich grausam rächt, aber nur in der Novelle. Und das auf eine Idee von Manns Tochter Erika hin. Angeblich wurde dieser echte erlebte Abend für den Vater erst durch diese krasse Wendung zu einer literarischen Geschichte, die er dann niederschrieb.

Anmachen, Niedermachen

Sven Kaschte geht mehrmals auch durch die Reihen des Publikums, versucht die einen oder den anderen zu fixieren, auf die Bühne zu holen oder alle Zuschauer:innen einzuschüchtern – und dann doch wieder irgendwie für sich zu gewinnen – zumindest alle gegen jene Person, die er gerade sozusagen vorführen will.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Mario und der Zauberer“ des Nö-Landestheters in der Theaterwerkstatt und mobil in Schulen: Sven Kaschte

Um die Manipulationskraft eines „Führers“ einerseits und die Verführbarkeit vieler dreht sich diese eigentlich parabelartige Novelle. Immerhin – das sollte vielleicht als Hintergrundinformation vorausgeschickt werden, was möglicherweise nicht alle Besucher:innen von vornherein wissen: In Italien war 1926 als Thomas Mann und Familie diese Erlebnisse im Urlaub hatten, schon mehrere Jahre lang Benito Mussolini, der Bruder im Geiste Adolf Hitlers an der Macht (ab 1922 Ministerpräsident, ab 1925 als faschistischer Diktator). In Deutschland war Hitlers NSDAP bei den Wahlen 1928 zwar noch eine kleine Splitterpartei mit nicht einmal drei Prozent der Stimmen, aber erstmals arbeiteten die Konservativen mit den Nazis zusammen, machten sie salonfähig.

Nur zusehen?

Aber nicht nur das Verhältnis zwischen dem Zauberer als Verführer und den Massen, die sich auf die Manipulationen einließen, ist Thema des beängstigend ergreifenden Stücks, sondern auch die Rolle des Erzählers wirft so manche Frage auf: Zwar ist es ihm unangenehm und mehrmals wirft er ein, eigentlich hätten sie sollen schon früher abreisen und vor allem nicht mit den Kindern den ganzen Abend bei dieser Zaubershow bleiben, aber…

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Mario und der Zauberer“ des Nö-Landestheters in der Theaterwerkstatt und mobil in Schulen: Sven Kaschte

„Soll man >abreisen<, wenn das Leben sich ein bisschen unheimlich, nicht ganz geheuer oder etwas peinlich und kränkend anlässt? Nein doch, man soll bleiben, soll sich das ansehen, und sich dem aussetzen, gerade dabei gibt es vielleicht etwas zu lernen…“

Doch „lernen“ nur aus einer über den Dingen stehenden und diese mit Verachtung betrachtenden, vielleicht sogar ironisch-zynischen Position? Ohne sich dem Geschehen entgegenzustellen oder wenigstens die Kinder davor zu bewahren, dies miterleben zu müssen?

Möglicherweise aber auch schon ein Vorgriff auf die Frage mit der späteren Machtübernahme Hitlers in Deutschland: Wann ist es Zeit zu flüchten?

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„Riesenwelle exzentrischer Barbarei“

Immerhin schreib Thomas Mann 1930 – im Jahr, als „Mario und der Zauberer“ veröffentlicht wurde in der „Deutschen Ansprache“: von der „Riesenwelle exzentrischer Barbarei und primitiv-massendemokratischer Jahrmarktsrohheit, die über die Welt geht, als ein Produkt wilder, verwirrender und zugleich nervös stimulierender, berauschender Eindrücke, die auf die Menschheit einstürmen“ (zitiert aus: „Thomas Mann, Mario und der Zauberer – Reclam Interpretationen“, S. 17).

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Mario und der Zauberer

von Thomas Mann
ca. 50 Minuten (eine Schulstunde)

Inszenierung: Sebastian Schimböck
Schauspieler: Sven Kaschte
Dramaturgie: Thorben Meißner

Regie-Assistenz und Theatervermittlung: Matthias Rankov

Bei Vorstellungen in der Theaterwerkstatt im Landestheater
Licht: Natan Steinbach
Inspizienz: Johanna Wildling

Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag GmbH., Frankfurt am Main

Wann & wo?

In der Theaterwerkstatt
15. Dezember 2023; 19.30 Uhr
3100 St. Pölten, Roßmarkt 22
Telefon: 0 2742 90 80 80 600
landestheater.net – mario-und-der-zauberer

Auch als Klassenzimmerstück
Anfragen bei der Leiterin der Theatervermittlung: julia.perschon@landestheater.net

Bücher

Text: Thomas Mann
Mario und der Zauberer – Ein tragisches Reiseerlebnis
45 Seiten (64 Seiten Printausgabe)
S. Fischer Verlag
eBook: 5,99 €
Zu einer Leseprobe geht es hier

***

Text: Michael Mommert
Thomas Mann, Mario und der Zauberer
Reclam Lektüreschlüssel
ca. 70 Seiten
3,70 €
Zu einer Leseprobe geht es hier

Text: Helmut Koppmann
Thomas Mann, Mario und der Zauberer
Reclam Interpretationen
40 Seiten
eBook: 2,49 €
ZU einer Leseprobe geht es hier