„Alienation“ – eines der „Netzbühne“-Stücke des Landestheaters Linz (Oberösterreich) für Jugendliche mit interaktiven Anteilen.
Eine Art Dachbodenzimmer – und doch bald ersichtlich, dass es sich um eine Ecke in einem Theater, zwischen Hinterbühne und Requisiten- und Kostümfundus handeln dürft. Hier spielt sich der Großteil der folgenden 1 ¼ Stunden ab. Isabella Campestrini schlüpft in „Alienation“, einem der Netzbühnen-Stücke des Linzer Landestheaters in die Rolle der Nikola, so um die 15 oder 16 Jahre jung. In einer Zwischenwelt zu Hause. Der von den Eltern verkündete überfallsartige Umzug ist dabei das geringste Problem.
Eigentlich könnte sie – so die eingespielten voraufgezeichneten Outdoor-Szenen am Schulhof – sogar froh sein, wird sie doch hier von den meisten ausgegrenzt, gedisst, gemobbt. Und irgendwie findet sie alle anderen auch ziemlich doof, nicht auf ihrer Wellenlänge. Sie ist unzufrieden mit vorgegebenen Normen der Gesellschaft, insbesondere den (noch immer) vorHERRschenden Rollenklischees.
Ihr Ausweg: Abtauchen in virtuelle Welten, wo sie so sein kann wie sie will. Das ist die Grundgeschichte, die auf dem – noch unveröffentlichten gleichnamigen Roman von Corinna Antelmann aufbaut. Nele Neitzke, Regisseurin und Leiterin der Sparte Junges Theater am genannten OÖ-Haus hat daraus die – natürlich deutlich gekürzte – Fassung geschrieben (Dramaturgie: Christine Härter). Darüber hinaus hat Neitzke die Fachhochschule Hagenberg (bei Linz), Kooperationspartner bei „PlayOn!“ (Teil des EU-Projekts „Konkrete Utopien im digitalen Zeitalter”), gebeten, virtuelle Spielewelten zu bauen, in denen sich Nikola bewegen könnte.
An zwei Stellen des virtuellen Theaterbesuchs können die Zuschauer:innen über eine App, die sie zu Beginn über einen QR-Code am Bildschirm aktivieren, entscheiden, ob sich die Protagonistin in die Wüste, eine Wiese oder ein Paradies begeben soll. Später wird noch um eine Abstimmung über Nikolas Wahrzeichen gebeten, das sich entweder an der Akropolis, dem Turmbau zu Babel oder einem Paradies-Turm orientiert.
Ein ausführliches Gespräch mit den beiden Architekten dieser virtuellen Welten, den FH-Hagenberg-Studierenden Nils Gallist und Manuel Lattner in einem eigenen – hier unten verlinkten Beitrag.
Weiters können die Theaterbesucher:innen über die App Daumen-Hoch, Smilies und ähnliche Reaktionen verteilen. Davon machten die beiden Klassen aus dem Gymnasium Braunau beim Premierenbesuch von „Alienation“ reichlich Gebrauch. An Interaktivität hätten sie allerdings gern mehr gehabt, wie sie im Nachgespräch, an dem Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … teilnehmen durfte, mehrfach betonten.
Häufigere Kommunikation würde, so die Regisseurin sowie die Autorin, allerdings der Figur der Nikola nicht entsprechen, die von Einsamkeit geprägt wäre. Das wiederum kam im Schauspiel nicht so ganz rüber, da war – meinem Empfinden nach – die Nikola zwar ein von vielen anderen ins Abseits gedrängter Mensch, auf der Suche nach ihrer Identität, eine Kämpferin gegen Schubladen und Vorurteile, aber eher wütend als einsam. Zu Beginn scheint sie eher nach anderen zu fragen, Verbündete zu suchen.
Als Interaktivste bei der Aufführung – neben der Live-Darstellerin, deren Schauspiel via Internet-Vorstellung zu erleben ist –, erweist sich – fast immer unsichtbar – Julia Herbrik. Sichtbar wird sie in einem Video-Zuspieler als Klassenkameradin in der neuen Schule. Ansonsten aber ist sie in einem Nebenraum des Schauspiels die, die im Chat mit der Nikola-Darstellerin postet und auch sonst als Regieassistentin, Spielleiterin und für die Technik Zuständige vieles im Hintergrund am Laufen hält.
Im Internet haben manche der Schüler:innen, so schreiben sie im Chat im Nachgespräch, „schon manchmal ein anderes Geschlecht angenommen“, weil das „wieder andere Erfahrung“ in einem Spiel brächte, sie „Sachen machen könnten, die wir sonst nicht machen“ und erlebt, dass „andere Spielerinnen oder Spieler dich anders behandeln“.
Übrigens: Ohne Details zu spoilern, Nikola findet am Ende doch wieder auch ins Leben in der Realität zurück – und bleibt da nicht ganz allein auf sich gestellt.
Demnächst folgen weitere Beiträge über andere Netzbühnen-Stücke des Landestheaters Linz.
nach dem noch unveröffentlichten Roman von Corinna Antelmann
1 ¼ Stunden; ab 13 Jahren
Inszenierung: Nele Neitzke
Nikola: Isabella Campestrini
Videoensemble
Mutter: Angela Waidmann
Vater: Horst Heiss
Kind: Clara Brunnemann
Lupo: Nils Thomas
Marlene: Sofie Pint
Klassenkamerad: Friedrich Eidenberger
Klassenkamerad neue Schule: Alexander Köfner
Klassenkameradin neue Schule: Julia Herbrik
Regie: Nele Neitzke
Raum und Kostüme: Karin Waltenberger
Digitale Welten Nils Gallist und Manuel Lattner (Studierende der FH Oberösterreich)
Videobearbeitung Jonatan Salgado Romero, Christian Börner
Dramaturgie Christine Härter
Regieassistenz, Spielleitung, Technik: Julia Herbrik
Theatervermittlung Elias Lehner
22. Jänner 2022; 18 Uhr
13. Februar 2022; 18 Uhr
schulbuchungen@landestheater-linz.at