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Stefan Wipplinger, lynn t musiol und Fabienne Dür mit den urkunden des Retzhofer Dramapreises 2025
Stefan Wipplinger, lynn t musiol und Fabienne Dür mit den urkunden des Retzhofer Dramapreises 2025
15.06.2025

Löwenschwester und Kri – für junges, „Lecken 3000“ für erwachsenes, Publikum

Retzhofer Dramapreise 2025 am Ende des aus aktuellem Anlass eingeschränkten Dramatiker:innen-Festivals für Stücktexte zu Inkusion, Anders-Sein und Missbrauch auch dort wo’s nicht vermutet würde.

„Ein Quadrat als Revier. Ein Palast hinter einem Bauzaun. Eine Schwester, die anders ist als andere Schwestern. Der Hauptfigur Liv, durch deren Augen wir auf ihren Alltag blicken, macht das nichts aus. Voller Liebe und Begeisterung erzählt sie von ihrer kleinen Schwester Lea, die eine Behinderung hat. Doch Lea ist ihrer großen Schwester auch manchmal peinlich und manchmal ist sie sogar wütend auf sie. Dass der Text Livs ambivalenten Gefühlen in der Beziehung zu Lea Raum gibt, ist eine seiner großen Stärken (…)“

Unter anderem damit begründet die Jury, dass Fabienne Dür für „Löwenschwester“ einen der beiden Retzhofer Dramapreise für junges Publikum zugesprochen wurde. „Ein zarter, poetischer und zugleich kraftvoller Text, der vom Anderssein erzählt, von Geschwisterliebe, Freundschaft und einer leisen Magie der Kindheit“, fanden Henrieke Beuthner (Lektorin, Rowohlt Verlag), Götz Leineweber (Dramaturg, Regisseur, Dschungel Wien), Armela Madreiter (Autorin), Ferdinand Schmalz (Autor) und Petra Thöring (Dramaturgin, Hessisches Landestheater Marburg).

In der Begründung heißt es ferner: „Der Text, den wir heute unter anderem auszeichnen möchten, hat uns in der leichtfüßigen Ernsthaftigkeit, in der er auf die Lebenswelt eines jungen Menschen blickt, sehr bewegt. Es ist ein Text, der Kindern und Raum gibt, ohne zu idealisieren, zu belehren oder zu belächeln. (…) Die Stärke dieses Textes liegt nicht nur in seinem bemerkenswerten Umgang mit Sprache und Bildern – schlicht, klar, poetisch, ruhig und voller Details und Eigenheiten – sondern auch in seinem selbstverständlichen Umgang mit verschiedenen Lebensrealitäten und den Themen Inklusion und Diversität.“

Anders-Sein, Chaos, Fragen stellen

Diese Juror:innen vergaben einen zweiten Preis für junges Publikum an Stefan Wipplinger für „Kri“ und begründeten dies unter anderem so: „Stefan Wipplinger beschreibt mit „Kri“ die fragilen, manchmal ausgrenzenden und gefährlichen Dynamiken von Gemeinschaften, er lotet die Abgründe des gesellschaftlichen Zusammenlebens aus, aber auch die Möglichkeiten für Veränderung, er lässt aus dem (anonymen) Raunen vom Anfang eine Dorfgemeinschaft entstehen, schält mehr und mehr einzelne Figuren heraus – gleichzeitig stellt er der Wucht der Vielstimmigkeit eine einzelne Person gegenüber und eröffnet mit einer Hauptfigur wie Kri den Raum für einen mutigen, starken, neugierigen jungen Menschen, der selbstbestimmt, gänzlich unangepasst und unabhängig von den Regeln der Erwachsenen lebt.

Stefan Wipplinger tut all das mit einer zarten, rhythmischen, genauen und tastenden Sprache, die nach Worten und Antworten sucht, die um Gewissheiten ringt, die von den Vorurteilen, den Befindlichkeiten und dem Wunsch nach einfachen Antworten innerhalb einer Dorfgemeinschaft erzählt, von Aufbruch und Anderssein – atmosphärisch und dicht, mit subtilem Witz und, mit Kri im Zentrum, mit einem sympathischen Hauch von Anarchie.

Lustvoll entwirft er eine Hauptfigur, die in leiser Beiläufigkeit und mit bestechender Klarheit die vermeintliche Ordnung, die Regeln und (ungeschriebenen) Gesetze des Dorfes ins Wanken bringt, die bewusst (oder unbewusst?) gehöriges Chaos mit sich bringt – manchmal einfach nur, indem sie Fragen stellt. (…)“

Für Erwachsene: Lecken 3000

Werden die Dramapreise für junges Publikum nur zweijährlich, so jene für Erwachsene jedes Jahr und dies schon länger vergeben, heuer zum zwölften Mal. Preistäger*in 2025: lynn t musiol für „Lecken3000“.

Alexandra Althoff (Dramaturgin, Max-Reinhardt-Seminar), Thomas Jonigk (Dramaturg, Burgtheater), Martin Thomas Pesl (Journalist, Nestroy Preis-Jury), Eva-Maria Voigtländer (Dramaturgin) und Ivna Žic (Autorin, Regisseurin) als Juror:innen begründeten ihre Entscheidung wir folgt: „LECKEN 3000 – der Titel ist plakativ, eine pornografisch angehauchte Headline, die sich sofort einprägt, den Lesenden aber ein Versprechen mit auf den Weg gibt, das sich – zum Glück – nicht einlöst. Musiols Theatertext erweist sich als ein ebenso witziges wie brisantes Drama zum Thema Machtmissbrauch bzw. sexueller Missbrauch und den emotionalen, juristischen, politischen und ethischen Fragestellungen, die damit verbunden sind. (…) Musiols Personal kommt aus der queeren Community, worum es geht, ist Missbrauch unter Frauen, zudem noch unter Frauen, zwischen denen ein starkes Machtgefälle und ein deutlicher Altersunterschied besteht. Wie damit umgehen, dass die Community, die man als besonders unterstützens- und beschützenswert wahrnimmt, nicht bedingungslos vorbildlich ist, sondern ähnliche Untiefen aufweist wie die heteronormative Mehrheit, wie die männlich dominierte Gesellschaftswelt? (…) Dass lynn t musiol sich des konfliktbeladenen Themas dennoch annimmt, spricht für Musiols Mut. Und dass das Vorhaben großartig gelingt, das ist Musiols gedanklicher und handwerklicher Brillanz zu verdanken: Hier ist ein Theatertext in einer unverkennbaren, sich am Zeitgeist orientierenden Kunstsprache entstanden, der uns ein Figurenarsenal von größter Unverkennbarkeit, Direktheit und Unverfrorenheit zumutet. Und das macht unglaublichen Spaß. Das ist sinnlich, witzig, jenseits von gedanklicher Zensur oder mittelmäßigem Kompromiss: LECKEN 3000 ist ein aufregender, politisch relevanter Theatertext, dem möglichst viele Aufführungen und Inszenierungen beschert sein mögen.“

dramaforum.at