Interview mit einem der beiden BMX-Rider, die derzeit in Wien im Circus Louis Knie für Nervenkitzel sorgen. Über seine artistischen Kunststücke und die Flucht aus der Ukraine.
Petro Kulishevych ist einer der beiden BMX-Rider, die derzeit in Wien in Neu-Marx im großen Zelt vom Circus Knie für Nervenkitzel sorgen. Im Duo mit seinem Kollegen auf zwei Rädern, Dmytro „Dima“ Bilokon fahren und vor allem springen sie über Rampen, auf Podeste – und übereinander. Während Dima eher der rasantere ist, springt Petro oft nur auf dem Hinterrade von einem Podest zum anderen. Am wildesten wirken allerdings die kleineren Sprünge, wenn der jeweils andere Kollege in der Mitte der Rampe auf dem Boden liegt und entweder er oder Dima mit dem Rad über den anderen springen. Hin, her und wieder zurück, auch kreuz und quer. Jeweils – in diesen Fällen natürlich bewusst – knapp daneben.
Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… durfte Petro Kulishevych – so wie die Gruppe der akrobatischen „White Angels“ vor einer Nachmittagsaufführung am Eröffnungswochenende hinterm großen Zirkuszelt interviewen.
KiJuKU: Sind Sie schon als kleines Kind trickreich Rad gefahren?
Petro Kulishevych: Gar nicht, ich hab erst mit 15 angefangen, in dieser Art von Radfahren begonnen. Da hab ich zuerst anderen bei ihren Trick auf der Straße zugeschaut. Da war ich richtig angefixt, ich hab das geliebt, das war so amazing (was ja weit mehr ausdrückt als das deutschsprachige toll). Ich hab mich in diese Art von Radfahren richtig verliebt. Ich hab dann geschaut wie ich zu so einem Rad kommen könnte.
Mein Vater und ich haben in unserer Werkstatt dann solche Räder aus anderen, alten einfachen Fahrrädern selber gebaut, wir haben da und dort geschnitten und anders, neu zusammengeschweißt.
KiJuKU: Und dann haben Sie selber Tricks ausprobiert oder bei anderen gelernt oder abgeschaut?
Petro Kulishevych: Zuerst hab ich gar nicht an Tricks gedacht, ich wollte nur zum Spaß mit so einem Rad auf der Straße fahren, in die und nach der Schule. Ein Jahr später als ich mit der Schule fertig war, hat mein Vater gesagt: Du hast jetzt ein Jahr frei, du musst noch nicht arbeiten oder eine weitere Ausbildung machen du hast Zeit, deinen eigenen Weg zu finden. Da bin ich fast nur Rad gefahren.
KiJUKU: War das dann das Jahr, als Sie mit Tricks begonnen haben?
Petro Kulishevych: Als erstes nicht, da hab ich zuerst viel geübt und gelernt, Balance zu halten, zu springen, auch nur auf dem Hinterrad. Erst so nach eineinhalb Jahren beginnst du mit Tricks, mit Sprüngen über Hindernisse oder von einem Punkt zum anderen. Erst nach sechs Jahren bekam ich dann meinen ersten Vertrag als BMX-Rider in der Türkei.
KiJuKU: Wo in der Türkei und in einem Zirkus?
Petro Kulishevych: Nein, in vielen Städten und Orten in der Gegend von Antalya, in Hotels für Tourist:innen, die Shows für ihre Gäste anbieten, hatte ich tägliche Auftritte. Da war ich 20 und 21 Jahre. Damals hat in der Ukraine das Problem mit Russland begonnen, als sie die Halbinsel Krim überfallen und erobert haben. Damit haben auch wirtschaftliche Probleme in der Ukraine begonnen oder zugenommen, es wurde immer schwieriger Arbeit für gutes Geld zu bekommen. Deshalb hab ich dieses Job-Angebot aus der Türkei angenommen. Vier Jahre lang hab ich jeweils das halbe Jahr, also die Tourismus-Saison, dort gearbeitet und bin dann jeweils nach Hause in die Ukraine gefahren. Das war von 2015 bis 2018.
KiJuKU: Und dann?
Petro Kulishevych: Dann hat mich ein Freund in der Ukraine gefragt, ob ich nicht bei ihm im Zirkus meine Kunststücke zeigen will. Dann kam Corona, und als der Krieg Russlands in unserem ganzen Land begann, ist er nach Europa gegangen und hat mich gefragt, ob ich mitkommen will. Das erste Engagement hatten wir dann in Norwegen.
KiJuKU: Mit dem Zirkus sind Sie dann durch einige Länder getourt?
Petro Kulishevych: Ja, nach Norwegen war ich in Israel, Dubai, Deutschland und jetzt in Österreich.
KiJuKU: Sie sind aus welcher ukrainischen Stadt?
Petro Kulishevych: Aus Luzk, ziemlich weit im Westen, 150 Kilometer nördlich von Lwiw.
KiJuKU: Sie haben sicher Verwandte in Ihrer Heimat, wie geht es denen, es muss sicher schwer sein, ständig um Verwandte Angst haben zu müssen und sie selber nicht wirklich treffen zu können?
Petro Kulishevych: Ja, es ist schon sehr schwer, aber hin und wieder kann ich sie schon treffen. Da ich ja einen fixen Vertrag hab, darf ich sie auch besuchen, ohne zur Armee einrücken zu müssen.
KiJuKU: Aber selbst im Westen des Landes wird ja manchmal bombardiert, leben Sie da in ständiger Angst um ihre Angehörigen?
Petro Kulishevych: Ja, noch dazu, wo einige aus meiner Familie – Tanten und Onkel sogar im Osten der Ukraine leben, wobei die meisten konnten flüchten und leben nun in Polen und Deutschland. Aber auch in meiner Heimatstadt wurde bombardiert. Rund um Kriegsbeginn war ich zu Hause, unser Baby war gerade fünf Monate und wurde durch den Lärm der Kampfbomber wach und hat nicht und nicht aufgehört zu schreien. Ich hab versucht es zu beruhigen, während meine Frau Essen für unser Baby zubereitet hat. Und dann bin ich sofort zur Tankstelle, hab Benzin in Kanistern gekauft, wir haben uns zusammengepackt und sind Richtung Grenze gefahren – was Tausende andere auch gemacht haben. Kolonnen von Autos, Chaos. Das war nervenzerfetzend, aber nach zwölf Stunden haben wir’s geschafft, wir waren in Polen.
Aber lass uns lieber wieder übers Radfahren reden.
KiJuKU: Sie haben im Laufe der Jahre spezielle Tricks entwickelt?
Petro Kulishevych: Nein, ich hab einfach viele Videos von den besten BMX-Riders geschaut und mir da Inspirationen geholt. Ich bin nicht genial oder unique. Ich bin auf einem guten Level, nahe an der Weltspitze im BMX-Hoch- und Weitsprung, aber ich mach alles jedenfalls sicher, ich mag keine verrückten, gefährlichen Sachen machen.
KiJuKU: Naja, für mich wirkt es schon gefährlich, über jemanden anderen mit dem Rad zu springen oder eben umgekehrt auf dem Boden zu liegen, wenn der Kollege mit dem Rad über einen springt.
Petro Kulishevych: Wenn du 15 Jahre insgesamt und gut acht Jahre Erfahrungen in Shows hast, ist das nicht so schwierig. Außerdem bin ich jetzt in bester Kondition, bevor wir hier angefangen haben, hatte ich zehn Tage zum Ausspannen, relaxen, das ist auch wichtig.
KiJuKU: Wie war das Jahre vorher, wenn Sie zum ersten Mal über einen anderen Menschen mit dem Rad gesprungen sind?
Petro Kulishevych: Ich kann mich nicht mehr erinnern, aber ich denke es war ein bisschen beängstigend. Aber was ich weiß: Das Wichtigste für die Person, die auf dem Boden liegt, ist, nicht verängstigt zu sein. Denn sonst kann es passieren, dass jemand mit einem Arm oder Bein ein wenig wegzuckt und das ist gefährlich, dann kannst du mit dem Rad beim Sprung jemanden treffen und das tut schon weh. Du als Rider musst die Gewissheit haben, dass sich die Person, über die du springst, nicht wegbewegt. Dieser Sport ist so sicher. Wenn du an dich und dein Rad glaubst und diese immer auch checkst, dass alles in Ordnung ist, fährst und springst du sicher. Ich bin ja auch nicht so schnell unterwegs. Damit hab ich auch immer sogar mehr Kontrolle als mein Kollege Dima, der ist schneller und mit mehr Energie unterwegs.
Clown Jimmy Folco – mit vielen Auftritten
The Flying Henriquez aus Chile auf dem Trapez
Ludmilla Valla-Bertini: Fuß-Jongleurin, unter anderem zwei brennende Reifen,
Nicole Berousek: Hula-Hoop-Jongleurin und Hundetrainerin (sechs verschiedene Hunde, die durch Reifen und über Hindernisse springen, tanzen usw.
Vioris Zoppis zeigt akrobatische Kunststücke in luftiger Höhe ebenso wie auf sehr rutschigem mit Wasser gefälltem Boden
BMX-Riders: Petro Kulishevych und Dmytro „Dima“ Bilokon
Akrobatik-Gruppe White Angels: Stanilsav Tkachenko, Alina Drygar, Artem Kolotukhin, Tymofii Maliuk und Yarik Deynega
Pferde-Nummer: Entweder Louis Knie himself oder wenn er nicht in Wien ist: Robert Stipka
Tänzer:innen
Bis 5. November 2023
Freitag/ Samstag: 15 und 19 Uhr
Sonn- & Feiertag: 11 Uhr und 15 Uhr.
Montag ist Familientag: 15 Uhr mit vergünstigten Preisen: Loge Mitte: € 15.- Block1, Block 2, Block 3: € 10.-
20. Oktober: Auftritt von Newcomer Flo Fin mit seinem Song „Boy Mistakes“
Neu Marx: 1030, Maria-Jacobi-Gasse
Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln: U3 Station Erdberg, Straßenbahn 18: Haltestelle St. Marx; 71er: Litfaßstraße (71); Bus 80A: Maria-Jacobi-Straße