Das absurde Theaterstück „Die kahle Sängerin“ von Eugène Ionesco auf BKS – Ćelava pevačica – beim Birdie15-Festival in Wien.
Es wird dunkel im Park neben der Wiener Stadthalle. Kühl ist es schon, wird immer kühler und finster. Manchmal auch auf der Bühne. Bei Szenenwechsel. Hin und wieder auch von Musik (Joan Tudoran) untermalt. Dem Publikum wird warm ums Herz. Sie verfolgen ein Theaterstück in ihren Erstsprachen. Eines, das viele vielleicht sonst nie angeschaut hätten. Immer wieder schmunzeln, hin und wieder lachen Zuschauer:innen lauthals. Sind doch so manche der Szenen zum Schreien komisch. Wenngleich mit einem kräftigen Schuss Bitterkeit. Szenen zweier Ehen. Voller Leere, Distanz, teilweise Hass. Und dann doch wieder sehr verliebter Annäherung. Letzteres eher eine Interpretation dieser Version von „Ćelava pevačica“ („Die kahle Sängerin“) vom Meister des absurden Theaters Eugène Ionesco. Gespielt vom „Jugendtheater Stanislavski“ in der Regie von Marina Đorđević – auf BKS – Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch, wobei auch die Akzente aller drei Sprachen zu hören sind.
Zwei nicht mehr ganz junge Paare treffen einander beim britischen 5-Uhr-Tee. Die einen, Mrs. und Mr. Smith sind hier zu Hause, die Martins kommen zu Besuch. Paar Nummer eins scheint – verpackt in belanglose, aber meist feine Worte – schon sehr entfremdet. Zumindest haben sie einander (schon lange) kaum mehr etwas zu sagen. Immer wieder kommt sogar eher Hass zur Sprache – in Worten, Gesten und Blicken. Jovana Kopanja und Nikola Prerad vermitteln dieses Gefühl grausam wunderbar. Sie fast im Dauer-Sprechdurchfall, der an dem Pfeife rauchenden, Zeitung (verpackt in Kopien des Daily Mirror aus den ersten Jahren der Aufführungen des Originals) lesenden Ehemann mehr oder minder vorbeigeht.
Enisa Maca Čućić und Dejan Knežević (als die Martins) hingegen treffen – in dieser Fassung – einander erst lange Zeit auf der Straße vor dem Haus der Gastgeber:innen, bevor sie in der Teegesellschaft landen. Sie kommen erst nach und nach Satz für Satz drauf, dass sie verheiratet sind: Im selben Zug hergekommen, in der selben Straße – Bromfieldstreet – auf Nummer 19, fünfter Stock, Top 8 wohnend, ja sogar das selbe Bett benutzend. Ach, sind wir ein Ehepaar?!
Soweit die Ausgangssituation des Theaterstücks von Ionesco. Der damit nicht nur Fassaden bürgerlicher Ehen satirisch aufs Korn genommen hatte, sondern auch so manch bürgerliches Theaterstück selbst. Inhaltslose Dialoge bis zum Exzess zelebriert, Leere. Ins Absurde gesteigert. Und auch noch versteckte Kritik an so manchen Fremdsprachen-Lehrbüchern. Zu so manchen der Szenen und sogar der Dialoge sei der in Rumänien geborene, in Paris gelebt habende Autor durch eines der Bücher beim Englisch-Lernen inspiriert worden, heißt es nicht zuletzt in „Königs Erläuterungen und Materialien“ zu einigen der Ionesco-Stücke.
Wobei die Version des „Jugendtheaters Stanislavski“ in der Regie von Marina Đorđević den Martins einen anderen Zugang als den des völlig Absurden zudenkt, wie sie Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … bei einem Probenbesuch erklärt: „Die wollen sich immer wieder neu kennenlernen, um sich frisch ineinander verlieben zu können.“
Die Regisseurin hat neben den beiden Paaren, dem zu Besuch kommenden Feuerwehrhauptmann, der mit Geschichten und Anekdoten und doch absurden Feuergeschichten die Gesellschaft auflockert (Jovana Smiljanić) und der Haushälterin Mary (Larisa Černe), die hier vor allem durch frechen szenischen Witz für Schmunzeln sorgt, eine weitere Figur eingeführt.
Lana Grčak schlüpft zuerst hinter einen schmalen, hohen, leeren Bilderrahmen. Dort kommentiert sie mimisch so manche der vor ihr gespielten Szenen – und gibt nicht selten verbale Regie-Anweisungen. Wird von Mary einmal heftig abgestaubt und gemaßregelt. In der Szene des Aufeinandertreffens der Martins schlüpft sie in gut ein halbes Dutzend Rollen – von der Straßengeigerin, die das gönnerhaft gereichte Geld des Mannes zu Boden wirft bis zu verschiedensten Passant:innen. Mit so manchen der Bilder baut die Regisseurin bildhafte Zitate an Märchen und Filme ein. Was die Absurdität mitunter erhöht, während in der einen oder anderen Phase die Inszenierung ein wenig vom Absurden Theater in ein Art Boulevardkomödie abgleitet.
Dennoch bleibt zu hoffen, dass die einmalige Vorstellung im Vogelweidpark beim „Birdie15“-Festival (noch bis 25. September) Folgeaufführungen erlebt.
Vielleicht für all jene, die das Stück „Die kahle Sängerin“ nicht kennen: Berichten zufolge, soll sich der Titel erst bei den Proben ergeben haben – und zwar aufgrund eines Versprechers des Schauspielers Henri-Jacques Heut, der den Feuerwehrhauptmann darstellte. Statt „institutrice blonde“ (blonde Lehrerin) rutschte ihm angeblich „cantatrice chauve“ (kahle Sängerin) raus. Was den die proben verfolgenden Autor spontan bewegte die angedachten Titel des Stücks – „L’Heure angalaise“ (die englische Stunde) oder „Big Ben Follies“ (Big Ben ist die schwerste Glocke des Uhrturms vom Londonder Westminster und Follies bedeutet Verrücktheiten) – zu verwerfen und eben dies zum Titel zu machen. Was für ein absurdes Stück wohl treffender schien. Damit der Stücktitel aber nicht ganz in der Luft hängt, schrieb Ionesco einen kurzen Dialog gegen Ende des Stücks neu hinzu.
„Hauptmann wendet sich zum Ausgang, bleibt dann stehen: Ah, dass ich es nicht vergesse: Was macht die Kahle Sängerin?
Allgemeines betretenes Schweigen.
Ms. Smith: Sie trägt immer noch die gleiche Frisur!“
Das Theater ist benannt nach dem von vielen als Vorbild gehandelten russischen Konstantin Sergejewitsch Stanislavski (1863 bis 1938), der das Zusammenspiel von Körper und Gefühlen lehrte – die dargestellten Emotionen müssen im körperlichen Schauspiel sichtbar werden.
von Eugène Ionesco
Übersetzung auf BKS (Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch): Unbekannt
„Jugendtheater Stanislavski“
Regie: Marina Đorđević
Darsteller:innen
Mrs. Smith: Jovana Kopanja
Mr. Smith: Nikola Prerad
Mrs. Martin: Enisa Maca Čućić
Mr. Martin: Dejan Knežević
Dienstmädchen Mary: Larisa Černe
Feuerwehrmann: Jovana Smiljanić
Mehrere hinzugefügte Rollen – Erzählerin, Passant:innen: Lana Grčak
Regieassistenz: Larisa Černe, Dejan Knežević
Musik: Joan Tudoran
Licht: Ivan Ljubisavljević
Video von einer früheren Aufführung im Metropol
Kultur im Vogelweidpark
Bis 25. September 2022
1150, Vogelweidpark (neben der Stadthalle)
15 bis 21.30 Uhr
Sonntag: 13 bis 18.30 Uhr
birdie15 Festival