Humorvoll-ernstes und rasant-rhythmisch gespieltes Stück um Roma-Kultur „Bibi Sara Kali“ endlich live auf der Bühne.
Was gehen mich die alten Bräuche und Rituale unserer Volksgruppe an? Will ich sie kennen oder gehen sie mir am A… vorbei? Und ich will ich überhaupt was mit meinen Vorfahr:innen, meinen Wurzeln zu tun haben? Ernst(haft)e Fragen, die sich alle Menschen – vor allem solche, die sich irgendwie zwischen mehreren Kulturen fühlen – immer wieder stellen. Doch selten werden sie so (selbst-)ironisch, witzig, rasant – mit doch stillen Momenten – auf der Bühne verhandelt wie in „Bibi Sara Kali“. Das Stück von Ibrahim Amir & Simonida Selimović war schon vor zwei Jahren geplant – aus den bekannten Gründen, die mit C beginnen und a enden, waren keine Aufführungen möglich. Mit Hilfe der renommierten, engagierten Filmemacherin Nina Kusturica wurde damals daraus ein Theater-Film oder Film-Theater, das online abrufbar war.
Doch nun ist die Story um die drei Schwestern Melisa, Tanja und Snežana, live und sehr rhythmisch-musikalisch – auch mit einigen ge-rappten Szenen – auf der Bühne von Werk X Petersplatz zu erleben. Und wie!
Die drei Schwestern – Snežana (Simonida Selimović), Tanja (Jasmin Behnawa) und Melisa (Zeynep Alan) – landen also in dem Heimatdorf der Mutter, in dem nicht alle von ihnen aufgewachsen sind, so kam mindestens die Jüngste, die Ärztin Melisa schon/erst in Wien auf die Welt, wohin Jelena fluchtartig aufgebrochen war. In Boljevac werden sie von der voll-strengen Tante Dragoslava (Ingeborg Schwab) – im Film war die fast geistartig – unterwiesen, welche Regeln aus der Roma-Kultur rund um die Totenruhe der im Haus aufgebahrten Jelena zu erfüllen wären. Was und wie zu kochen – bis hin zu Details wie 137 Knoblauchzehen – eingehalten werden müssen und so weiter.
Ja, nein, vielleicht. Was tun. Daran halten um des familiären Friedens willen, Leiche einpacken und ab die Post, die Mutter in Wien begraben – zu diesen mitunter sehr schrägen streitlustigen Diskussionen gesellt sich die noch um einiges ver-rücktere Figur der Mara, Dragoslavas Tochter (gespielt von Valentina Eminova). Die liegt im Kampf mit dem Nachbarn um einige Quadratmeter des eigenen Grundstücks – mit ständiger Zaun-Ver-rückung. Denn wenn Serbien in die EU kommt, dann steigen die Grundstückspreise!
Durch all die tragik-komsichen Szenen schimmern die eingangs angesprochenen zentralen Fragen immer wieder wie durch Transparentpapier – die hier vielleicht auch durch die mehrmals hin und hergeschobenen durchscheinenden Vorhänge symbolisiert werden – durch, ohne je plakativ zu werden.
Übrigens: Knapp eine Stunde vor Beginn der Premiere hatte der österreichische Nationalrat einstimmig die Ratifizierung des internationalen Gedenktages (2. August) für die Ermordung von Roma und Sinti durch die Nazis beschlossen.
Ein Stück von Ibrahim Amir & Simonida Selimović
Eine Produktion von Romano Svato in Kooperation mit WERK X-Petersplatz
Konzept & künstlerische Leitung, Regie: Simonida Selimović
Es spielen:
Snežana: Simonida Selimović
Tanja: Jasmin Behnawa
Melisa: Zeynep Alan
Dragoslava: Ingeborg Schwab
Mara, Dragoslavas Tochter: Valentina Eminova
Jelena (im Video): Ljubinka Nikolić
Snežanas Ehemann (im Video): Danilo Jovanović
Bühne und Kostüme: Mira König
Adaption Bühne und Kostüm: Geraldine Massing
Musik: Mindj Panther
Dramaturgie: Veronika Maurer
Regieassistenz und Choreographie: Danilo Jovanović
Outside Eye (dramaturgische Beratung) und Filmeinspielungen: Nina Kusturica
Produktionsleitung: Iva Marković
Bis 9. Februar 2023
Werk X Petersplatz: 1010, Petersplatz 1
Expert*Talk
Mit Ibrahim Amir, Valentina Eminova, Simonida Selimović
Moderation: Carmen Gheorghe
(in englischer Sprache)
4. Februar 2023
20.30 Uhr
Werk X- Petersplatz -> Bibi Sara Kali
