Interview mit dem Regisseur von „Im Panoptikum des Franz K.“ und damit „Monteur“ von Passagen aus Franz Kafkas Tagebüchern, einigen Werken und Briefen.
Nach einem Probenbesuch – zwei Szenen – Link zur Reportage am Ende dieses Beitrages – durfte Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… den Regisseur und auch Verfasser der Bühnenversion Gerald Maria Bauer (Mitarbeit: Dramaturg Sebastian von Lagiewski) an einem runden Tisch in einer Ecke des Pausenfoyers interviewen.
KiJuKU: Die erste Frage drängt sich natürlich auf: Wie bist du vorgegangen, um aus den Tagebüchern – in verschiedenen Versionen zwischen 460 und 550 Seiten) ein Stück zu machen, in das du noch dazu Auszüge aus Kafka-Werken eingebaut hast?
Gerald Maria Bauer: Eigentlich hab ich mich thematisch orientiert und mir einige Themenkomplexe vorgenommen.
KiJuKU: Und zwar?
Gerald Maria Bauer: Diese Tagebücher sind ja nicht nur Tagebücher, sondern Übungshefte für sin Schreiben und für das Existieren durch Sprache und sich Finden und Definieren durch Sprache. Das Faszinierende an Kafka ist ja, das Leben, das man sich nicht zu leben traut. Jemand, der kaum bis nie was veröffentlicht, der sagt, es muss alles vernichtet werden. Was ist das für ein Widerspruch! Ein Mensch, der 8000 Seiten schreibt will doch gelesen werden – eigentlich. Oder es war ihm nie gut genug.
Er geht nach München, will dort Germanistik studieren, kehrt zurück nach Prag und studiert Jus. Er will eine Beziehung mit Felice Bauer führen, sie schreiben sich 800 Briefe, er verlobt sich mit ihr, löst die Verlobung auf, verlobt sich noch einmal mit ihr und löst wieder auf. Das ist unglaublich spannend, wie er immer vor dem Leben davongelaufen ist. Und interessanterweise in dem Moment, wo er ernsthaft krank war, hat man das Gefühl, er war befreit und konnte leben. Wie Bernhard sagt: Er hat die Krankheit umarmt und ist mit ihr in den Tod getanzt.
KiJuKU: Und von dem ausgehend hast du dann die passenden Stellen aus den rund 500 Seiten Tagebüchern – und aus Texten von ihm sowie aus Briefen – gesucht, um diese Themn zu dokumentieren/illustrieren?
Gerald Maria Bauer: Ja das und dann noch Themen wie die komplexe Vater-Sohn-Beziehung, wo man sich ja auch fragen muss, ob das alles stimmt. War dieser Hermann Kafka wirklich so tyrannisch? Und diese komplexe Beziehung zu Felice – dieses sich nicht trauen. Also das, was junge Menschen auch interessieren kann wie auch noch seine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, das Suchen danach, sich durch Sprache auszudrücken, durch Literatur, was damals einen anderen Stellen hatte als heute.
KiJuKU: Wobei die Frage ist, was unter Literatur fällt, Poetry Slam, Rap… wären vielleicht heutige Formen.
Gerald Maria Bauer: Natürlich, keine Frage. Aber diese Arbeit an einer großen Form wie einem Roman ist eine Frage von Zeit und Geduld. Und da entkommt man sich natürlich auch selbst. Und das Stück soll natürlich auch ein bisschen eine Einführung in diese surreale Welt, die man kafkaesk nennt. Ich kenn sonst keinen Schriftsteller, der ein Adjektiv hat. Und ein Wappentier, nämlich einen Käfer (aus „Die Verwandlung).
Über kafkaesk wurde er – vor allem im deutschen Sprachraum, wo er wahnsinnig spät entdeckt wurde, berühmter als über seine Werke.
KiJuKU: In der Szene auf dem Friedhof malt der Künstler den Buchstaben J. Soll da die in Kafkas Tagebüchern doch immer wieder intensive Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Herkunft und unterschiedlichen Facetten und Spielarten jüdischer Kultur angesprochen werden?
Gerald Maria Bauer: Das, muss ich zugeben, ist ein Komplex, den ich ausgelassen habe, ungern, aber das hätte den auch zeitlichen Rahmen gesprengt. Er hat ja – im „Prozess“ Szenen geschrieben, die fast prophetisch wirken, so den späteren Holocaust vorweggenommen, das glaubt man gar nicht.
KiJuKU: Das heißt du hast versucht, die zuvor von dir genannten Themen mit Originaltext von Kafka zu einem dramaturgischen Bogen zu fassen?
Gerald Maria Bauer: Ich hab versucht die Biographie des 27- bis 42-Jährigen herzunehmen und da seine fiktionalen Texte dagegen zu setzen. Vor den Szenen, die du in der Probe gesehen hast, erfährt er, dass er Tuberkulose hat. Und da kommen Passagen aus seinem Text „Der Landarzt“. Auf den war er auch stolz.
KiJuKU: Er selbst hat zu seinen Lebzeiten ja nur wenig veröffentlicht und eigentlich angeordnet, dass nach seinem Tod alles vernichtet werden sollte. Woran zu unser aller Glück Max Brod sich nicht gehalten hat, sonst würden wir alles andere ja nicht kennen.
Gerald Maria Bauer: Publiziert war zu seinen Lebzeiten nur ganz wenig, unter anderem „Die Verwandlung“, weil wir da ja auch aus seinen Tagebüchern den Brief des Verlegers Siegfried Wolff zitieren, der schreibt, dass er das Buch seiner Cousine geschenkt hat und die ihn danach fragt, was es bedeutet und er selbst es auch nicht kann und von Kafka nun eine Erklärung erbittet.
KiJuKU: Diese Passage fand ich auch recht schräg, erst verlegt er’s, dann verlangt er nachträglich eine Erklärung – ein Treppenwitz!
Gerald Maria Bauer: Das ist großartig. Das stellen wir bei den Proben fest, wie diese Abstraktion dieser Sprache und dieser Texte in fünf Menschen – den Schauspieler:innen und mir – teilweise gleiche Assoziationen auslösen, die wir dann immer sehr konkret kriegen. Oder hoffentlich. Aber doch, sonst könnten sie’s ja nicht spielen.
KiJuKu: Was ich gesehen hab, lässt sich gut an.
Gerald Maria Bauer: Ich kann’s dir noch nicht ganz sagen. Noch haben wir ja ein paar Tage bis zur Premiere. Es sind jedenfalls unglaublich intensive Proben, es ist ein Spitzen-Ensemble, in dem alle wahnsinnig interessiert sind, sich genau dem zu stellen.
KiJuKU: Wem ist diese Bühnen-Idee eingefallen?
Gerald Maria Bauer: Das war der Fritz – Friedrich Eggert. Als ich mit ihm das erste Mal gesprochen habe, hat er gesagt: Das einzige, was mir dazu einfällt, ist Escher. Bibliothek. Und Kafka war ja ein Beamter, daher die Aktenordner. Dann haben wir über eine lange Periode mühsam rund 2700 Ordner zusammengetragen. Unsere Requisite hat alle angefragt, die beschlossen haben, ihr analoges Archiv aufzulösen und hat dort Ordner abgeholt bis ins Waldviertel. Dann wurden die alle einheitlich auf diesen alten Stil umgefärbt.
Gerald Bauer merkt gegen Ende des Interviews noch an, dass Kafka – zumindest laut Max Brod – „nicht so traurig war, wie viele gedacht haben, er hatte, wie auch Briefe zeigen, Charme und Humor. Der konnte flirten.
Wir fangen an mit einem Nachruf von Milena Jesenská auf Kafka. Es kannte ihn 1924 ja fast keiner. Sie selbst ist eine ganz tolle Figur und wurde im Holocaust als Widerstandskämpferin umgebracht. Die Briefe zwischen ihr und Kafka sind wahnsinnig spannend, aber würden wir mehr daraus zitieren, würde der Abend vier Stunden dauern. So lassen wir sie in den Prolog reinstreifen…
Wie sehr (nicht nur) der Regisseur in Kafkas (Sprach-)Welt eingetaucht ist, illustriert vielleicht ein Satz, der ihm während der Proben entfährt als der Künstler Goldbuchstaben auf imaginäre Grabsteine malt: „Herrlich, ich glaub mein Kopf spricht mit mir!“