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Benedikt Greiner in "Emotionen normaler Menschen"
Benedikt Greiner in "Emotionen normaler Menschen"
10.06.2022

Tribut an die erste Comic-Heldin – und Kritik am Patriarchat

„Emotionen normaler Menschen“: Schauspiel über Wonder Woman und deren Erfinder, jenen Psychologen der auch den ersten Lügendetektor entwickelt hat.

Noch immer – oder schon wieder – dominieren Helden vielerorts, ob im realen Leben, auf Bühnen, in Filmen und Büchern. Und nicht zuletzt in Comics treten Heldinnen viel, ja sogar sehr viel weniger in Aktion. Eine, noch dazu schon vor 80 Jahren erfunden, sehr erfolgreich in den Print-Ausgaben, bekam erst vor wenigen Jahren einen Kinofilm: 2017 mit Schauspieler:innen, 2009 als Zeichentrick. Wonder Woman (ab 21. Oktober 1941) erschien damit übrigens nur drei Jahre nach Superman.

Der Schauspieler Benedikt Greiner, früher am Schauspielhaus Graz, war schon als Kind Riesenfan, dieser Superheldin, die oft gefesselt, eingesperrt oder sonst in Zwangslagen kommt, sich stets befreien – und immer wieder Rettungsaktionen setzen kann. Ihr widmete er – im Rahmen des aktuell laufenden, sechsten, Dramatiker:innen-Festivals einen Abend an seiner ehemaligen Wirkungsstätte. Eine Performance, die einerseits viel, teils wenig bekanntes Hintergrund-Wissen über WW – er bekam die Rechte des Comic-Verlags nicht und darf daher den ganzen Abend ihren Namen nicht aussprechen – in spannender Form szenisch erzählt.

Benedikt Greiner in
Szenenfoto aus „Emotionen normaler Menschen“

Wobei er an den Beginn das komplexe Making-Of stellt, und am Ende reflektiert, ob er als Mann über diese Comic-Heldin, die von einem Mann erfunden wurde, überhaupt so einen Abend gestalten dürfe. Und das ganz echt und ehrlich, nicht kokettierend, samt Video-Interviews mit mehr als einem halben Dutzend Regisseurinnen. Immer wieder zweifelnd und dann doch sich dazu zu entscheiden, weiter am Stoff und Thema zu arbeiten – dazu passt der Name der Gruppe, den er sich gemeinsam mit Dramaturgin und Produzentin Eva-Maria Burri gegeben hat: „schöner scheitern“.

Inklusive Making of und Reflexion

Knapp gefasst das Making of, das auch dem Abend den Titel verleiht: Im Wartezimmer einer Psychotherapeutin sitzend fällt Greiner das dicke Buch „Emotions of Normal People“ von William Moulton Marston auf, er greift sich’s, blättert darin. Und studiert es später noch ausführlicher, zitiert immer wieder daraus. Der Name des Autors erweckt Assoziationen bis ihm dämmert: Der hat doch …, genau richtig: W.W. wie er auf der Bühne nur sagen darf, erfunden.

Benedikt Greiner in
Szenenfoto aus „Emotionen normaler Menschen“

Sodann zitiert der Schauspieler, der in diesen 1 ¼ Stunden praktisch nie zwischen Darsteller und eigener Person unterscheidet, Marstons zentralen Beweggrund für diese von ihm geschaffene Heldin: „Nicht mal Mädchen wollen Mädchen sein, solange unsere weiblichen Stereotype nicht mit Macht, Stärke und Kraft verbunden sind … Die naheliegende Lösung ist es, einen weiblichen Charakter mit den Stärken von Superman und dem Reiz der guten und schönen Frau zu schaffen.“

Aber auch die Kritik vieler daran, dass die immer wieder gefesselte Frau auch ganz andere Gedanken in Männerköpfen freisetze. Doch, so des Autors sowie des Schauspielers Gegenargument: Sie kann sich stets befreien. Außerdem ist eine ihrer Waffen das Lasso der Wahrheit, mit der sie Gegner immer dazu bringt, genau das zu tun. Marston hat übrigens den ersten Lügendetektor erfunden.

Benedikt Greiner in
Szenenfoto aus „Emotionen normaler Menschen“

Entzauberung eines der großen männlichen Helden

Die Auseinandersetzung mit Männlichkeitsbildern führt Greiner auch über den Umweg Amazone, göttliche Wesen zur griechischen Mythologie und zum Entzaubern eines der großen antiken Helden: Herakles, Vater von viiiiiiielen Kindern, weil er mindestens, so die Wikipedia- und Internet-Recherche des Schauspielers, mit jedenfalls verbreiften 80 Frauen – von Aglaia bis Xanthis nennt er all deren Namen bzw. lässt sie einblenden – Kinder gezeugt hat – in den allerallermeisten Fällen gegen deren Willen, also ein Massenvergewaltiger.

Ausgehend von der ersten Comic-Heldin also eine recht umfassende Auseinandersetzung mit patriarchalen Bildern und Verhaltensweisen. Wobei die 80 Namen vielleicht der Anfang möglicher neuer Projekte sein könnte. Und der Abend mindestens für Comic-Fans so interessant wäre wie für klassische Theaterbesucher:innen.

Follow@kiJuKUheinz

Compliance-Hinweis: KiJuKU wurde zur Berichterstattung über das Dramatiker:innen-Festival nach Graz eingeladen.

Stückbesprechung von „Nachtscahttengewächse“, das auch beim Dramatiker:innen-Festival gezeigt wird, ich aber schon vor Monaten im Grazer taO! gesehen habe
Stückbesprechung von „Finstergewächs“, das auch beim Dramatiker:innen-Festival gezeigt wird, ich aber schon in Wien im Schubert Theater gesehen habe
INFOS: WAS? WER?

Emotionen normaler Menschen

Gastspiel von schöner scheitern; in Koproduktion mit ROXY Birsfelden, Schweiz

Text & Performance: Benedikt Greiner
Dramaturgie & Produktionsleitung: Eva-Maria Burri
Szenografie & Video: Ingvild Jervidalo
Kostüm: Nadine Mrkwitschka
Oeil extérieur (dramaturgische Beratung): Ute Sengebusch
Technik: Yoshi Goettgens, Chiara Leonhardt

Wann & wo?

19. und 20. Jänner 2023
Kosmostheater Wien: 1070, Siebensterngasse 42
Telefon: 01 523 12 26
Kosmos Theater Wien -> Spielplan

Schöner Scheitern