„Im Flatterland“ bildet als Stück ab 3 Jahren im Salzburger Toihaus Theater den Auftakt zum Jahresthema „Häutung“ mit vor allem textilen Materialien, Bewegung und Musik.
Laut hörbare stake Atemzüge und sichtbare stehende Schwaden – nein nicht eisiger Atem, sondern von Theaternebel – aus einem kleinen, handlichen Theaterrauch-Maschinchen – dieses fast meditative Bild prägt die Phase des Einlasses ins Salzburger Toihaus-Theater zum neuen Stück (nicht nur) für Kinder. Und auch die ersten Minuten der Performance. Neue stehende, sich nur seeehr langsam verziehende Wolken unter denen und durch die die beiden Tänzerinnen Agnes Distelberger und Elena Francalanci tauchen. In der Zwischenzeit begibt sich die Musik-Virtuosin Yoko Yagihara in ihr in einer Ecke der Bühne stehendes „Cockpit“ – aus Schlagzeug, Vibra- und Xylofon, Trommel und Glockenspiel.
Die Nebel und oder Wolken lichten sich, die beiden Tänzerinnen ziehen an einem unter einem der seitlichen Vorhänge auf dem Boden liegenden Stück weißen Stoffs. Ziehen und ziehen, immer länger wird diese offensichtliche Seide. Die sie wallen lassen, Wellen erzeugen, sie aufheben zum Riesensegel spannen – und uns in unendliche Weiten der Fantasie fliegen lassen.
Ohne Absicht, weil das zeitlich gar nicht zu planen gewesen wäre, können sich Anklänge an eine der vielleicht größten Friedensfahnen ergeben. Ein schöne „Neben“-Effekt.
An sich ist die große weiße Seide, die die Tänzerinnen hochsteigen lassen, zu einer mega-Halb-Röhre und anderen Objekten formieren, „nur“ Teil der rund halbstündigen Performance für Menschen ab 3 Jahren namens „Im Flatterland“. Stets begleitet, untermalt, verstärkt, scheinbar auch in Bewegung gehalten nicht nur durch die Tänzerinnen, sondern auch die Live-Musik aus dem Hintergrund.
Es bleibt nicht bei der – eigentlich cremefarbenen, als weiß erscheinenden Seide. Die Tänzerinnen holen aus dem Bühnenhintergrund einen ziemlich gleich großen blau-schillernden Stoff. Grün sei er eigentlich, erklären nach dem Stück die beiden Choreografinnen sowie Co-Leiterinnen des Theaters, Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott. Aber so kann das mit Farben schon sein. Vor Jahren hatte das ScienceCenter Netzwerk eine analoge und digitale Ausstellung unter dem Titel „grenzgenial“ mit einem Farbverlauf von gelb nach grün. Du konntest für dich die Grenze zwischen den Farben festlegen – und verblüfft feststellen, dass viele andere die Grenze ganz woanders verorteten.
Neben dem blaugrünen Taftstoff (leichter Kunststoff, ein bisschen fester als Seide) mit dem die Tänzerinnen ebenfalls unterschiedlichste schnell – aber nicht sofort wie bei Seide – vergängliche Skulpturen in den Raum zaubern. Darunter durchkriechen, sich verstecken, einen riesigen Gupf bauen, der minutenlang hält und wie bei einem Teigkloss, wenn du reindrückst sich wieder wölbt, sind Momente, denen du fast ewig zusehen könntest. Entspannt, zurückgelehnt, vielleicht auch abdriftend in eigene Bilder, die du damit verbindest.
Und dann ertönt Musik, die ein wenig an eine Spieluhr erinnert. Eine der Tänzerinnen steigt in einer der beiden vorderen Ecken der Bühne in eine dunkle Spirale, die Kollegin zieht an dem eingerollten schwarzen, festen Samtstoff, den die beiden später aufrollen und zu einer Landschaft mit Bergspitzen formen. Über die sie wiederum die vorherigen Stoffe als Wolken und Himmel schweben lassen. Und erneut zum Nebelmaschinchen greifen – Wolkenschwaden über den Berggipfeln…
Gegen Ende der halben Stunde juckt’s so manche der Kinder in den ersten Reihen. Ach, wie gern würden sie jetzt mitmachen – mit den Stoffen spielen, tanzen…
Hier (noch) nicht, aber das Toihaus plant – wie die beiden schon genannten Choreografinnen dieses Stücks und gemeinsamen Leiterinnen des Theaters, dem Rezensenten anvertrauten: „Im Herbst wollen wir auch mit einem partizipativen Stück mit diesen Materialien, jedenfalls aber Stoff, durch Kindergärten touren.“
„Ge-Schichten“ lautet der Arbeitstitel dafür. Ferner wird es ein Abendstück für Erwachsene geben – wobei sich auch solche auf „Im Flatterland“ einlassen können. Beim Abendstück wird – Genaueres ist noch nicht bekannt – sozusagen am Ende, an der (Berg-)Landschaft mit Wolken- und Himmelsschichten darüber, angesetzt und davon ausgegangen sozusagen weiter spaziert.
Seit geraumer Zeit gehen die beiden Leiterinnen von Jahresthemen und dabei wiederum von Materialien aus. Gemeinsam mit dem bildenden Künstler Gerold Tusch war in der Vor-Saison Ton das Ausgangsmaterial, er ist auf Keramik spezialisiert. Aber die Kooperation – damals zum Thema „Heilung“ – war so fruchtbringend, dass er nun auch bei textilen Werkstoffen zum diesmaligen Jahresthema „Häutung“ herangezogen wurde/wird.
„Wir verstehen Häutung als Prozess der Veränderung, des Abstreifens alter Haut, etwa in der Entwicklung von Kindern, aber auch von gesellschaftlichen Phasen“, so das Leitungsduo. „Und dafür braucht’s auch eine Mischung aus Ruhe und Bewegung. Ein Innehalten, um dann wieder weiterzukommen. Vielleicht einmal einen Schritt zurück, um dann wieder vorwärts zu kommen. Das wollten wir auch mit den großen Stoffen.“
Es sind das oft nur ganz kurze Momente, wo die beiden Tänzerinnen den Stoff ruhig halten, damit etwa eine stehende Welle in großer Höhe entsteht, die dann wieder in ein neues Bild verwandelt wird, wenn sie auch nur die Hände bewegen. „Wir nutzen übrigens bei einem Stück erstmals die Höhe des Raumes“, so Böhnisch und Schrott zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr …
Compliance-Hinweis: Das Toihaus Theater übernahm die Fahrtkosten von Wien nach Salzburg und zurück.
Im Flatterland
Performance für Erwachsene und Kinder ab 3 Jahren
Choreografie: Cornelia Böhnisch, Katharina Schrott
Performance: Agnes Distelberger, Elena Francalanci
Musik: Yoko Yagihara
Dramaturgie: Felicitas Biller
Bühne / Kostüm: Cornelia Böhnisch
In enger Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Gerold Tusch
Choreografische Assistenz: Anna Bárbara Bonatto
Schneiderei: Simone Monu
Licht / Technik: Alexander Breitner, Robert Schmidjell
Wann & wo?
Bis 20. März 2022
Toihaus Theater: 5020, Salzburg, Franz-Josef-Straße 4
Telefon: 0662 87 44 -39
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