„Der.Semmelweis.Reflex“ von das.bernhard.ensemble im Wiener Off-Theater, schon lang vor der Pandemie geplant, spielt rund um wissenschaftliche Erkenntnisse und Ignoranz gegenüber solchen.
Diese Performance beginnt schon vor dem Start. Jede und jeder, der die dichten, ernsthaften und doch über weite strecken sehr witzigen, nicht selten auch derben eineinhalb Stunden des Tanz-Schau-Spiels „Der.Semmelweis.Reflex“ von „das.bernhard.ensemble“ im Wiener Off-Theater erleben will, muss sich blaue Kunststoff-Patscherln über die Schuhe ziehen. „Damit wir in der Leichenhalle keine Flecken machen“, so die Erklärung am Eingang.
Gespenstisch dann doch diese Halle. Vom weißen Tanzboden über die mit Leintüchern belegten Sitz-Podeste in gleißendem Licht steht das Publikum zwischen Tischen mit „Leichen“ samt Kärtchen, die an Schnüren an den aus den Leintüchern rausschauenden Füßen hängen. In klassischer Pathologen-Klischee-Manier dunkelschwarzen Humors begrüßt der Klinik-Chef (Kajetan Dick) die Gäste. Eigentlich seien wir hier in der Geburtsklinik. Doch reihenweise sterben die Frauen an Puerperalfieber, besser bekannt als Kindbettfieber. „Natürlich“ seien die Mütter selber schuld. Die Medizin könne nichts dafür. Er halte sich an die 4-Säfte-Lehre von Sokrates und sonst nichts.
Bis ein neuer Jungarzt auftaucht, der merkt, auf der Hebammenstation sei die Sterberate viel geringer, vielleicht könne es doch was damit zu tun haben, dass die Ärzte zuvor an Leichen rumgeschnipselt haben und mit giftigen Fingern die Gebärenden untersuchen. Händewaschen – und zwar sehr gründlich – das wär’s doch. Das ist dem Klinik-Chef denn doch zu banal. Auch wenn in seiner Urlaubs-Abwesenheit und Stellvertretung durch diesen neuen Arzt, den Ignaz Semmelweis, die Sterberate deutlich sinkt – weil er seine Hände wäscht und dies auch dem Personal aufträgt.
Nicht nur, dass der rückkehrende Chef das wieder abstellt, schießt sich Semmelweis (Gerald Walsberger) selbst durch seine Art und Weise – besessen (weil von seiner Erkenntnis überzeugt) aber auch herrschsüchtig, unkommunikativ, ungut zu ziemlich allen anderen – auch Ehefrau und Kindern – ins Abseits.
Die wahre Story um die Erkenntnis, wie wichtig Hygiene ist, wird vom bernhard.ensemble in eine wahrhaft witzige, getanzte, gespielte Show mit ernstem Hintergrund verwandelt. Da matchen sich nicht nur die beiden genannten „Ärzte“. Natürlich stehen die „Leichen“ vom Anfang auf, verwandeln sich in Hochschwangere – Yvonne Brandstetter, Sophie Resch, Leonie Wahl -, die teils akrobatisch tanzen, Leidende, Sterbende, Verrückte ebenso spielen wie eine sanft-poetisch singende, aber doch dominierende auf einem Vertikaltuch (Bühne und Kostüme: Pia Stross) turnende Vagina.
Für Musik und Geräusche – bis hin zu Bleistift-Kratzen und Schreibmaschinen-Geklapper – sorgt sozusagen Live-DJing (Komposition: b.fleischmann).
Und so nebenbei eingestreut finden sich Anklänge an aus jüngster Zeit bekannte wissenschaftsfeindliche Verschwörungstheorien. Und dennoch ist das Stück nicht zwecks Pandemie entstanden. Schon vor vier Jahren sei es konzipiert worden, so dessen Verfasser und Regisseur Ernst Kurt Weigel zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … „Und wir wollten uns auch mit der nun entstandenen, gespielten Fassung gar nicht auf das aktuelle Thema draufsetzen.“
Und trotz der Erkenntnisse Semmelweis‘ (1818 bis 1865), für die er – nach seinem Tod geehrt und berühmt geworden ist, meinte – selbst drei Monate nach dem ersten Corona-Lockdown und dem ständigen „predigen“ der Wichtigkeit von Händewaschen die Hygiene-professorin der Wiener Medizin-Uni: „Was glauben’ S, wie oft wir unseren Studierenden an der Universität – und nicht nur ihnen – das richtige Händewaschen vorzeigen müssen!“ Das sagte Miranda Suchomel zum Reporter, damals noch für den Kinder-KURIER. Sie und ihre Kollegin Birgit Willinger hatten zwei Videos – eins an Kinder, das andere an Jugendliche gerichtet – über richtiges Händewaschen veröffentlicht.
Damals war seit Wochen schon Händewaschen sozusagen in aller Munde, aber es ist bei Weitem keine Corona-Gschicht. Mehr als vier von fünf ansteckenden Krankheiten werden über Hände übertragen – von Grippe bis Magen-Darm-Infektionen kommen die Krankheitserreger über Hände in Mund, Nase oder Augen und so in den Körper verpackten die beiden Wissenschafterinnen als noch immer zu wenig bekannte Sachinformation in die Videos.
Ein Tanz.Schau.Spiel
das.bernhard.ensemble / Das Off-Theater Wien
Eigenproduktion
Regie, Konzept: Ernst Kurt Weigel
Choreografie: Leonie Wahl
Performance: Yvonne Brandstetter, Sophie Resch, Leonie Wahl, Kajetan Dick, Gerald Walsberger (Semmelweis)
Komposition: b.fleischmann
Bühne und Kostüme: Pia Stross
Regieassistenz: Christina Berzaczy
Ausstattungs-Assistenz: Mael Blau
Dramaturgie-Assistenz: Ariana Richtmann
Lichtdesign, Technik: Julian Vogel
Produktionsleitung: Monika Bangert
Bis 9. April sowie Zusatzvorstellungen am 26. und 27. April 2022
Off Theater Wien/White Box: 1070, Kirchengasse 41