Viele hörten im Brigittenauer Mortara Park zum ersten Mal „unsere Sprache“ auf einer Bühne – ein Stück vom Jugendtheater Stansilavski.
Eine Modepuppe vor der Couch ist das markanteste Zeichen in Dušicas Wohnung in Beograd (Belgrad, der Hauptstadt Serbiens), dass sie Modedesign studiert. In der rechten Bühnenhälfte steht ein Tisch, auf den Đorđe eine Kofferschreibmaschine hievt und drei analoge Kameras platziert. Seine Wiener Unterkunft. Er will hier als Regisseur für Low-Budget-Filme durchstarten, muss dann aber auch andere Jobs ausüben.
Schon die Schreibmaschine und die alten Kameras, aber erst recht die Telefone noch mit Wählscheibe zeigen, die Szenerie ist im vorigen Jahrhundert angesiedelt. Nicht der Krieg in den einander bekriegenden Teilen des ehemaligen Jugoslawiens brachte Đorđe nach Wien, sondern „nur“ die Aufstiegshoffnung.
„Beograd – Beč“ (Belgrad – Wien) heißt das rund einstündige Theaterstück von Fedor Šili und Mihajlo Dasukidis, das in Originalsprache (die einen sagen Jugo, andere BKS, dritte „naš jezik“ = unsere Sprache) nach zwei Aufführungen im Ateliertheater kürzlich beim Wiener Kultursommer im Mortara Park (20. Bezirk, Brigittenau) heftig umjubelt gespielt wurde (Regie: Marina Đorđević). Nicht zuletzt auch, weil viele im Publikum – vielleicht sogar zum ersten Mal – eben ihre eigene (Erst-)Sprache erleben durften.
Während das eine oder andere (große) Theaterhaus immer wieder von Diversität, Vielfalt usw. spricht und dass nicht nur Deutsch auf Bühnen zu hören sein soll, spielt Akademija glume i omladinsko pozorište Stanislavski (Akademie für Schauspiel und Jugendtheater Stanislavski) immer wieder in dieser/diesen Sprache/n. Einige Jahrzehnte gab es dafür in Wien auch einen Ort – das Interkulttheater; fallweise waren/sind auch im Theater Arche andere Sprachen auf der Bühne zu erleben – künftig soll das auch im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) der Fall sein. Die (Theater-)Szenen in verschiedensten Sprachen – abseits von Englisch oder Französisch – blühen meist aber im Verborgenen.
Zurück zur Verbindungs-Schnur – die Telefone waren noch nicht draht- und kabellos – zwischen Belgrad und Wien in jenem Stück im Brigittenauer Park. Die Verbindung zwischen den Haupt-Protagonist:innen ist anfangs recht eng. Dauernde, liebevolle Gespräche – immer mitschwingend baldiges Zusammensein in Wien…
Bis sich die Leben beider auseinander entwickeln – das mit der Karriere in Wien wird nicht so recht etwas, eher sind Kellnerieren und andere Jobs angesagt. Struggles auch in Beograd – da pendelt Dušica (Marija Gajić) zwischen Auftakeln (und damit mehrmaligem Umziehen) für Party-Besuche mit ihrer diesbezüglich erprobten mondän-glitzernden, dem Alk zugeneigten Freundin Mima (Zorica Simić) und den Forderungen ihres Bruders Željko (Ignjat Karanović), der ständig Geld braucht. Fünfte auf der Bühne ist schließlich Gaga (Jovana Ilić), Wiener Serbin / serbische Wienerin der zweiten Generation, die eines Abends Đorđe (Marko Dimitrijević, der kurzfristig für den verhinderten Dorijan Bakoš-Dodek eingesprungen ist) besucht, vielmehr heimsucht.
Soweit die grobe Handlung. Im Kern dreht sich alles einerseits ums immer weiter Auseinanderleben des Paares Dušica und Đorđe. Und andererseits darum, dass sie nach Wien will und er immer mehr sein Traumbild dieses neuen Anfangs zerplatzen sieht und sich eher zurücksehnt. Oder doch auch wieder nicht. Dramaturgischer Höhepunkt, den sich Regisseurin Marina Đorđević einfallen hat lassen, um dieses dort/da-Dilemma krass sicht- und erlebbar zu machen: Gegen Ende telefonieren die beiden, sitzen einmal Rücken an Rücken, wandern dann durch ihre Räume, durchbrechen die unsichtbare Wand zwischen Beograd und Beč, ziehen ihre Kreise und plötzlich ist vorübergehend Dušica in der Wiener Wohnung und Đorđe im Zimmer in Belgrad.
Neben der Sprache ist es vor allem auch dieses Gefühl des hin und hergerissen seins, das viele auch von sich selbst kennen, wie Besucher:innen der Ateliertheater-Vorstellung Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… anvertrauten.
Ob Anspielungen und Anspielen auf und von Musik – etwa der einst populären Belgrader (Alternative-)Rock-Band EKV (Ekatarina Velika) sowie „200 na sat“ von Ivan Gavrilović – oder Wortspiele und -witze wie wenn Gaga, die in ihrer Rolle nur gebrochen serbisch spricht, die Schreibmaschine (pisaća mašina) „pišaća mašina“ (Piss-Maschine) nennt. Was natürlich bei jenen, die die Sprache perfekt verstehen, zu Lachstürmen führte.
(Belgrad – Wien)
Text: Fedor Šili und Mihajlo Dasukidis
Regie: Marina Đorđević
Darsteller:innen
Dušica, Modedesign-Studentin: Marija Gajić
Đorđe, aufstrebender Schriftsteller: Marko Dimitrijević (Dorijan Bakoš-Dodek)
Mima, Dušicas Freundin: Zorica Simić
Gaga, Bekannte von Đorđe, 2. Generation in Wien mit gebrochenem Serbisch: Jovana Ilić
Željko, Dušicas Bruder: Ignjat Karanović
Bühne: Riana Sulić
Regieassistenz: Sandra Bajić, Jovana Ilić
Produktion: Akademija glume i omladinsko pozorište Stanislavski
Übersetzung ins Deutsche: Dr. Irmgard Kanwar