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Kämpferischer Redner Boban Ristić
Kämpferischer Redner Boban Ristić
04.08.2022

Wie oft müssen wir noch an eure Verantwortung und unseren Schmerz erinnern?

Kämpferische Rede eines jungen Rom bei der Gedenkveranstaltung am Ceija-Stojka-Platz.

Bei der diesjährigen Gedenkveranstaltung an den Völkermord an Rom*nja und Sinti*zze am Ceija-Stojka-Platz in Wien-Neubau hielt unter anderem ein junger Aktvist eine kämpferische Rede. Sie sei hier im vollen Wortlaut veröffentlicht – Link zu einem Bericht über die ganze Veranstaltung unten nach dieser Rede.

Guten Abend, verehrte Damen, verehrte Herren, mein Name ist Boban Ristić. ich bin ein 26-jähriger Rom aus Serbien, freiberuflich Journalist, Aktivist und Sozialarbeiter.

Seit sieben Jahren gedenken wir jeden 2. August hier auf dem Ceija Stojka Platz der über 4000 Menschen, die in der sogenannten Zigeunernacht von Auschwitz vergast wurden. Wir gedenken der halben Million Roma und Romnja, Sinti und Sintize, die in ganz Europa von den Nazis ermordet wurden.

Sieben Jahre lang stellen wir dieselben Forderungen: Die Ratifizierung des 2. August als internationalen Roma Holocaust Gedenktag durch die Republik Österreich. Die Errichtung eines Denkmals im Zentrum dieser Stadt, als einen Ort der Erinnerung und gegen das Vergessen.

Schnappschüsse am Rande der Gedenkveranstaltung
Der Platz an dem die Gedenkveranstaltungen jährlich stattfinden – erinnert an die Dichterin, Malerin, Aktivistin und KZ-Überlebende Ceija Stojka

Sieben Jahre lang …

Sieben Jahre lang stehen Politikerinnen und Politiker an genau dieser Stelle und geben Versprechen. Versprechen, die sie bis heute nicht geschafft haben, einzulösen. Sie erzählen uns die Geschichte unserer Volksgruppe, mahnen gegen das Vergessen und erklären uns, was Antiziganismus ist.

Die Schulbücher, in denen über Antiziganismus gelehrt wird – es gibt sie nicht.

Plätze im Herzen dieser Stadt – der Hauptstadt eines Täterlandes – werden nicht zu Orten des Gedenkens.

Die Reden, die Worte der Politiker und Politikerinnen bleiben leer. Worte, die sich anfühlen wie bloße Hüllen, Taten sehen wir aber kaum.

Bittere Früchte

Wieso müssen wir Jahr um Jahr an einem Tag der Trauer und des Gedenkens politische Forderungen stellen?
Die Antwort ist ganz einfach, verehrtes Publikum: Antiziganismus. Und die Gleichgültigkeit, mit der wir uns stets konfrontiert sehen. Antiziganismus ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Er beginnt beim Individuum, zieht sich durch Bildung, Wirtschaft, Kunst und Kultur. Bis hoch in die Politik. Die Wurzeln, die den Baum des Antiziganismus tragen, sind tief. Die Äste dieses Baumes dringen in alle Richtungen weit in unser Leben hinein und tragen schon viel zu lange bittere Früchte.

Ich war am diesjährigen internationalen Roma-Tag, am 8. April im Parlament als Rom:nja und Sinti:zze gemeinsam ein Positionspapier an das Parlament übergaben. In dem zeigen wir uns einig in einer Forderung nach einem zentralen Gedenkort in Wien.

Doch selbst als geschlossene Front sind unserem Aktivismus irgendwann Grenzen gesetzt. Hier kommt die Politik zum Zug. Und es hat sich etwas bewegt. Heuer, 78 Jahre nach dem Genozid und nach Jahren des Forderns haben die Nationalratsabgeordneten Olga Voglauer und Eva Blimlinger von den Grünen ihre Unterstützung bei der Errichtung eines Denkmals ausgesprochen. Die Abgeordneten Olga Voglauer und Nikolaus Berlakovich (ÖVP) haben vorigen Monat einen parlamentarischen Antrag für die Ratifizierung des 2. August als Gedenktag eingebracht. Und jetzt?

Kann es sich irgendeine Partei, irgendein Abgeordneter oder irgendeine Abgeordnete des Hohen Hauses überhaupt leisten, diesen 2. August NICHT als Gedenktag anzuerkennen? Jetzt warten wir.

(Noch) kein Mahnmal, nichts in Geschichtsbüchern …

Der Völkermord an unsere Vorfahren ist nun 80 Jahre her. Kaum eine Überlebende aus unserer Volksgruppe kann ihre Geschichten und Erfahrungen mit uns teilen. Ich frage mich, wie viele Millionen von Schülerinnen und Schülern in den letzten Jahrzehnten keinen Lehrausgang zu einem Mahnmal für die ermordeten Rom*nja und Sinti*zze machen konnten, in ihren Geschichtsbüchern nichts über unsere Toten lernen konnte, kein Museum meiner Volksgruppe besuchten.

Ich frage mich, wie oft wir noch an eure Verantwortung und unseren Schmerz erinnern müssen, wie oft ich noch eine Rede halten werde und wie oft noch IHR traurig nachhause gehen werdet, um morgen wieder alles zu vergessen.

Der Unterschied ist, wenn morgen wieder der 3. August anbricht, bleibt unser Schmerz, bleibt unsere Trauer. Und die Asche unserer Toten bleibt verscharrt in namenlosen Massengräbern in Auschwitz, Dachau, Bergen-Belsen und Jasenovac. Verstreut in allen Staaten, in denen Sie uns verfolgt, veschleppt und brutal ermordet haben.

Wenn morgen wieder der 3. August anbricht, heißt es weiterhin für die Erinnerung, gegen das Vergessen und verdammt nochmal für eine würdige und gerechte Erinnerungspolitik für unsere Toten zu kämpfen. Unsere Toten. Die ermordeten Rom*nja und Sinti*zze dieses Landes und die Ahnen dieses Kontinents.

Dankeschön,

Boban Ristić
Wien, 2. August 2022