Liga für Kinder- und Jugendgesundheit ortet viele Defizite, Mangel an Therapieplätzen und vor allem kostenfreier bzw. leistbarer Versorgung.
Es gibt längst Triagen – im Bereich psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Die wurden durch Corona noch verstärkt. Dieser massive Hilferuf, dass viele nicht die notwendige Betreuung und Behandlung bekommen, wurde Mittwochvormittag bei einem Online-Mediengespräch der österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit ausgestoßen.
Zwar begrüßten alle Sprecher:innen – Christoph Hackspiel (Präsident), Caroline Culen (Geschäfstführerin), Hedwig Wölfl (Vizepräsidentin) und Nicole Grois (Kinderärztin) -, dass mit den offenen Schulen in diesem vierten Lockdown grundsätzlich die Interessen von Kindern und Jugendlichen – im Gegensatz zum Beginn der Pandemie – wahr- und ernster genommen worden sind. Kontakt zu Gleichaltrigen, Lernen in der Gemeinschaft, Austausch über den Stoff… ABER – wurde kritisiert – die Last der Entscheidung Familien umzuhängen würde dort erst recht für Stress sorgen. Und diese „Ich muss ja nicht hingehen“ könnte Jugendliche, die sich auf Rückzugsmodus befinden in diesem bestärken.
Vor allem aber wurde bei der Präsentation des nunmehr 12. Berichts zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich auf Versäumnisse und Forderungen zur Behebung dieser – auch schon aus Zeiten vor der Pandemie hingewiesen. Wobei Gesundheit von den Fachleuten – in der Liga sind rund 100 Einrichtungen und Organisationen aus diesem Feld vernetzt – umfassend gesehen wird: körperlich, psychisch und sozial.
In diesem Sinne ist etwa die Bekämpfung der Kinderarmut – in Österreich sind 350.000 Kinder und Jugendliche davon betroffen bzw. bedroht – eine zentrale Forderung. Ferner gibt es in Sachen Kinderärzt:innen eine Zwei-Klassen-Medizin, so Nicole Grois. Nur vier von zehn ihrer Berufskolleg:innen haben einen Kassenvertrag, davon sind fast drei Viertel (71 %) über 50 und ein Viertel (26%) über 60 Jahre. Bürokratische Hürden und extrem niedrige Honorarsätze seien dafür verantwortlich.
In Sachen Psycho-, Ergo und anderer Therapieplätze sei es noch viel schlechter bestellt. Ganz dringende Versorgung und Behandlung könne oft nicht rechtzeitig geleistet werden. Lange Wartelisten und -zeiten verpassen oft den richtigen Zeitpunkt in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.
Präventive Maßnahmen, wie die bundesweite Ausrollung der Frühen Hilfen, v.a. auch für Menschen mit sprachlichen und anderen Barrieren, oder auch die niederschwellige Berücksichtigung sowohl psychosozialer Risikofaktoren als auch sozioökonomischer Benachteiligung im Eltern-Kind-Pass (als geplante Erneuerung des Mutter-Kind-Passes), könnten wirksame Instrumente zur Unterstützung der Familien sein.
Konkret verlangt die Liga, die Schaffung eines Kinderministeriums, „das sich ressortübergreifend für die Interessen der etwa 2 Millionen Kinder und Jugendlichen in Österreich einsetzt. Ein Kinderministerium braucht es umso mehr, als wir in der aktuellen Krisenpolitik einmal mehr feststellen müssen, dass zugunsten anderer Interessengruppen bei Kinder- Jugend- und Familieneinrichtungen eingespart werden soll. Die Expert:innen der Kinderliga fordern auch eine jährliche Kindermilliarde, die vom Bund verwaltet und an die Länder verteilt wird. Diese Investition soll die schon lange bekannten Defizite in der Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendgesundheit beseitigen und für nachhaltige Chancengerechtigkeit unter dem Fokus der Kinderrechte sorgen. Feuerlöschaktionen des Sozialministeriums für psychosoziale Angebote für Kinder und Jugendliche sind gut und wichtig. Langfristige, nachhaltige Maßnahmen im Bereich der Kinder- und Jugendgesundheit sind jedoch unerlässlich.
• Konkrete Maßnahmen zur Abschaffung von Kinderarmut in Österreich
• Ausbau präventiver Angebote wie etwa „Frühe Hilfen“
• Bildungschancen für alle Kinder und Jugendliche ermöglichen (Modelle wie Ganztagsschule, mehr Schulstandortautonomie, Mittagessen an Schulen – das ist auch eines der Ziele der EU Kindergarantie)
• Familien und kommunale Netzwerke stärken
• Kinderärztemangel entgegenwirken – Vernetztes, multiprofessionelles Arbeiten auch für Kinderärzt:innen und viele andere Berufsgruppen im Gesundheitsbereich fördern (am Beispiel der allgemeinmedizinischen Primärversorgungseinheiten)
• Kassenfinanzierte Therapieangebote flächendeckend ausbauen
• Ressourcenstärkung sowohl der behördlichen Kinder- und Jugendhilfe als auch der nicht-behördlichen Kinderschutzeinrichtungen und ihrer Unterstützungsangebote
• Kinderschutzrichtlinien umsetzen
• Arbeitsbedingungen im Kinder- und Jugendbereich attraktiver gestalten
• Gesundheit vernetzt denken (Sozialarbeit, Psychologie, Psychotherpie, Bildung, etc.)
• Gesundheitsziele Österreich: Gesundheitsziel 6 und 9 (gesundes Aufwachsen, psychosoziale Gesundheit fördern) ins Regierungsprogramm aufnehmen