Zweite Auflage der Muslim* Contemporary, Ausstellung, Workshops usw. zeitgenössischer Kunst und Kultur in Wien.
Das Projekt Muslim* Contemporary, initiiert vom Salam Oida Kollektiv, ging am 10. Oktober 2022 in die zweite Runde und bot auch diesmal verschiedene Räume zum Reflektieren, Diskutieren und Reden.
Die Muslim* Contemporary ist ein multidisziplinäres, partizipatives und dialogisches Festival, das durch verschiedene Kunstformen die Teilhabe muslimischer Gemeinschaften und Individuen in der Gesellschaft aufzeigen und wichtige gesellschaftliche Diskurse durch Darstellungen zeigen, reflektieren und verhandeln will.
Für ihren zweiten Durchlauf hat die Muslim* Contemporary nationale Grenzen überschritten und sich in den transalpinen Raum begeben. Auch aus Deutschland und Zürich wird dem Herzensprojekt des Salam Oida Kollektivs Raum gegeben. Bis zum 16. Oktober 2022 finden in ganz Wien Ausstellungen, Panels, Workshops und Konzerte statt.
… die sich weder gesehen noch gehört fühlen?“ Diesen Gedanken teilten sich die Gründerinnen des Salam Oida Kollektivs, Asma Aiad und Ines Mahmoud, am Anfang dieses Projekts. Ihre Vermutungen waren zutreffend. Zu diesem Zeitpunkt gab es viele andere, die sich ebenfalls unsichtbar und ungehört fühlten. Und so verbündeten sie sich und arbeiteten unaufhörlich, um ihre Gedanken und Gefühle in diverse Vermittlungsmittel zu überführen. Bei Muslim* Contemproary sind Werke von vielen unterschiedlichen Künstler:innen aus nicht-weißen Communities zu sehen und hören. Die Kuratorin der Ausstellung schafft damit einen kritischen Safe Space für alle, aber vor allem für marginalisierte Communities, die sonst wenig Zugang zu institutionell verwehrten Kunst- und Kulturinstitutionen haben.
Der Ausstellungsraum des zweiten Durchlaufs befindet sich in einer der ältesten Kunstakademien Europas. In der Aula der Akademie der bildenden Künste finden sich historische Hallen, die abseits von Fremdbestimmung und Orientalismus in eine inklusive Gegenwart eingehen. Unter dem Titansturz von Feuerbach werden Besucher:innen des Festivals eingeladen, sich mit Arbeiten und Beiträgen von Asma Aiad, Muhammet Ali Bas, Calimaat, Marua Yasin, Imen Bousnina und anderen auseinanderzusetzen.
Eine Auseinandersetzung mit der im November 2020 ausgeführten Razzia, welche vorwiegend muslimische Familien im Fokus hatte und heute für teils rechtswidrig erklärt wurde, ist auch heuer präsent. Von großer Bedeutsamkeit ist jene Operation vor allem, da sie dank ÖVP-Politikerinnen zu einer landesweiten Kontroverse sorgte. Eine im Rahmen der ersten Muslim* Contemporary zur Operation ausgestellte Installation schlug hohe Wellen, da Laura Sachslehner (damalige Generalsekretärin) und Caroline Hungerländer ein Naheverhältnis zum politischen Islam orteten und die Förderwürdigkeit des Projekts infrage stellten. In ihrer Anfrage äußerten sie sich unter anderem kritisch zu einem Gruppenfoto, auf dem einige Frauen eine geballte Faust in die Luft strecken. Statt ein Zeichen von Solidarität, Stärke und Widerstand zu sehen, sahen die ÖVP-Politikerinnen die geballte Faust als Synonym für linksextreme Kampfbereitschaft und Gewalt. Dieser Angriff löste eine enorme Solidaritätswelle aus und bestätigte die Kuratorinnen und Künstlerinnen in ihrer Arbeit.
Wenn antirassistische, feministische und gesellschaftskritische Arbeit radikal sei, dann sollten wir uns demnach auch alle radikalisieren, betont Aiad. Zwei der Kunstwerke sind Ergebnis der Reaktionen auf den parteipolitischen Angriff auf die Kunstausstellung: Ein offener Brief an die beiden VP-Politikerinnen, der von vielen Künstler:innen und Kultureinrichtungen – weit über die muslimische Community hinaus – unterschrieben worden ist, hängt in überdimensionalen Schrift als Banner zwischen zwei Säulen fast von der Decke bis auf den Boden. Und daneben auf einem Podest stehen gut zwei Dutzend gegossene Abdrücke von Fäusten.
Der mittlerweile einigermaßen bekannte Dreiklang dieser Begriffe – auf Kurmandschi „Jin, Jiyan, Azadî“ – als Protest gegen den gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini durch iranische „Sittenpolizei“ – findet sich in einer Installation aus einem langen an den beiden Enden von der Decke hängenden Stück schwarzen Stoffs sowie langer schwarzer Haare. Die Künstlerin Spirin setzt mit ihrer Arbeit ein Zeichen der Solidarität mit den – trotz schärfster Repressalien samt tödlicher Gewalt – weitergehenden Protesten im Iran. Aber auch gegen das doch laut dröhnende fast Schweigen im Westen.
Aber nicht nur Ernstes – unter anderem auch eine Installation, die sich mit den Femiziden in Österreich auseinandersetzt (Eşim Maşallah Karakuyu) – sondern auch Humor kommt in einigen Arbeiten zum Ausdruck. So hat gleich zu Beginn der Halle Esma Bošnjaković eine Art Kartonzimmer als „Identitäts-Spielraum“ aufgebaut u.a. mit vielen „Schubladen“, in denen Menschen oft gesteckt werden.
Muhammet Ali Baş wiederum hat an zwei Gang-Stellen der Halle „Bomben“ aufgebaut – aus Feuerlöschern mit stilisierten Zeitschaltuhren – an einer Stelle sogar in der Nähe des ohnehin vorgeschriebenen Feuerlöschers.
Noch sind praktisch alle Kunstwerke davon gekennzeichnet, sich mit Zuschreibungen anderer auseinanderzusetzen. Wäre schon, wenn die Gesellschaft endlich so weit wäre, dass Werke muslimisch gelesener Künstler:innen unabhängig davon entstehen könnten.
Fatima Kandil
@fatimemoires
Mitarbeit: Follow@kiJuKUheinz
Mit Arbeiten und Beiträgen von: Asma Aiad, Luna Al-Mousli, Sabir Ansari, Muhammet Ali Baş, Iqbal Barkat, Esma Bošnjaković, Imen Bousnina, Oğuzhan Büyük, Calimaat, Dartagnan, EsRAP, Fabian Goldmann, Neda Hosseinyar, Eşim Maşallah Karakuyu, Seba Kayan, Omar Khartoumi, Ozan Zakariya Keskinkılıç, Tyma Kraitt, Ines Mahmoud, Amar Mehmedović, Munira Mohamud, Sabrina Myriam Mohamed, Ahmed Naief, Anahita Neghabat, Nora Osagiobare, Çağrı Özyürek, Şeyma Sarıyıldız, Restless Leg Syndrome, Marua Yasin und vielen mehr
Bis 16. Oktober 2022
Ausstellung in der Akademie der Bildenden Künste Wien
1010, Schillerplatz 3
Sowie Workshops, Stadtführungen usw. auch über die Stadt verteilt
Detaillierte Infos hier