Kinder Jugend Kultur und mehr - Logo
Kinder Jugend Kultur Und mehr...
Hamed, Sarah (Noori, die Geschäftsführerin), Claudia,Adriana und Jovani - einige der Kellner:innen mit der GEschäftsführerin im "Rinderwahn" in der Wiener Innenstadt - wo's übrigens auch Vegetarisches gibt

Toughe junge Business-Lady: Freiheit, die ich will, geb ich auch

Was haben das Weltcafé, das Votiv Café, „Rinderwahn“ in der Innenstadt, das Pizza Quartier am Wiener Karmelitermarkt, Bella Compagnia in der Erdbergstraße und in Meidling, das Pub Shebeen und Black Sheep miteinander zu tun? Sie verstehen sich als internationale Lokale, leben von guter Qualität und freundlicher, kompetenter Bedienung. In dem einen oder anderen Lokal mit Zusatzangeboten wie kostenlosen Pub-Quizzes oder einer kleinen Bühne für Nachwuchskünstler:innen (Votiv). Und diese unterschiedlichen Lokal verbindet noch eines, viel mehr eine: ein und dieselbe Checkerin, meist Geschäftsführerin: Sarah Noori (34), auf Instagram als sarah.changezi unterwegs. Zwischen mindestens drei Sprachen switchend als da wären Deutsch, mit Vorliebe Englisch sowie Dari/Farsi. Meist – online und analog – tip-top auf Business-Lady gestylt – und doch oft mit einer eigenen, sehr oft farbenfrohen, bunten Note.

Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… hat sie in zu bzw. durch sieben ihrer neun Lokale getroffen, nachdem es zum ersten Gespräch am Rande der Ausstellung „Der Weg ins Chaos“ von Zaker Soltani im Kunstraum Nestroyhof gekommen ist (August bis September 2022). Zwischen seinen gemalten Bildern und unter den von ihm zu einer beeindruckenden Installation aufgehängten mehr als 300 afghanischen Flugdrachen – Link dazu am Ende dieses Beitrages – entstand die Idee für das Porträt dieser umtriebigen jungen interkulturellen Geschäftsfrau.

Fast verheiratet

Vor knapp mehr als zehn Jahren flüchtete sie – knapp bevor sie in einer vom Vater arrangierten Ehe landete – aus dem Hochzeitssaal in Pakistan nach Österreich wo ein Onkel mütterlicherseits lebte. Als sie noch ein junges Kind war, musste die Familie aus Afghanistan (Alum Ghaded Bosid Jaghori) flüchten, selbst in Pakistan wurde ihrem Vater, der sich gegen die Taliban engagierte, in den Kopf geschossen – das war nach der Flucht der Tochter.

In Österreich jobbte die Absolventin der Wirtschaftsuni in Karachi, die danach bei einer Bank in Pakistan arbeitete, als Kellnerin. „Als Teenager wollte ich eine der Bäckereien meines Vaters führen, aber als Tochter war das unmöglich. Gastro war immer mein’s. Ich dachte, erstens findest du da schnell einen Job und zweitens kannst und musst du viel mit Leuten reden, was das Deutsch-lernen stark fördert.“ Kommunikation mit Menschen liegt ihr – ob mit Gäst:innen oder ihrem Personal. Worte sprudeln ihr aus dem Mund. Genauso gut und intensiv hört sie aber auch zu. Und saugt auf. Lern- und wissbegierig wie sehr viele aus der afghanischen Community – wie die jährliche (wenn nicht gerade Lockdowns sind) Absolvent:innen-Feier von Igasus (Interessengemeinschaft der afghanischen SchülerInnen und Studierenden) zeigt – Link zu Berichten dazu ebenfalls am Ende dieses Beitrags.

Wollte viel kennen lernen

„Innerhalb von sieben, acht Jahren hab ich sicher in 20 verschiedenen Lokalen gearbeitet, oft sieben Tage die Woche und noch an Wochenenden in Diskotheken. Ich wollte immer Neues kennen-, immer dazulernen“, erzählt sie und es hält sie kaum auf dem Sitz. Dennoch war von Anfang an ihr „Ziel, früher oder später sich selbstständig zu machen, ein Lokal zu betreiben – und damit ja auch die geschäftsmäßigen Kompetenzen ihres Bachelor-Studiums aus Pakistan nutzen zu können“.

Doch der erste Versuch war ein Reinfall. Zu vertrauensselig. „Sie waren freundlich, offen, haben mich sogar „Schwester“ genannt. Aber ich hab verabsäumt alles im Detail vertraglich abzusichern. Ich bin um viel Geld umgefallen. War enttäuscht. Aber das Leben geht weiter“, kommt die ständige Kämpferin durch. Immerhin ist sie wie eingangs kurz erwähnt einer Zwangsheirat entkommen – und nicht nur einer. Die vor der sie nach Österreich flüchtete war bereits die zweite, in die sie der Vater stecken wollte.

„Aber im Herbst war mein Vater, der jetzt in Australien lebt da. Und zum ersten Mal hat er mir gesagt, dass er stolz auf das ist, was ich geleistet habe. Und dass er mich liebt. Damit hat er mir eine große Last von meinen Schultern genommen. Ich habe bis dahin immer einen schweren Rucksack getragen, dass ich nie den Ansprüchen meines Vaters gerecht worden bin. Ich war immer die Schlimme, die nicht den Erwartungen entsprochen hat, die nie gut genug war – im Gegensatz zu meinen Brüdern. Entschuldigen konnte er sich (noch?) nicht. Aber immerhin, jetzt anerkennt er mich und meine Arbeit, meinen eigenständigen Weg.“

Mein „Baby“

Nach der erwähnten negativen Geschäfts-Erfahrung wurde Sarah Noori vorsichtiger, von ihrem Ziel ließ sie sich aber nicht abbringen. Sie begann zunächst in einem Lokal das Management zu übernehmen – von den Dienstplänen angefangen bis zum Kümmern um alles. Wie sie das machte, vor allem wie sie professionell und menschlich mit dem Personal umging, gefiel dem Geschäftsführer und er überantwortete ihr ein Pub in Klosterneuburg. Auch diese Funktion füllte sie hervorragend aus, weshalb er sie fragte, ob sie beim Welt Café als Geschäftsführerin (mit) einsteigen wolle. „Seither (1. August 2018) ist das mein Baby! Mein größter Wunschtraum ist damals in Erfüllung gegangen. Ich hab Tag und Nacht gearbeitet- voller Freude.“

Weil sie das erfolgreich führte, fragte der Geschäftspartner beim Angebot, das Votiv Café zu übernehmen, gleich Sarah Noori, ob sie die Aufgabe mit ihm und zwei anderen teilen möchte. Und schon war Lokal Nummer 2 auf der To-do-Liste der toughen Business-Lady – zunächst nur als 25%-Beteiligte. „Für mich war es ein tolles Gefühl: Ein Österreicher sieht mein Potenzial.“

Zum Glück liegen Welt- und Votiv Café nur wenige Gehminuten voneinander entfernt. „Vormittags im einen, nachmittags im anderen Lokal – und gewohnt hab ich auch noch im achten Bezirk, also nicht weit weg!“

Kein Personalproblem, weil „Hände frei“

Schnell fand sie Personal – „Der Vorteil ist, Studierende wollen gern arbeiten, auch wenn nur Teilzeit. Aber ich war nie ohne Mitarbeiter:innen.“ Und Sarah Noori, die ja jahrelang selber als Kellnerin gearbeitet hat, schindet ihre Mitarbeiter:innen auf keinen Fall. Ja selbst in den Lockdown-Zeiten konnte sie ihre Beschäftigten halten. Gerade diese Zeit nützte sie, um eine nicht besonders gut gehende Pizzeria in Wien-Erdberg zu übernehmen und rucki-zucki zum Liefer-Service umzubauen, obendrein mit gluten-freien Angeboten, einem veganen Segment und bester Qualität à la Napoli.

Viel schneller als geplant vergrößerte Noori ihren Lokalbestand Dazu gehört das Pizza Quartier am Karmelitermarkt in der Leopoldstadt, „Rinderwahn“ zwei Mal ums Eck vom Stephansdom (erst Mitte des Vorjahres) mit kleinem Ableger am Beginn des Naschmarkts (Nummer 1), das Black Sheep sowie das Shebeen – beides internationale Pubs – womit sich der Kreis zur Internationalität schließt. Die Pubs betreibt sie übrigens gemeinsam mit Sohela Tavakoli, einer Aktivistin von IGASUS, der schon oben erwähnten Interessensgemeinschaft afghanischer SchülerInnen und Studierender.

Rund 100 Mitarbeiter:innen

Der Kreis ihrer Mitarbeiter:innen hat sich mittlerweile auf rund einhundert (in Ziffern 100) erhöht. Und die meisten bleiben lange. Ihr „Trick“: Den Köch:innen hab ich das Gehalt erhöht, die Kellner:innen dürfen ihr Trinkgeld behalten. Ich komme aus der Gastro und hab für meine Mitarbeiter:innen einfach umgesetzt, was ich mir selber früher als Kellnerin gewünscht hätte. Die Freiheit, die mir so wichtig ist, die braucht und will doch jede und jeder. Das ist der Grund, warum ich keine Personalprobleme habe – ich gebe die Hände frei!“

Das wichtigste bei einem Lokal ist das Team, sind die passenden Mitarbeiter:innen zum passenden Lokal. Und dass sie als Team funktionieren – das ist Nooris Credo gegen das europaweite Problem, in der Gastro Personal zu kriegen.

Checkerin, Probleme und Ziele

Und sie kümmert sich um vieles selbst, ordnet nicht an, sondern legt selber Hand an. Bei der Foto- und Interview-Tour durch die meisten ihrer Lokale, checkt sie im Kassa-Computer den Geschäftsgang, drückt aber in der Erdberger Bella Compagnia über einem freien Tisch, an dem sie dann grünen Tee trinkt, selber die herabhängenden bunten künstlerisch installierten Drahtgebilde ein wenig nach oben.

Apropos Kunst – neben der offenen Bühne im Votiv-Café fördert Noori fördert Noori auf verschiedene Art und Weise junge Künstler:innen – etwa durch die Möglichkeit Bilder im Welt Café auszustellen. Und ein Künstler, Maw Cz, bedankte sich mit einem Mural, einem großen Wandgemälde eben in diesem Kaffeehaus.

Die Vielfach-Geschäftsführerin ist viel an einem ihrer beiden Handys. In das eine Lokal bringt sie die Anmeldung für einen Mitarbeiter mit, beim anderen checkt sie mit einem Anruf in der Küche eines noch geschlossenen Lokals, dass der Lieferant, der eine Stunde vor der Öffnung Ware bringt, doch nicht erst später wieder kommen muss.

Zwischen den diversen Checkereien am Handy erzählt sie aus ihrem (Geschäfts-)Leben, verfällt hin und wieder ins Jammern, dass nicht alles so einfach ist – so funktioniert im PizzaQuartier beispielsweise einiges derzeit nicht, weil Mäuse und oder Ratten, die sich am Markt tummeln Elektroleitungen durchgeknabbert haben. Um im nächsten Moment schon neue Pläne zu schildern: „Jetzt möchte ich ein Wirtshaus übernehmen oder eröffnen mit typisch österreichischer Küche!“

Vielsprachig

Nooris Internationalität drückt sich auch in ihrer sprachlichen Vielfalt aus: Dari bringt sie mit ihrer Familie aus Afghanistan mit, ihre vorwiegend – vor allem in der Schule in Pakistan verwendete Sprache war Urdu, dazu gesellen sich Englisch, Dari (Persisch) und natürlich längst und fließend Deutsch. Außerdem kann die Mehrfach-Geschäftsführerin in zwei Alphabeten lesen und schreiben.

Vernetzerin und aktiv

In der Community wird sie aufgrund ihres Lebenslaufes und ihrer Erfolge naturgemäß auch als ein Role Model gefeiert. Immer wieder lädt sie nach oder rund um Veranstaltungen auch zu vernetzenden Treffen ein – so war es nach der Eröffnung der oben erwähnten Ausstellung und zuletzt nach der Präsentation der „Hazara Encyclopedia“ – einem umfangreichen Werk über diese Volksgruppe, aber erstmals von Angehörigen der Hazara selbst, von Asadollah Shafayi. Und sie nahm sich spontan um die Verbreitung des Buches an, was ihr ein Posting auf Social Media einbrachte: „Be like Sarah“ (Sei wie Sarah). Anfang Jänner reihte sie sich am Wiener Stephansplatz ein in eine Kundgebung bei der die Teilnehmer:innen für das Recht auf Bildung auch für Mädchen und Frauen in Afghanistan, für Frauen- und Menschenrechte und gegen die Taliban-Herrschaft protestierten. Und auch gegen die Verfolgung der Volksgruppe der Hazara, der auch sie angehört.

Follow@kiJuKUheinz

weltcafe
Votiv-Cafe
The Black Sheep
shebeen
pizzaquartier
rinderwahn
bellacompagnia