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Eva Bauer und Tilo Schott, Jugendliche aus der Festivalleitung

Geschwister – Dauerstreit oder beste Freund:innen?

63 Filme, ausgedacht, gedreht, gespielt, gezeichnet, geschnitten, animiert, montiert… von Kindern und Jugendlichen standen und stehen auf dem Programm des Festivals des jungen Kurzfilms. Zum 29. Mal finden die Video- und Filmtage – seit vielen Jahren im Cinemagic in der Wiener Urania statt. Jeden der Blöcke mit meist drei Filmen hat das Festivalteam unter einem Motto zusammengefast. „Wahrheit und Pflicht“, „Flügge: Loslassen lernen“, „Zwischen den Momenten“, lauteten die drei am Eröffnungsabend, Donnerstag, 2. Oktober 2025; das Festival läuft bis Sonntag, 5. Oktober – mehr im Infoblock am Ende des Beitrages.

Weit mehr als Abspielen

Das Spannende sind nicht nur die Filme in Genres von Trick- und Animations- bis zu Spiel- und Experimentalfilm von Kindern und Jugendlichen (biss 22 Jahre), sondern, dass im Kino auch Live-Feedback vom Publikum erwünscht ist und ein solches jedenfalls von Jurys kommt. Profis aus verschiedenen Bereichen des Films – Regie, Drehbuch, Schnitt, Organisation… – sitzen im Saal, haben die Filme schon zuvor gesehen, betrachten sie nun aber mit dem Publikum erstmals auf der großen Leinwand und stellen nach jedem Block (meist drei Filme) Fragen bzw. kommentieren das Gesehene. Und die Video- und Filmtage bieten immer wieder ein Forum für Vernetzung junger Filmschaffender, nicht selten finden sich neue Teams, die in späteren Jahren Gemeinschaftsprojekte einreichen zu zeigen.

Geschwister

Zwei der drei Filme des ersten Blocks – „Wahrheit und Pflicht“ drehten sich um Geschwister. „Genau gleich alt“ bringt die – echten – Geschwister Lun und Byul Raaberg wieder einmal zu einem Treffen zusammen, bei dem sie über sich und ihre Geschwister-Erfahrungen sprechen. Streng genommen sind die Zwillinge natürlich nicht genau gleich alt, 14 Minuten liegen zwischen den beiden Geburten. Der Film dauert fast so lange, knapp mehr als 13 Minuten. Obwohl praktisch „nur“ geredet“ wird, bleibt’s immer spannend – anfangs sind die Gesichter der beiden nicht zu sehen. Eine bewusste Entscheidung wie Lun (Regie, Schnitt und Darstellung) im Filmgespräch nach der Projektion erzählt. Bruder Byul (Kamera, Sound, Darstellung) konnte studienbedingt in Linz nicht beim Festival sein.

Es hätte sich komisch angefühlt, die ganze Zeit die Kamera aufs Gesicht zu haben. So sei es dazu gekommen, dass beide immer lockerer alles von der Seele geredet haben, „als wäre gar keine Kamera da“. Beide erinnern sich an heftige Streits, aber auch an viel Freund:innenschaft, allerdings auch die Frage, was eigene Identität sei oder „nur“ etwas, um das Geschwisterkind nachzumachen, beispielsweise beim Entdecken der eigenen Queerness. Egal aber was die beiden erzählen, das Gespräch vermittelt sehr viel Nähe und Vertrautheit

Lun montierte ins Gespräch – Verdichtung aus rund vier Stunden Material – vor allem humorvolle Schnipsel aus einem alten Video ein als beide als Kinder zu sehen waren.

Kipppunkt

Viel Vertrautheit durchzieht auch den Großteil der nicht ganz fünf Minuten von „Strandurlaub“ von Erik Bartoš (Drehbuch, Regie und Schauspiel) und Rebecca Kleineidam (Schauspiel). Die beiden Schauspiel-Studierenden schlüpften in die Rollen von zwei Geschwistern, die in die Wohnung des verstorbenen Vaters kommen und dort die Kisten des Erbes durchschauen. So „nebenbei“ ergibt sich anhand eines Plastikspielzeugs, dass sie Scheidungskinder sind und die Schwester mit dem Vater öfter auf Urlaub an italienischen Stränden war, wovon der Bruder nichts wusste / wissen durfte. Womit die Stimmung völlig kippt. Offenes Ende. (Kamera, Schnitt: Jonas Wiesinger; Ton: Karoline Sachslehner)

Hektik

Am Tag als in etlichen Kinos die neueste Verfilmung von Michael Endes Klassiker „Momo“, dem Mädchen, das den Kampf gegen die Zeitdiebe in Gang bringt, startete, wurde bei den diesjährigen Video- und Filmtagen der rund dreiminütige Animationsfilm einer Gruppe von Schüler:innen der HTL Spengergasse im ersten Block des Festivals gezeigt: Vanja Stanojević, Tara Wirth, Selina Mayer, Frederick Schremser und Saskia Hundsdorfer hatten sich für „Time Chase“ (Zeitjagd) eine Geschichte zweier Mädchen ausgedacht, die in die Schule hetzen. Und „natürlich“ zu spät kommen, weil sie au allerlei Hindernisse auf ihrem Schulweg stoßen. In die 2D-Animation haben sie nicht nur so manche humorvolle Szene eingebaut, sondern, wenn’s ganz hektisch wird, Szenen eines alten Computer- bzw. Konsolenspiels à la Super-Mario.

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Szenenfoto aus Teil 1 von "Herbstfest auf dem Lande" - von einer Aufführung in Graz

Making of eines Hörspiels samt Brüchen in „heiler Familie“

Im Hintergrund in luftiger Höhe ein riesiger Kleiderständer, eigentlich -hänger bzw.  Kostümgarderobe. Davor sechs Notenständer. Links und rechts davon zwei ziemlich angeräumte Tische. Einer mit Keyboard und liegender eGitarre, der andere mit vielen, teils mit Wasser befüllten Gläsern. Und eine eher ältere Tonregler-Anlage. So präsentiert sich die Bühne im TAG, dem Theater an der Gumpendorfer Straße (Wien) bevor das Gastspiel von Theater im Bahnhof (Graz) mit „Herbstfest auf dem Lande“ startet.

Zwischen den Publikumsreihen eilt ein Mitglied der Theatergruppe zur Bühne, klopft an eine der Türen im Hintergrund, die Schauspieler:innen kommen raus und – nein, sie haben keine Blasinstrumente dabei. So viel darf sicher gespoilert werden. Obwohl Fest und Land im Titel dienen die Notenständer „nur“ als Halterungen für Texte.

Juliette Eröd, Gabriela Hiti, Lorenz Kabas und Martina Zinner nehmen Platz und starten in pathetisch-schwülstig formulierten Landschaftsschilderungen die Einleitung eines Hörspiels. Jacob Banigan und Frans Poelstra sorgen auf den seitlichen Tischen für die akustische Untermalung. Obwohl alles zu sehen, beginnt im Kopfkino tatsächlich ein Hörspiel. Auf der Bühne sozusagen das Making of desselben zu sehen, nein zu erleben.

Geschwister-WhatsApp-Gruppe

Und erst die Geschichte: Die vier Erzähler:innen schlüpfen in die Rollen vier erwachsener Geschwister. Ihr Vater wird demnächst 80 (Text: Monika Klengel und Ensemble; Regie und Konzept: Frans Poelstra, Monika Klengel). Zur Vorbereitung eines Geburtstagsfestes gründen sie ein WhatsApp-Gruppe. Samt gesprochener Verschreiber und deren Korrekturen: „Ich freude mich… nein freue mich“. Oder nachdem – auch ausgesprochen – Hochladen eines alten Familienfotos mit der mittlerweile verstorbenen Mutter: „Da hat sie das letzte Mal gelästert…“ – „Freud‘scher Fehler: gelächelt“. Die jüngste Schwester, offenbar schon eine mit Social Media aufgewachsene jüngere Erwachsene, die immer wieder englische Begriffe in ihre (Halb-)Sätze in die Gruppe schreibt und mit vielen Rufzeichen arbeitet, bei denen sie nicht immer die Caps-Lock-Taste (Shift, Feststelltaste, Großbuchstaben) und daher !!!111 verlesen wird.

Als wärst du im Wirtshaus

Wer organisiert was? Wo soll das Fest stattfinden? Viele Fragen und so scheint ein direktes, persönliches Vorbereitungstreffen notwendig – in einem Gasthaus: Da mischen sich Gesprächsfetzen mit Geräuschen von Teller- und Besteckklappern, Suppe löffeln und Bestellungen beim Wirtshauspersonal… und obwohl du nur die beschriebene Szenerie siehst und das Gesprochene hörst, fühlst du dich fast in diese Wirtsstube hineinversetzt, kannst fast den Geruch der genannten Speisen wahrnehmen. Köstlich und so perfekt gesprochen, szenisch gespielt und soundmäßig mit fast unbeschreiblichen „Tricks“ akustisch kreiert.

Wickel

Natürlich ist bald nicht alles eitel Wonne. Erst recht nicht beim Fest mit der Überraschung eines auf dem Dachboden gefundenen alten Super-8-Millimeter-Films und einem dafür aufgetriebenen Projektor. Was da als Bruch des Bildes der heilen Familie ins Bild kommt, wird hier aber nicht verraten. Dass es damit auch zum Wickel unter den Geschwistern kommt, drängt sich auf.

Teil 2: Hörspiel plus Tanz

Der genialen – trotz so manch bitterböser Familien-Auseinandersetzung über weite Strecken witzigen Live-Aufnahme des Hörspiels folgt nach der Pause ein zweiter, zunächst spartanisch wirkender Teil vor einem Schnürlvorhang. Wortlos bewegen sich die Protagonist:innen immer wieder tänzerisch zum Abspielen des zuvor Aufgenommenen. Mit ihren teils zeitlupenartigen Moves drücken sie die jeweiligen Stimmungen und Gefühle bzw. das Verhältnis zueinander aus – manchmal sehr eng, dann wieder ziemlich vereinzelt und abweisend.

Ameisen

Eine metaphorische „Nebengeschichte“ handelt von Ameisen, die sich im Falle einer Überschwemmung zu einer Art lebendigem Floß ineinander verhaken. Für die Illustration dieser Passage schlüpfen die zuvor fast ausschließlich schwarz gekleideten Schauspieler:innen nun in bunte Gewänder vom eingangs genannten Kleiderständer und werden zu der entsprechenden Einheit, die das Überleben der Gruppe sichert. Bevor sie – wieder in Menschengestalt – auseinanderdriften. Und – zumindest – einer die WhatsApp-Gruppe verlässt.

kijuku_heinz

Doppelseite aus dem bebilderten Buch "Kind zu verschenken"

Ihr bemerkt mich gar nimmer, dann geh ich halt…

Der heftige Titel dieses bebilderten knapp mehr als 100-seitigen Buches wird zunächst auf dem Cover durch das strahlend lächelnde Kind in einem Karton erträglicher, weil es schon auf Ironie hindeutet. „Kind zu verkaufen“ von Hiroshi Ito (gezeichnet und geschrieben, ins Deutsch übersetzt von Ursula Gräfe) dreht sich also nicht um Kinderhandel, den es leider noch immer auf der Welt gibt.

Die Geschichte handelt von einem – das ganze Buch über namenlos bleibenden Mädchen – das plötzlich für die Eltern Luft zu sein schein. Grund ein kleines Geschwisterchen. Das hat übrigens sehr wohl einen Namen. „Was ist denn so toll an Daichi! Der ist ein nerviges Äffchen“, klagt die Hauptfigur des Bilderbuch-Romans. Was die Mutter der beiden mit „Aber ein süßes Äffchen“, kommentiert. Übrigens die einzige echte Antwort auf den ersten Seiten.

Doppelseite aus dem bebilderten Buch
Doppelseite aus dem bebilderten Buch „Kind zu verschenken“

Zuvor lässt sie jeweils nur ein „Ja, ja“ aus. Egal ob das Mädchen bittet, ja bettelnd fragt: „Du brauchst mich wohl nicht mehr, Mama, oder?“ Auch auf der nächsten Seite kriegt die Tochter auf den Satz: „Ich haue ab. Ich such mir ein neues Zuhause!“ keine andere Antwort.

Auch wenn’s offenkundig eher als provokative Drohung gemeint war, um doch endlich Aufmerksamkeit zu kriegen – Versuch gescheitert. Und so packt sich das Kind zusammen. Mit einem kleinen Rucksack macht es sich auf den Weg, findet einen Karton beim Mist, leert ihn aus, nimmt ihn mit und schreibt in schönster Schrift: „Kind zu verschenken“ drauf. Dann malt es sich aus, welche netten Menschen es mitnehmen in ein neues Zuhause, wo es geschätzt wird.

Doppelseite aus dem bebilderten Buch
Doppelseite aus dem bebilderten Buch „Kind zu verschenken“

Allerdings… – wie wahrscheinlich zu erwarten, da wird nix draus. Dafür gesellt sich ein verlaufener Hund, ein Kätzchen und eine Schildkröte zu dem Mädchen in der Papp-Schachtel.

Wie’s ausgeht wird hier sicher nicht gespoilert. Das Wichtigste an der Geschichte ist ja wohl das durchaus bitterböse humorvolle Schildern, wie es allzu vielen Kindern geht, wenn ein Baby als Geschwisterchen in die Familie kommt und wie sich das verletzend anfühlen kann…

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Titelseite des bebilderten Buches
Titelseite des bebilderten Buches „Kind zu verschenken“