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Bildmontage: Plakat einer- und Kundgebung andererseits

Trauern um alle zivilen Opfer und für Waffenstillstand

„Ich denke, ich spreche im Namen vieler Menschen hier, wenn ich sage, dass die letzten Wochen absolut verheerend waren. Für viele von uns waren sie nicht nur deshalb verheerend, weil wir oder unsere Freund:innen vielleicht Freund:innen oder Angehörige durch Terror und Krieg verloren haben, sondern auch, weil viele von uns den Raum verloren haben, um um alle zivilen Opfer zu trauern, ob sie nun Israelis oder Palästinenser:innen sind. Ich habe das Gefühl, dass es zu einer umstrittenen Position geworden ist, Empathie für alle Opfer von Gewalt zu empfinden, auch wenn sie zur „anderen Seite“ gehören. Es ist zu einer umstrittenen Position geworden, sich gegen das Töten unschuldiger Menschen zu stellen und ein Ende des Krieges zu fordern.“ Dies ist der Beginn der Rede von Isabel Frey, die sie Sonntagabend bei der mittlerweile zweiten Kundgebung innerhalb von zwei Wochen auf dem Platz der Menschenrechte vor dem Wiener MuseumsQuartier gehalten hat – die ganze Rede, die zum Besten und Differenziertesten gehört, das in den vergangenen vier Wochen nach dem ungeheuren brutalen Terror-Überfall der Hamas im Süden Israels gesagt worden ist, darf Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… veröffentlichen – sie ist in einem eigenen Artikel, der am Ende dieses Beitrages verlinkt ist.

Konfliktfreier Raum

Mehr als 500 Menschen waren zu dieser „Mahnwache“ vor und rund um das von Ulrike Truger gestaltete Denkmal an Marcus Omofuma, der im Zuge einer Abschiebung im Flugzeug gefesselt mit zugeklebtem Mund erstickte (Mai 1999), gekommen.  Aufgerufen hatte die oben schon kurz beschriebene Initiative „standing.together.vienna“. Zu Beginn wurde gebeten, weder Fahnen noch Logos zu hissen. Die Kundgebung selber solle ein konfliktfreier Raum sein und bleiben – jenseits aller ideologischen, ethnischen, religiösen und sonstiger Unterschiede. Sogar eigene Awareness-Teams wanderten umher, für den Fall, dass sich jemand unwohl fühle oder Angst habe. Diese Ehrenamtlichen blieben „arbeitslos“.

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Kurdische Musik

Den Auftakt zur Kundgebung spielten die kurdischen Musikerinnen und Sängerinnen Sakîna Têyna und Özlem Bulut. Sie kennen das Leben als verfolgte Angehörige einer Minderheit und sangen unter anderem ein Wiegenlied – niemand auf der Welt solle Angst um ein kleines Kind in der Wiege haben!

Kunst und Künstler:innen bekamen überhaupt mindestens soviel Raum wie Redner:innen – wobei manche beides verbanden. So bat das Kunst-Duo Osama Zatar (geboren im palästinensischen Ramallah) und Inbal Volpo (aus Oranit, Israel) um eine Minute der Stille mit brennenden Kerzen. Die beiden sind Teil der Initiative One State Embassy, die wenigstens in der Kunst alle Grenzen der Welt überwinden will.

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Jiddisches Lied

Isabel Frey, die schon eingangs erwähnte Rednerin ist jiddische Sängerin und brachte das Lied „A shtik fun harts“ (Ein Stück vom Herzen – das in viele Teile zerspring/zersprungen ist) von Josh Waletzky zu Gehör – Video-Ausschnitt ist in diesem Beitrag verlinkt. Der bekannte Marwan Abado konnte als Abschluss sein Instrument (Oud) nicht mehr spielen, da nach zweieinhalb Stunden seine Finger schon zu kalt dafür waren, er sang über die Sehnsucht nach einem ganz langweiligen Tag in Palästina, an dem einfach „nichts passiert“ – auch da Videoausschnitte verlinkt.

Medina Abau verwies in ihrer Rede u.a. auf die herkünfte ihrer Eltern - aus dem iran bzw. dem Kosovo
Medina Abau verwies in ihrer Rede u.a. auf die herkünfte ihrer Eltern – aus dem iran bzw. dem Kosovo

Iran, Kosovo

So wie die kurdischen Sängerinnen eigene Erfahrungen mit dem jetzigen Nahost-Krieg verbanden, so tat dies auch die Rednerin Medina Abau. Sie habe eine Mutter aus dem Iran und einen Vater aus dem Kosovo, wo vor Jahren am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen sie 182 Tage nichts von den Verwandten väterlicherseits gehört und täglich um deren Leben gezittert hätten. Seit dem Vorjahr, seit dem Tod von Jina Mahsa Amini engagiere sie sich verstärkt für die Demokratiebewegung im Heimatland ihrer Mutter.

Nadine Sayegh, Autorin des Buches „Orangen aus Jaffa“, spielte mit dem Brechen von Klischees. Sie begann auf Französisch zu begrüßen, um Arabisch fortzusetzen und sich eine Kufiya (traditioneller palästinensischer Schal) um den Hals zu hängen. Und sie versuchte – trotz der aktuellen fast aussichtslosen Lage auf Frieden – Mut zu machen. Auch in Südafrika sei die Apartheid überwunden, in Ruanda der Völkermord der Hutu an den Angehörigen der Tutsi-Minderheit (geschätzte 800.000 Tote in knapp mehr als drei Monaten), überwunden worden. Auch wenn damit nicht alle Konflikte und Probleme vorbei wären.

Allen Opfern gedenken

Der Tenor aller Reden, aller künstlerischen Beiträge, der gesamten Kundgebung: Allen zivilen Opfern gedenken – und als Konsequenz die Forderung nach einem Waffenstillstand sowie humanitärer Hilfe für die Bewohner:innen Gazas. Der Krieg wirft aber auch Schatten nach Europa, Auswirkungen sind hier spürbar wie der extrem gestiegene Antisemitismus, aber auch antimuslimischer Rassismus habe zugenommen, konstatierte Muna Duzdar, Nationalratsabgeordnete der SPÖ. „Es darf nicht einmal der Eindruck entstehen, dass Menschen feiern, wenn Menschen getötet werden!“, verlangte sie. Anderseits dürften Menschen niemals als „Kollateralschaden“ bezeichnet und getötet werden. Außerdem kritisierte sie das Abstimmungsverhalten des neutralen Österreich in der UNO bei der Resolution, die in der Vorwoche sofortigen Waffenstillstand und humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung verlangte.

Ausschnitt aus der Petition
Ausschnitt aus der Petition

Petition

Immer wiesen Redner:innen auf einen herumgereichten, groß ausgedruckten, QR-Code hin, mit dem Teilnehmer:innen zu einer Petition an die österreichische Bundesregierung kamen/über die untern verlinkte Homepage kommen. Diese beginnt mit dem Satz „als Mitglieder jüdischer und arabischer Gemeinschaften in Wien, vereint in unserem Bestreben nach Frieden und Gerechtigkeit in Israel und Palästina und als besorgte österreichische Bürger*innen und Bewohner*innen dieses Staates, sind wir zutiefst bestürzt, sowie enttäuscht darüber, dass Österreich gegen die Resolution der UN-Generalversammlung, die einen sofortigen Waffenstillstand im blockierten Gazastreifen fordert, gestimmt hat.“

Und weiter heißt es: „In einer für so viele Menschen tragischen Zeit verurteilen wir unmissverständlich sowohl die brutalen Angriffe der Hamas auf Israel, bei denen 1.400 Israelis getötet und über 3.000 verletzt wurden, als auch die israelische Blockade und Bombardierung des Gazastreifens, bei der über 9.000 Palästinenser*innen getötet, zehntausende Menschen verletzt und 1,4 Millionen Zivilist*innen in Gaza zur Flucht aus ihren Häusern gezwungen wurden.

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Um eine weitere Verschärfung der bereits katastrophalen humanitären Lage zu verhindern, muss die Bombardierung des Gazastreifens sofort eingestellt  und die unverzügliche Lieferung von dringend benötigten Nahrungsmitteln, Wasser, Strom und medizinischer Hilfe sichergestellt werden.

Wir appellieren dringend an die österreichische Bundesregierung, besonders in ihrer Rolle als Vertretung eines neutralen Staates, sich gegen die Tötung aller Zivilist*innen auszusprechen und einzuschreiten. Jede Intervention muss darauf abzielen, die anhaltende Gewalt zu beenden und den Konflikt zu deeskalieren. Wir würden uns auch wünschen, dass sich Österreich für integrative, langfristige Lösungen in der Region einsetzt, um Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit für alle zu erreichen. …“

Shoah nicht instrumentalisieren!

Walter Baier, Vorsitzender der europäischen Linken, der selber, wie er sagte, aus einer kommunistisch-jüdischen Familie stammt – eine Großmutter wurde im KZ Auschwitz ermordet, der Vater überlebte, schwer gezeichnet, das KZ Dachau, fand es unter anderem „un-erträääglich“, dass rechte Politiker zynisch die Shoah, den systematischen Mord der Nazis an Jüd:innen, instrumentalisieren, um den Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung zu rechtfertigen. Dagegen gilt es realpolitisch anzuerkennen, dass es auf diesem Gebiet zwei Völker gibt, die beide das Recht haben, in Sicherheit, Frieden und Würde zu leben.

Die Shoah sei ein Verbrechen weißer Europäer an weißen Europäern gewesen. Dafür heute die Palästinenser:innen haftbar zu machen wäre ein Ausdruck des Kolonialismus, der noch immer die Mindsets in europäischen Staaten präge.

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onestateembassy _ standingtogetherpetition

Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede

„Zusammenstehen I Standing Together I الوقوف معا I עומדים ביחד“

Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute hierher gekommen sind, um gemeinsam aller zivilen Opfer in Israel und Palästina zu gedenken und für Frieden und Menschlichkeit einzutreten. Ich denke, ich spreche im Namen vieler Menschen hier, wenn ich sage, dass die letzten Wochen absolut verheerend waren. Für viele von uns waren sie nicht nur deshalb verheerend, weil wir oder unsere Freund:innen vielleicht Freund:innen oder Angehörige durch Terror und Krieg verloren haben, sondern auch, weil viele von uns den Raum verloren haben, um um alle zivilen Opfer zu trauern, ob sie nun Israelis oder Palästinenser:innen sind. Ich habe das Gefühl, dass es zu einer umstrittenen Position geworden ist, Empathie für alle Opfer von Gewalt zu empfinden, auch wenn sie zur „anderen Seite“ gehören. Es ist zu einer umstrittenen Position geworden, sich gegen das Töten unschuldiger Menschen zu stellen und ein Ende des Krieges zu fordern. Und es ist noch umstrittener geworden, sich gegen die Besatzung und für die Notwendigkeit eines gerechten Friedens in Israel und Palästina auszusprechen.

Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede
Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede

„Krieg der Narrative“

In den letzten Wochen habe ich oft daran gedacht, wie mein Vater mir den israelisch-palästinensischen Konflikt erklärte, als ich achtzehn Jahre alt war. Er nannte ihn einen „Krieg der Narrative“, die miteinander völlig unvereinbar sind. Ich habe diese Unvereinbarkeit selbst erlebt, als ich mit einem Narrativ aufwuchs und dann von der Existenz eines anderen erfuhr. Ich bin in einer sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung aufgewachsen, nicht weil meine Familie besonders zionistisch war, sondern weil dies die einzige Möglichkeit für ein säkulares jüdisches Leben in Wien war, auch als Folge der Zerstörung des jüdischen Lebens in der Stadt durch das Nazi-Regime. Bis ich 18 war, hatte ich das Wort „Besatzung“ noch nie gehört. Als ich für ein Jahr nach Israel-Palästina kam, begann ich zum ersten Mal zu verstehen, dass mir und den anderen jungen Menschen in meiner Gemeinde nicht die ganze Geschichte erzählt worden war. Als ich 2013 von einer von Breaking the Silence organisierten Tour durch Hebron zurückkehrte, rief ich meine Eltern unter Tränen an und fragte sie: „Warum habt ihr mir das nicht gesagt?“ Seitdem bin ich eine Aktivistin gegen die Besatzung und für Gerechtigkeit, gleiche Rechte und Frieden für alle in Israel und Palästina.

Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede
Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede

Ver- und Erlernen

Das vergangene Jahrzehnt war auch ein erfreulicher, aber manchmal auch schmerzhafter Prozess des Lernens, zwischen den Erzählungen zu wechseln. Es war ein Prozess des Verlernens – des Verlernens vieler der Erzählungen, mit denen ich aufgewachsen war, des Verlernens meiner eigenen Vorurteile und des verinnerlichten Rassismus; und gleichzeitig ein Prozess des Lernens – des Lernens, zuzuhören und die Erzählungen anderer Menschen zu akzeptieren, und des Lernens, zwischen verschiedenen Erzählungen zu koexistieren. Ich habe daran gearbeitet, einen Raum für das Jüdischsein zu schaffen, der Solidarität mit den Palästinenser:innen ermöglicht – Teil einer jüdischen Gemeinschaft zu sein und gleichzeitig die ethno-nationalistischen Tendenzen in ihr in Frage zu stellen und Teil einer breiteren nicht-jüdischen Linken zu sein, die das Recht der Israelis auf ein Leben in Sicherheit, Frieden und Selbstbestimmung akzeptiert und sich gegen alle Formen von Antisemitismus oder Judenhass wendet, während sie für eine gerechte und friedliche Zukunft für alle arbeitet. Diese Arbeit erforderte es, sich zwischen den Welten zu bewegen, die Worte sorgfältig zu wählen, und brachte es auch mit sich, dass ich mich dabei manchmal verbrannte. Aber ich blieb hartnäckig, weil ich der Meinung war, dass es sich zutiefst lohnt.

Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede
Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede

Alles brach zusammen

Am 7. Oktober, seit dem Massaker der Hamas an israelischen Zivilist:innen in der Grenzregion des Gazastreifens, fühlte es sich an, als ob alle Errungenschaften meiner Arbeit der letzten zehn Jahre einfach in Stücke zerbrachen. Es fühlte sich an, als ob alle Vermittlungskanäle, die ich aufgebaut hatte, plötzlich zusammenbrachen, als ob alle verständnisvollen Ohren plötzlich aufgehört hatten zuzuhören. Einige nichtjüdische Aktivist:innen, die ich als Verbündete im Kampf für palästinensische Freiheit betrachtet hatte, weigerten sich, Worte der Trauer für die 1400 von der Hamas getöteten israelischen Zivilist:innen zu finden und legitimierten diese brutale Gewalt manchmal sogar als notwendigen Widerstand. Einige jüdische Menschen aus meiner Gemeinde, die bis dahin nie virulent gewesen waren, riefen plötzlich zur Rache an unschuldigen Zivilist:innen und zur Kriminalisierung jeglicher Palästina-Solidaritätsaktivität auf. Ich fühlte mich hin- und hergerissen zwischen der Trauer um die von der Hamas getöteten und entführten Menschen, bei denen es sich manchmal um entfernte Verwandte handelte, die aber auch enge Freund:innen oder Familienangehörige hätten sein können, und der Trauer um die unschuldigen Menschen, die in Gaza durch Israels wahllose Bombardierungen getötet wurden und die nie mit einem anderen Namen als „Kollateralschaden“ bedacht oder anerkannt wurden. Aufgrund dieses Gefühls des Auseinanderfallens beschloss ich, eine Mahnwache zu organisieren, bei der es darum ging, zusammenzustehen, so schwierig das auch erscheinen mag.

Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede
Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede

Brücken bauen

Aber wie können wir in solchen Zeiten, in denen jeder Dialog oder jede gegenseitige Akzeptanz unmöglich erscheint, zusammenstehen? Es ist naiv zu glauben, dass wir die tiefen Gräben, die das jüdische und das palästinensische Volk so weit voneinander entfernt erscheinen lassen wie nie zuvor, vollständig überwinden können. Was wir jedoch tun können, ist, Brücken zu bauen, Brücken des Verständnisses, die es ermöglichen, dass unterschiedliche Erzählungen, Geschichten und Traumata nebeneinander bestehen können. Wir müssen verstehen, dass die schrecklichen Berichte über das Massaker jüdische Menschen weltweit an das Trauma jahrhundertelanger antisemitischer Gewalt in Europa und deren völkermörderischen Höhepunkt in der Shoah erinnern. Wir müssen verstehen, dass die Bilder von hunderttausenden Menschen im Gazastreifen, die ihre Heimat verlassen, die Palästinenser:innen weltweit an die Massenvertreibung und ethnische Säuberung erinnern, die sie seit Beginn der Nakba, der Katastrophe, bis zur Gründung des Staates Israel durchlebt haben. Verstehen, dass die Angst vor antisemitischen Angriffen die in Wien lebenden Juden und Jüdinnen an die Zerstörung jüdischen Lebens in dieser Stadt während des Naziregimes erinnert. Verstehen, dass in Wien lebende Palästinenser:innen, die die israelische Flagge auf dem Dach des Bundeskanzleramtes sehen, während sie als Hamas-Anhänger:innen kriminalisiert werden, weil sie um ihre in Gaza getöteten Verwandten und Freund:innen trauern wollen, sie an die jahrzehntelange Vernachlässigung und Unterdrückung der individuellen und kollektiven Rechte ihres Volkes in Israel und der Welt erinnert.

Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede
Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede

Zusamenstehen

Verstehen ist nicht gleichbedeutend damit, gleich zu werden. Es setzt nicht voraus, dass man die Erzählung eines/einer anderen vollständig akzeptiert und seine eigene aufgibt. Es bedeutet einfach, diese unterschiedlichen Realitäten nebeneinander bestehen zu lassen und Möglichkeiten zu finden, Brücken zwischen ihnen zu bauen. Ich glaube, dass wir alles tun müssen, was wir können, um zu verhindern, dass wir noch weiter auseinander getrieben werden, und dass wir fest zusammenstehen müssen gegen die Tötung unschuldiger Menschen, gegen Krieg, Besatzung, Massentötungen und Massenvertreibungen, und dass wir auch in den schlimmsten Zeiten weiter zusammenstehen müssen für Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit für alle Menschen, die in Israel und Palästina leben.

Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede
Isabel Frey bei ihrer vielbeachteten Rede

Israelische Aktivistin

Ich möchte mit einem Zitat der israelischen Aktivistin Sahar Vardi schließen, das mich sehr berührt hat. Sie schreibt: „Wir, die Linken, werden oft einer doppelten Loyalität bezichtigt. Und an Tagen wie diesem spüre ich das wirklich.“ Und weiter: „[…] Loyalität ist vielleicht nicht das richtige Wort. Es ist doppelter Schmerz, doppelter Herzschmerz, Sorge, Liebe. Es bedeutet, die Menschlichkeit von allen zu bewahren. Und das ist schwer. Es ist so schwer, hier Menschlichkeit zu haben. Es ist anstrengend, und es fühlt sich an, als ob die Welt dich immer wieder auffordert, loszulassen. Es ist so viel einfacher, „eine Seite zu wählen“ – es ist fast egal, welche. Entscheiden Sie sich einfach für eine Seite und bleiben Sie dabei, um zumindest den Schmerz zu verringern, den Sie empfinden. Und zumindest das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein und nicht so allein mit all dem. Als ob das wirklich eine Option wäre. Als ob wir nicht verstehen würden, dass unsere Schmerzen miteinander verbunden sind.“

Hier unten geht es zu einem Bericht über die Kundgebung, bei der Isabel Frey die obige Rede – dort auf Deutsch und Englisch – gehalten hat; mit Fotos und Videos.

Ballons bei der Lichtermeer-Kundgebung gegen Terrorismus, Antisemitismus... November 2023

Bringt sie – die Geiseln – nach Hause

Der vielleicht leiseste sichtbare Protest unter den rund 20.000 Teilnehmer:innen der Lichtermeer-Kundgebung gegen Terror, Hass, Gewalt und Antisemitismus stand auf drei weißen Luftballons: Bring them home, Yes we care, Stop Antisemitsim.

Bringt/holt sie nach Hause – damit sind die rund 240 Geiseln gemeint, die Terroristen der Hamas am 7. Oktober 2023 nach Gaza verschleppt haben. Zuvor hatten sie in koordinierten Angriffen etwa 1.400 Menschen ermordet, ja richtiggehend abgeschlachtet. Wie schon mehrfach erwähnt: Der größte Massenmord an Jüd:innen nach dem Holocaust, der systematischen Tötung durch die Nazis in der Zeit der faschistischen Herrschaft und des zweiten Weltkriegs.

Ballons bei der Lichtermeer-Kundgebung gegen Terrorismus, Antisemitismus... November 2023
Ballons bei der Lichtermeer-Kundgebung gegen Terrorismus, Antisemitismus… November 2023

Die Kundgebung am 2. November 2023 thematisierte aber auch die seit diesem Überfall im Süden Israels steigende Anzahl antisemitischer Attacken – in Wien etwa den Brandanschlag auf den jüdischen Teil am Wiener Zentralfriedhof mit Hakenkreuz-Schmierereien an der Mauer oder das Runterreißen der israelischen Flagge an der Außenmauer der Synagoge in der Wiener Innenstadt.

Gedacht wurde auch der Opfer des Terroranschlags in Wien drei Jahre zuvor. Organisiert worden war die Kundgebung von der Initiative „Yes we care“ (ja, wir kümmern uns), die schon in der Corona-Zeit mit Lichter-Ketten und -Ringen gegen den damals aufkommenden Hass beispielsweise gegen Pflegepersonal und für Gemeinsamkeit, Zusammenstehen demonstrierte.

Online-Plakat für die Mahnwache am 5.11.2023
Online-Plakat für die Mahnwache am 5.11.2023

Am Sonntag, 5. November 2023, findet übrigens auf dem Platz der Menschenrechte (Mariahilfer Straße neben dem MuseumsQuartier) eine Mahnwache für die zivilen sowohl israelischen als auch palästinensischen Opfer statt – zu der „standing.together.vienna“ (Jüdisch-arabische Initiative in Wien für Frieden in Nahost) aufruft.

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Schüler:innen mit Protest-Tafeln

Jugendliche protestieren gegen drohende Abschiebung ihres Klassensprechers

Montagmittag, Herbstferien. Gut zwei Dutzend Schüler:innen und einige Lehrer:innen trudeln auf dem Wiener Minoritenplatz ein. Ihr Ziel ist in diesem Fall nicht das Bildungs- sondern das Innenministerium am anderen Ende des Platzes gleich beim U-Bahn-Aufgang.

Sie haben eigenhändig geschriebene Kartontafeln mitgebracht, die sie nun auspacken. „Kranke Kinder abschieben?? Bitte nicht!“ oder „Jaba braucht Hilfe!“, „Gute Menschen für Österreich: Jaba“. Der Name des 16-Jährigen, der in den vergangenen Tagen schon durch etliche (soziale) Medien gegangen ist, steht auf der zuletzt genannten Kartontafel in rot-weiß-roten Streifen. „Eine Abschiebung würde ihm alles nehmen“, heißt es auf einer weiteren Tafel.

Zur Krebsbehandlung gekommen

Der Bursche ist Klassensprecher in der Abschlussklasse der Mittelschule Redtenbachergasse (Wien-Hernals). Vor fünf Jahren kam er mit seiner georgischen Familie nach Österreich. Er litt an Blutkrebs (Leukämie), die Familie ließ ihn zuerst in der Türkei behandeln, wofür sie rund 28.000 Euro bezahlen musste, nachdem sie ihr Hab und Gut in Tiflis verkauft hatten. In Istanbul wurde der Familie geraten, für die bestmögliche Behandlung nach Österreich zu reisen, das St. Anna Kinderspital wäre die optimale Stelle.

Paradefall einer integrierten Familie

Das tat die Familie. Jaba wurde erfolgreich behandelt, die Intensivtherapie ist abgeschlossen, Erhaltungstherapie bzw. regelmäßige Kontrollen sind aber jedenfalls erforderlich. In der Zwischenzeit konnte er längst die Schule besuchen, wenngleich er aufgrund häufiger Krankenhaus-Aufenthalte ein Schuljahr im Verzug ist. Seine Mitschüler:innen bestätigten vor Mikrophon aber auch in Einzelgesprächen, wie gut er die Sprache beherrscht. Und nicht nur das, sie wählten ihn zum Klassensprecher, „weil er sehr respektvoll, hilfsbereit und vertrauenswürdig ist“´, wie Sena und Mansaroob Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… erklären. „Außerdem ist der voll integriert, hat in der Schule auch ein Schachturnier gewonnen.“

Zur Kundgebung waren nicht nur Klassenkolleg:innen, sondern auch Schüler:innen anderer Klassen gekommen. Die wussten gar nicht alle von seiner Krankheit. „Darüber hat er nicht viel geredet, er ist ein ruhiger, sehr netter Kerl“, sagt Danijela. Ali, Ahmed und Francesco „kennen ihn nur über seinen Bruder Saba mit dem wir in die Schule gegangen sind. Die ganze Familie ist sehr nett, freundlich, gut integriert.“

„Ich finde das einfach nicht in Ordnung, dass Jaba abgeschoben werden soll. Wo bleiben die Kinderrechte!“, schüttelt Zainab verständnislos und ärgerlich den Kopf angesichts der drohenden Abschiebung.

Falschinformationen im Ablehnungsbescheid

Wobei – wie Katharina Glawischnig von asylkoordination österreich aus den amtlichen Schreiben zitiert – dort – trotz Hinweisen auf Deutschkenntnisse behauptet wird, „Integration in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar“.

Was nicht nur den Erfahrungsberichten der Mitschüler:innen sowie der Lehrer:innen, die nur anonym Auskunft geben dürfen, widerspricht, sondern auch allen Fakten: Von Schulerfolgen – seine Schwester Nini steht wenige Monate vor der Matura, der Vater arbeitet in einem unbefristeten Dienstverhältnis, die Mutter hat eine Job-Zusage…

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Kindeswohl nicht einmal nachgefragt

Und die Entscheidung sei auch insofern rechtswidrig, weil die Kinder/Jugendlichen gar nicht angehört worden sind. Und dies sei immerhin aus den Schlussfolgerungen der Kindeswohlkommission Pflicht. Darauf wies Irmgard Griss in ihrer Rede hin. Die ehemalige Höchstrichterin war nach dem aufsehenerregenden Fall der Abschiebung von Tina (ebenfalls nach Georgien, die nun wieder, weil die Entscheidung als rechtswidrig aufgehoben worden ist, in Österreich die Schule besucht) zur Leiterin der vorübergehenden Kindeswohlkommission bestellt worden. Erkenntnisse der Expert:innen: Kindeswohl ist jedenfalls vorrangig zu berücksichtigen, Kinder sind eigenständig zu beurteilen und sie müssen angehört werden.

Das wäre als würden Schüler:innen bei Tests oder Schularbeiten vieles falsch und fehlerhaft erledigen, brachte es Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez vom Netzwerk Kinderrechte auf den Punkt.

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Anders als andere Jungs

Jouly, stellvertretende Klassensprecherin, die ebenfalls bei der Kundgebung sprach, gestand, dass ihr fast die Tränen gekommen seien, als sie vom Schicksal ihres Kollegen Jaba erfahren habe. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… erzählte sie auf Nachfrage noch ausführlicher über den Klassensprecher: „Er war gar nicht wie viele andere Jungs. Jaba streitet nie, er ist immer nett und erst dadurch, dass er Klassensprecher und ich -stellvertreterin bin, haben wir jetzt in der Klasse ein viel besseres Verhältnis zwischen Mädchen und Jungs.“

„Zum wiederholten Mal beweist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), dass Kinderrechte in ihrer Beurteilung keine Rolle spielen“, zeigt sich Christian Oxonitsch, SPÖ-Nationalratsabgeordneter und Vorsitzender der Wiener Kinderfreunde in einer Aussendung am Sonntag verärgert.

Fast wie ein Hohn wirkt diese Aufschrift auf einer Sitzbank:
Fast wie ein Hohn wirkt diese Aufschrift auf einer Sitzbank: „Unsere REchte – unsere Zukunft“

Fast zynisch

Hinter den Kundgebungsteilnehmer:innen steht eine himmelblaue Sitzgelegenheit mit einem großen Aufkleber des ums Eck beheimateten Außen- und Europaministeriums: in bunten Streifen steht in großer weißer Schrift: „Our rights our future“ (Unsere Rechte unsere Zukunft)!

Leider keine Einzelfälle

Am Rande der Kundgebung erfuhr Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…, dass auch an einer anderen Schule, dem Gymnasium in der Anton-Krieger-Gasse (Wien-Liesing) die langjährige Schülerin Maroa Alzobai von der Abschiebung bedroht ist.

Dagegen läuft – ebenso wie gegen die drohende Abschiebung von Jaba und seiner Familie – eine Online-Petition – Links am Ende des Beitrages.

Familie Alzobai lebt seit acht Jahren in Österreich, Maroa ist seit 2016 Schülerin der Anton-Krieger-Gasse, besucht jetzt die 7. Klasse. In der Petition wird sie so beschrieben: „Maroa war schon immer eine engagierte und fleißige Schülerin. Sie ist zielstrebig und hat große Ambitionen, und weiß ganz genau, was sie im Leben erreichen möchte. Es wäre definitiv nicht in Ordnung, sie nach 8 Jahren abzuschieben. Der Irak ist nach wie vor von Unsicherheit geprägt, und die wirtschaftliche Lage ist instabil. Für Maroa gibt es dort einfach keine realistische Zukunftsperspektive. Nach all den Jahren, die sie in Österreich verbracht hat, wird sie es schwer haben, sich in einem unsicheren Umfeld zurechtzufinden, insbesondere in einem Land, das ihr nicht mehr vertraut ist. Generell ist zu sagen, dass die Familie Alzobai sehr bemüht ist, arbeitet und ihren Pflichten treu nachgeht.

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petitionen -> bleiberecht_fur_familie_alzobai

petition -> jaba-und-seine-familie-sollen-bleiben

hilferufe-von-schulklasse -> damals noch im Kinder-KURIER

Kundgebung "Wien sind wir alle" auf dem REumannplatz, 6. Februar 2023

Kundgebung für Vielfalt und Zusammenhalt: Wien sind wir ALLE!

„1645 Menschen – 57 Nationen – BHAK 10 sind wir ALLE!“ steht auf einem der vielen Plakate Montagabend auf dem Wiener Reumannplatz vor dem Amalienbad. Der Direktor der Schule hält es in der eisigen Kälte mehr als eine Stunde hoch. Rund um ihn dicht gedrängt Menschen nicht nur aus Favoriten, dem 10. Bezirk der Bundeshauptstadt.

Anlass für die Kundgebung für Vielfalt und Zusammenhalt sowie gegen Rassismus und Ausgrenzung waren die Aussagen des niederösterreichischen FP-Landesrates Gottfried Waldhäuls in einer TV-Sendung, wo er Schüler:innen aus dem Laaerberg-Gymnasium ins Gesicht sagte, dass Wien schöner wäre, wenn sie und ihresgleichen mit Migrationshintergrund nicht da wären.

Kundgebung
Das Plakat mit den Zahlen aus der Handelsakademie in der Pernerstorfergasse

Dem hielt eine Teilnehmerin ein bunt-handgeschriebenes Plakat entgegen: „Wien war noch nie so schön wie heute!“ Die Kundgebung wurde von einem breiten Bündnis über Parteigrenzen hinweg getragen. Ursprünglich hatte neben Grünen, SPÖ, NEOS, Links/KPÖ, Bier-Partei und SÖZ sowie Initiativen wie „Omas gegen Rechts“ auch die Bezirks-ÖVP die Aktion unterstützt, aber diese wieder zurückgezogen. Aus der Wiener Stadtpolitik waren zwei Stadträte (Peter Hacker und Jürgen Czernohorszky) sowie Gemeinde- und Bezirksrät:innen bei der Kundgebung an der mehr als 1000 Menschen teilnahmen.

Zwischenzeitlich versuchten zwei Identitäre mit einem Pro-Waldhäusl-Transparent und Feuer vom Zwischendach eines Hauses neben dem Amalienbad die Kundgebung zu stören. „Wir sind mehr“, reagierte Daniel Landau, Mitgründer von „Yes we care!“ und Bildungskoordinator der Bundesregierung für junge ukrainische Schutzsuchenden während seiner Rede, in der er jegliche Form von Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit kritisierte.

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