Hinter bzw. zwischen sieben senkrechten Bannern kriechen, hopsen, springen sieben Schauspieler:innen irgendwie hervor – und folgen einem zuvor mitten auf die Bühne geschmissenem weißen Styroporkopf, streiten sich um diesen. Immer ist der Kopf irgendwie präsent. Ist er aus einer der 96 vor 500 Jahren aufgeschriebenen „Historien, die besagen, wie Eulenspiegel…“ dies, das und jenes ausgeheckt hat? Vielleicht aus der 31. Episode, in welcher der „Narr“, „Schalk“ – mitunter auch Gauner genannte – berühmte Till (Dil, Dyl) mit einem Totenkopf durch die Lande zog, um den „Gläubigen“ Geld aus der Tasche zog, dafür, dass sie die „Reliquie“ berühren durften.
Viele seiner Narrenstücke ranken sich darum, wie er mit Schmäh und Tricks zu Geld gekommen sein soll. Und einige davon – und andere – spielen, tanzen und turnen sieben Studierende des zweiten Schauspieljahrgangs der MuK (Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien) derzeit im Dschungel Wien „Eulenspiegel Till Freedom“ (Regie: Frank Panhans, Choreografie: Sunčica Bandić, Akrobatik: André Reitter, Kostüme: Anna Schall). Befreit und verspielt spielen sie lust- und kraftvoll auf, bringen das Publikum oftmals zum Lachen – und hin und wieder zum Innehalten. Oder auch zum Staunen darüber, dass aus ganz anderen Geschichten bekannte „Streiche“ viel älter sind, schon von Till Eulenspiegel angewandt wurden und nicht erst von „Max & Moritz“ (Wilhelm Busch) etwa die Brotstückern an Fäden, mit denen die Hühner sekkiert werden (8. Historie Tills).
Oder wenn er anbietet, eine weiße Wand so kunstvoll zu bemalen wie es davor noch nie wer gekonnt hat. Das Gemälde würde allerdings nur von wirklichen Kunstkenner:innen gesehen – im Original ist die Rede, pardon Schreibe davon, dass nur ehelich Geborene es sehen 😉 Erinnert doch stark an Hans Christian Andersen „Des Kaisers neue Kleider“.
Von diesen Geschichten inspiriert dachten sich Elias Eisold, Amrito Geiser, Samira Kossebau, Fabia Matuschek, Minou Mehdizadeh-Baghbani, Paula Carbonell Spörk, Laetitia Toursarkissian und dazu noch als Achter im Bunde Fabian Cabak, der allerdings kurz vor den Aufführungen erkrankt ausfiel, und die anderen seine Parts mitübernahmen, neue „Streiche“ aus, von denen so manche um Werbung kreisten – von Produkten, die gegen jedwedes leiden helfen und alles Glück der Welt versprechen. So manche könnte sozusagen von einem heutigen Till – nicht dem, der derzeit dauerpräsent ist – stammen.
Eine der ersten Episoden, die die Studierenden spielen ist jene, in denen Eulenspiegel sich an die Menge wendet und sie auffordert, ihre Schuhe wegzuwerfen. Kaum macht er das mit Nachdruck, schon folgen die Bürger:innen – und geraten beim nachfolgenden Versuch, sich ihre Fußbekleidungen wieder zu holen in furchtbaren Streit. Worauf er ihnen verklickert, er hoffe, das sei ihnen vielleicht eine Lehre, nicht immer zu tun, was aufgetragen wird. Und so hält Till Eulenspiegel auch dem „gemeinen Volk“ den Spiegel vor, sagt nicht nur – wie Hofnarren – Herrschenden zu deren Amüsement die Wahrheit. Und wurde vielleicht deswegen immer auch als Verbrecher diffamiert?
Sein Freigeistsein nehmen die angehenden Schauspiel-Student:innen auch zum Anlass, um Gedanken und Diskussionen über Arbeit und Freizeit anzustoßen. Das Thema aus dem verspielten Stücktitel findet gegen Ende der Stunde in der Rezitation von Georg Danzers Songtext „Die Freiheit“ mit dem Ausflug in den Zoo mit seinem leeren Gehege einen Höhepunkt, der auch gut ein Abschluss sein hätte können:
„Ich sehe nichts, der Käfig ist doch leer
Das ist ja gerade, sagte er, der Gag
Man sperrt sie ein und augenblicklich ist sie weg
Die Freiheit ist ein wundersames Tier
Und manche Menschen haben Angst vor ihr
Doch hinter Gitterstäben geht sie ein
Denn nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein“
„Narren“ – pendeln zwischen Dummheit, Betrug und Freigeist. Viele Geschichten ranken sich um einen der berühmtesten – zumindest im mitteleuropäischen Raum: Till Eulenspiegel. Vieles deutet darauf hin, dass es eine Figur in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gegeben hat, auf die einige der erzählten Geschichten zurückgehen. Wie auch immer, aus dem ersten Fünftel des 16. Jahrhunderts stammt von Hermann Bote die Sammlung der 96 Streiche – 150 unter dem Titel „Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel geboren uß dem Land zu Brunßwick, wie er sein leben vollbracht hat“ (laut Wikipedia). Und sollte zum Bestseller werden. Allein in dem besagten Jahrhundert gab es 35 weitere Ausgaben.
Eine kleine Varieté-Bühne auf der großen Bühne im Dschungel Wien. Der Großteil dieser großen Bühne hergerichtet auf altes Kaffeehaus mit Schachbrett-Bodenmuster, Piano in der Ecke, zu dessen Pianist:innen sich noch Musiker:innen an Kontrabass, Geige und Klarinette gesellen. „Cabaret der alten Neuigkeiten“ war ein Stück, das nun mehrmals im Theaterhaus für junges Publikum im Wiener MuseumsQuartier aufgeführt worden ist, eine Produktion der MUK (Musik- und Kunstuniversität, vormals Konservatroum der Stadt Wien). Gemeinsam von Studierenden – und Schüler:innen der 6d der AHS de la Salle Strebersdorf.
Einerseits gibt’s den Satz, dass nichts so alt ist wie die Zeitung von gestern – und der stammt schon aus vor-Internet-Zeiten, seither erst recht. Und andererseits scheinen sich viele Dinge zu wiederholen – nicht nur was die Mode betrifft. Andererseits… – siehe gegen Ende des Beitrages 😉
Nach einer launigen Revue mit klassisch-klischeehaften Outfits aus den 20ern des vorigen Jahrhunderts und Liedern von vor rund 100 Jahren kommt’s gegen Ende zu so etwas wie einem Showdown: Zehn Freiwillige aus dem Publikum treten in einer Quizshow gegeneinander an. Schlagzeilen werden vorgelesen und eingeblendet – neutral, also nicht in alter oder neuer Schrift – und es gilt draufzukommen oder zu erraten, aus 19- oder 2020ern.
Liest sich einfacher als es ist. Galoppierende Inflation, Windenergie, weil Öl knapp wird usw. könnten aktuell sein, stammten aber aus dem ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts – beispielsweise.