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Autor und Regisseur Peter Lund im leeren Publikumsraum vor der Bühne von "Mitten im Gesicht"

„Musste in jugendliche Seelen reinkrabbeln und hab viel auch vom jungen Ensemble gelernt“

KiJuKU: Gab es eine reale Ausgangsgeschichte – aus deinem Umfeld oder dem Netz für diese Story?
Peter Lund: Nein, Aufgabe vom Theater der Jugend an mich war, nach „Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer“ (nach dem Roman von Mario Fesler) wieder etwas für diese Altersgruppe (ab 11 Jahren) zu schreiben. Mich ärgert das schon seit 15 Jahren, dass das wieder so auseinandergeht mit Barbie für die Mädchen und Krafttraining für die Jungs. In meiner Jugend und auch bei Frau Nöstlinger, da war alles nicht so geschlechtermäßig getrennt. Auf das Thema Schönheits-Operationen bin ich gekommen, weil ich das von vielen gehört habe; vielleicht nicht unbedingt mit 15, aber mit 18 geht das richtig los mit sich beschnippeln lassen. Eltern schenken das zum Geburtstag… Und die Jungs rennen ab 15 ins Gym und pumpen. Was da abgeht hat mich sehr interessiert und dann hab ich da sehr lange recherchiert. Als älterer Mensch versteht man das zunächst nicht, und da musste ich erst mal reinkrabbeln in jugendliche Seelen. Da hab ich viel gelernt – auch während der Produktion, das Ensemble ist ja auch recht jung, die haben mir digital auch etliches gezeigt.

KiJuKU: Bist du dann eingetaucht in die TikTok-Welt?
Peter Lund: Ja, so viel ich musste, um’s zu verstehen.

Autor und Regisseur Peter Lund im leeren Publikumsraum vor der Bühne von
Autor und Regisseur Peter Lund im leeren Publikumsraum vor der Bühne von „Mitten im Gesicht“

KiJuKU: Und dann war der Plot gleich klar?
Peter Lund: Das war dann eine Art journalistischer Arbeit. Zuerst einmal war die Frage, ob Nase oder Brust. Nur da wäre wohl schnell klar, „du bist bescheuert“, bei der Nase ist zumindest halbe / halbe. Dann kam schnell die Idee mit der Oma. Ich wollte auf jeden Fall die alte Generation drinnen habe. Dann bau ich das so, wen braucht man dafür – den schönsten Jungen, einen besten Kumpel, der nicht ganz so schön ist. Und ich brauchte auch ein Mädchen, das mit ihren Brüsten unzufrieden ist, weil das ja eines der Hauptthemen ist, oder Hintern oder was weiß ich. So kam die Personage zusammen und davon ausgehend entwickle ich dann den Plot. Das ist dann so ein bisschen Heimarbeit.

KiJuKU: Wie kam’s zum Trick, der hier natürlich nicht gespoilert wird, dazwischen mit der veränderten Nase?
Peter Lund: Nun ja, das war recht rasch klar, dass es dazwischen eine längere Passage braucht, wo sie nicht die dicke Nase hat und wie sie sich dadurch verändert.

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Zu einer Besprechung des Musicals geht es hier unten

Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer

Humorvoller Umgang mit Niederlagen und dem immer wieder Aufstehen

Es ist wohl DIE Außenseiter:innen-Geschichte schlechthin. In „Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer“ ist – wie schon der Titel nahelegt, nicht nur die genannte Lizzy eine an den Rand Gedrängte. Loser aller Klassen vereinigt euch sozusagen.

Der Jugendroman (2016), der auf Anhieb zum Erfolg und ein Jahr später bei der renommierten Frankfurter Buchmesse mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, ist nun ein Musical – des bekannten Erfolgsduos Peter Lund (Text) und Thomas Zaufke (Musik). Und dieses feierte in Wien im Theater der Jugend seine Uraufführung. Aus den sieben „Verlierer:innen“ des Romans verdichtet das Musical auf fünf. Gewichtige Elemente von Veronika, von der im Roman fast alle nur ihren Spitznamen Ma Baker kennen und nennen, wandern hier in die Figur von Sara, und Theo ist hier Teil von Carsten.

Start im Foyer

Lizzy lässt sich nicht alles gefallen, widerspricht dem auf so offen und aufgeklärt spielenden Lehrer Wenz als es um die Projektgruppen fürs Schulfest geht. Übrigens: Dieses Mal beginnt das Stück im Theater im Zentrum schon im Foyer. Neben der Garderobe hängen Plakate vom Programm des Schulfestes, diverse Mitteilungen, handschriftliche Notizen und Kommentare „ich wird verrückt“ beispielsweise oder „so what!???“ Beim Abgang ins Theater kleben Fotos mit so manchen handschriftlichen Coments wie „Spinner“, „die Coolen“… Und es ertönt schon Musik (Schüler:innen-Chor: Dani Alexander Allkoud, Dima Al Enaizi, Obadah Janoudi, Sham Madi, Gaafr Shebli).

Viele Rollenwechsel

Zurück zu Ursula Anna Baumgartner, die diese Lizzy unaufgeregt, souverän mit der (selbst-)ironischen Note des Romans spielt – übrigens die einzige mit „nur“ einer Rolle. Denn ihre Mitspieler:innen sind einerseits die „Verlierer:innen“ Arif (Curdin Caviezel), Sara (Lilly Rottensteiner), Krissi (Shirina Granmayeh) und Carsten (Stefan Rosenthal). Letzterer mit Spitznamen Popelino, weil er gern in der Nase bohrt und … wääääh, ist der Konsolenspiel-Nerd.

Apropos Nerd – das große Plakat mit riesigem Spiral-Labyrinth und der Schrift „The N-Experience“ ist die Werbung für das Projekt, das sich „der Klub der Verlierer“ ausgesucht hat. Könnte für Nerd stehen, eigentlich sollte es für Night (Nacht) gedacht sein, denn die in einen Raum im Keller Verbannten kommen als eine Glühbirne zerplatz auf die Idee, beim Schulfest ein Dunkel-Restaurant zu organisieren.

Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer
Krissi (Shirina Granmayeh) und Sara (Lilly Rottensteiner)

So „nebenbei“

Blöd nur, dass niemand von ihnen kochen kann. Also organisieren sie sich Nachhilfe – im Roman bei Thos Mutter, hier bei der Mama von Arif. Was für den Autor und in dem Fall auch Regisseur gleich die Gelegenheit bot, ein im Kunstbetrieb breit diskutiertes Thema zu bespielen: Kulturelle Aneignung. Kann Lilly Rottensteiner, die vor allem Sara, aber auch Lizzys Mutter, die heimlich das Tagebuch ihrer Tochter liest, eine türkische Mutter spielen? Macht sie natürlich doch.

Auch an anderer Stelle steigen die Schauspieler:innen einmal aus, um darüber zu debattieren, ob in einer Szene Stefan Rosenthal, der neben Carsten auch Lizzys Vater, sowie Alexa, die Anführerin der ach so Coolen in Lizzys Klasse, spielt auch noch in die Rolle von Lehrer Wenz schlüpfen darf. Den spielt sonst die Krissi-Darstellerin Shirina Granmayeh. Es sei doch besprochen worden, dass diese Rollen (Curdin Caviezel auch als Direktorin) cross-gender (als Frauen spielen Männer und umgekehrt) besetzt würden…
Wobei die herrlichste Lehrer-Szene ist jene, wo sie nur dessen Brille halten und mit diesem Platzhalter lustvoll diskutieren.

Vielseitig

Das Schlüpfen von den angestammten Verlierer:innen in andere Figuren schaffen alle sehr überzeugend. Wenn etwa Curdin Caviezel vom Underdog Arif zu Max, dem arroganten Bruder von Lizzy switcht oder später zu Ramira wird, die sklavisch ergeben praktisch nur wiederholt, was Alexa, die Obermobberin in Lizzys Klasse (Stefan Rosenthal) von sich gibt. Wobei die Zeichnung der beiden zuletzt Genannten vielleicht eine Spur weniger tussihaft doof nicht schlecht gewesen wäre. So werden die „Verlierer:innen“ um nichts besser als ihrer Gegner:innen, auch wenn das natürlich schadenfreudiges Lachen im Publikum auslöst – gerade deswegen!

Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer
Das Quintett bei einem der Gesangs-Auftritte

Gesang

Was die fünf Schauspieler:innen neben ihren vielen Rollen auch meisterhaft beherrschen: Gesang. Immer wieder – es ist ja ein Musical – sind Songs (Komposition und Orchesteraufnahme: Thomas Zaufke; musikalische Einstudierung und Korrepetition: Béla Fischer jr.) eingebaut. In diese Darsteller:innen können auch wirklich gut singen, lassen das Publikum mitswingen und verschaffen Ohrwürmer, selbst wenn die Zeile „erlaubt ist, was schmeckt“ in der Popelino-Szene ganz andere Bilder hervorruft als wenn sie bei Arifs Mama kochen lernen 😉

Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer
Ursuala Anna Baumgartner als Litty im Zunge-Rausstrecken T-Shirts der Rolling Stones

Sprechendes Tagebuch

So manches – sowohl im Roman als auch in der Bühnenversion – erzählt sich über die Tagebuch-Eintragungen Lizzys. Die Regie hat diesem Tagebuch eine eigene Stimme aus dem Off zugedacht: Isabel Weicken, und manches Mal erweckt Ursula Anna Baumgartner als Lizzy dieses speziell präparierte Tagebuch (Ausstattung: Ulrike Reinhard) in Form einer Art Handpuppe zu eigenem Leben.

Von Story selbst – selbst aus der Gruppe der Loser steigen einige aus unterschiedlichen Gründen aus – sei nicht viel mehr erzählt, außer dass die N-Erfahrung noch eine überraschende Wendung nimmt, aber „natürlich“ der Burner des Schulfestes wird…

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