Mit „Land ohne Land“ (Puv bi puv) wurde Anfang November die dritte Ausgabe des Rom:nja-Kulturfestials „E Bistarde /vergiss mein nicht“ eröffnet. Für Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… zwackte sich die Co-Erfinderin, Kuratorin, Regisseurin, Podiumsdiskutantin und Vielfach-Checkerin Simonida Selimović zwischendurch ein Viertelstündchen für ein Interview ab.
KiJuKU: Der Titel des Stücks deutet schon an, dass diese wahrscheinlich internationalste Volksgruppe der Welt kein eigenes Land hat. Ein wichtiges Element spielt die Inhaftierung des Protagonisten Aca in Serbien in der Corona-Zeit. War dies einer der Ausgangspunkte für das aktuelle Stück?
Simonida Selimović: Nein gar nicht. Schon als wir „Roma Armee“ 2017 fürs Maxim-Gorki-Theater in Berlin entwickelt haben (das dann auch im Wiener Volkstheater gespielt wurde) ist mir diese weiterführende Idee eingefallen. Ein Land zu besitzen heißt ja auch, es verteidigen zu müssen. Außerdem, warum sollten die Roma auf der ganzen Welt in dieses eine Land wollen? Warum überhaupt ein Land als Bestandteil einer Identität?
Viele haben mehrere Identitäten, ich zum Beispiel bin Romni, bin in Serbien geboren, in Österreich aufgewachsen, bin also neben Romni auch ein Stück weit Serbin und auf jeden Fall Wienerin. Und darüber hinaus reise ich gerne, liebe es, mir andere Kulturen anzuschauen – also Weltbürgerin, eine universelle Identität.
KiJuKU: Und die Corona-Geschichte?
Simonida Selimović: Ach ja, da gab’s ganz arge Geschichten, das was wir im Stück anspielen ist dagegen harmlos. In Rumänien wurde beispielsweise eine Romni mit Kind von einem Busfahrer verprügelt als sie einsteigen wollte. Aber nicht er, sondern sie wurde verurteilt, weil er behauptet hat, sie habe ihn verflucht. Und man wüsste ja, Flüche von Roma können Wirklichkeit werden. In einer anderen Stadt durften hochschwangere Rom:nja nicht in eine Geburtsklinik um ihr Kind zur Welt zu bringen. In Ungarn, Rumänien, Polen, Serbien war es ganz schlimm: Einsperren, oft auch Wasser abgesperrt – weil sonst alles mit Corona verseucht würde. Die Roma wurden als „Überträger:innen“ gebrandmarkt – bei einer weltweit verbreiteten Seuche. Bitte was sollte das – darum haben wir es ziemlich harmlos eingebaut.
KiJuKU: Die Verbindung von analogem Spiel und Szenen im digitalen Raum war auch von Anfang an als Idee da?
Simonida Selimović: Diese zweite Ebene kam mit dem Wunsch, eine Welt zu bauen, in der alle gleichberechtigt sind, agieren und teilhaben können – egal von welcher Ecke der Welt aus. Alle Roma, Romn:ja, Sinti, Sinti:zze und so weiter würden sich sozusagen digital registrieren – anonym, weil sie in vielen Ländern ja noch immer gewalttätig verfolgt werden. Es wäre ein Staat in der Cloud, in der wir Weltbürger:innen sind – aber eine nachgewiesene Existenz haben, also auch zahlenmäßig sichtbar sind. Kein Staat könnte dann sagen, nein, in unserem Land haben wir keine Roma. Und jede und jeder Einzelne wäre dann aber in der analogen Welt in dem Land in dem sie/er sich aufhält, berechtigt zu wählen, zu partizipieren.
KiJuKU: Du hast auch das Programm kuratiert/ausgewählt, wonach?
Simonida Selimović: Zum Teil hab ich die Stücke angeschaut, zum anderen Künstler:innen eingeladen, deren Arbeit ich gut kenne.
KiJuKU: Es gibt hier jetzt ein „temporäres Mahnmal“, ist das die „Antwort“ darauf, dass es das seit Jahren versprochene zentrale Mahnmal für die Opfer des Porajmos (Gegenstück zur Shoa an Jüd:innen) noch immer nicht gibt, obwohl in der Nazizeit rund eine halbe Million Angehörige der Volksgruppen der Roma ermordet wurde?
Simonida Selimović: Ich habe die bildende Künstlerin Luna De Rosa gebeten, einen Roma-Wagen künstlerisch zu bearbeiten – dazu gibt es demnächst hier einen eigenen Beitrag samt Gespräch mit Rosa.
Drinnen gibt es eine Installation sowie eine Performance von Laura Moldovan, sozusagen ein Handlesen 2.0 – auch dazu demnächst mehr.
Palikera, Hvala lepo, Grazie mille, Mulțumesc Tusen Tack, Vielen Dank
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