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Szenenfoto aus "Land ohne Land"
Szenenfoto aus "Land ohne Land"
02.11.2023

Ein Weltpass statt grenzenloser Diskriminierungen

„Land ohne Land“: Kombination aus Schauspiel, Live-Musik und virtuellen (utopischen) Welten eröffnete das dritte Rom:nja-Kulturfestival „E Bistarde/ Vergiss mein nicht“.

Kosa und ihr jüngerer Bruder Aca leben seit mehr als 30 Jahren in Österreich, suchen um die Staatsbürgerschaft an, aus Reisetaschen packen sie Ordner voller Dokumente aus, überreichen diese der grummelnden, grantelnden, abwehrend und abwertenden Beamtin. Obwohl sie keinen Blick hineinwirft, zweifelt sie gleich einmal an, ob das wirklich alles vollständig ist. Erteilt Anweisungen, dass sie sich eine Kopierkarte in Stock x holen, diese in y aufladen und obendrein Summe z zu zahlen hätten.

Ob Serbien, ob Österreich – Ämter alle gleich

Im Publikum gequältes, lautstarkes Lachen jener Zuschauer:innen, die offenbar eigene Erfahrungen mit der MA35 haben.

Doch bevor die Geschwister – Kosa (Valentina Eminova) und Aca (Sebastian Malfer) endgültig in den Besitz eines österreichischen Passes kommen können, müssen sie die Entlassung aus der serbischen Staatsbürgerschaft erwirken. Am leichtesten, so scheint es, wenn sie’s vor Ort selber tun. Wo sie auf einer zwar viel gestyltere aber nichts desto trotz ebenso ignorante Beamtin treffen.

Soweit die Rahmenhandlung von „Land ohne Land“, mit dem am Totengedenktag (1. November) das dritte Internationales Roma-Festival „E bistarde 2023 | Vergiss mein nicht“ im Dschungel Wien eröffnet worden ist. Simonida Selimović, gemeinsam mit ihrer Schwester Sandra, Gründerin dieser Veranstaltungsreihe mit vor allem Theater und Konzerten, hat das Eröffnungsstück geschrieben und auch Regie geführt.

Noch heftigere Diskriminierung in der Corona-Zeit

Zu den sarkastisch, bitterbösen Amts-Szenen (Beamtin: Franziska Adensamer, die auch Svetlana, die Cousine der beiden spielt) gesellt sich noch ein Rückgriff auf eine der Corona-Phasen. In so manchen Ländern wie Serbien oder Rumänien wurden Angehörige der Volksgruppe der Roma noch mehr als üblich diskriminiert. Sie wurden beschuldigt, Überträger:innen zu sein mit Ausgangsverboten oder Gefängnishaft belegt. Was im Stück die Situation nochmals verkompliziert, können die Geschwister nun nicht einmal zurück nach Österreich wo Svetlana Kosas beide Kinder (Dominic Moldovan und Samuel Rosegger in Video-Einspielungen) betreut.

Pass nicht in dieses System

Valentina Eminova stellt als Kosa immer wieder dieses ganze System nationaler Grenzen und einschränkender Bestimmungen in Frage und bricht daraus aus – mit bunter „Daten“-Brille und -Handschuhen surft sie in eine virtuelle Welt – die schließlich riesengroße auf einen vorgezogenen dünnen Vorhang projiziert wird. Schon davor wurde aus den schauspielenden Figuren hin und wieder Avatare, die sich zu unendlichen Vervielfachungen ausweiteten. Nun läuft die digitale Kosa durch grenzenlose Landschaften, in der immer wieder Bilder, teils auch Videos aufpoppen von Roma-Vorkämpferinnen wie der in Österreich doch recht bekannten Ceija Stojka, die mehrere Konzentrationslager der Nazis überlebte und als eine der allerersten darüber zu malen, schreiben und sprechen begann. Aber auch – bei uns weniger bekannten – aus Rumänien, Schweden, USA…

Land-Kauf

Diese digitale Landschaft gegen Ende ist aber viel mehr, sie wird als Konzept schon früher im Stück angesprochen: Was wäre, wenn alle Rom:nja, Sinti:zze, Lovara… eine digitale Identität in einer gemeinsamen, grenzenlosen virtuellen Welt hätten, sozusagen einen – wie er mehrmals eingeblendet wird – Roma-Pass, eben ein „Land ohne Land“. Womit sich der Bogen zum Beginn des Stückes schließt. Da wird die bekannteste Suchmaschine eingeblendet und nach dem Online-Kauf eines digitalen Landes gesucht – wobei dabei natürlich Metaverse aufscheint 😉

Kombination

Das ca. 1 ¼-stündige Stück verbindet äußerst gelungen realsatirisches Schauspiel mit Live-Musik durch die beeindruckende Fagott-Bläserin Stefanny Leandro Aguilar, die mal untermalend, dann wieder zentral aufspielend fast durchgängig Klangteppiche webt mit Spitzen-Auftritten sowie Video-Einspielungen (neben den beiden schon genannten Kinder noch Radica Savić als u.a. Kaffee-Sud lesende serbische Tante) und ins Digitale ausgelagerter Utopie (Visual Art: Joanna Zabielska; Kamera & Cut: Laura Moldovan). Gerade letztere verschafft angesichts der in den vergangenen Jahren und Wochen noch heftigerer aufgeflammter brandgefährlicher nationaler Konflikte ein wenig sehnsüchtige Hoffnung.

Hintergrund

Etwa zwölf Millionen Roma leben im europäischen Raum. Auch wenn sie keine homogene Gruppe sind, sondern vielfältige Lebensstile pflegen, werden viele von ihnen sozial nach wie vor ausgegrenzt oder nicht wahrgenommen. Doch „Wir sind da, wir zeigen uns, wir lassen nicht zu, dass man vergisst, dass es eine Geschichte gibt, die uns seit Jahrhunderten verfolgt, und dass wir nichts davon wissen. Wir sind so viele und wir sind so unterschiedlich.“

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Das Festival „E Bistadrde/ vergiss mein nicht“ gibt den Rom:nja und Sinti:zze durch Theater und Kultur eine Stimme: „Es ist notwendig, einander, Roma und Nicht-Roma, zu kennen und anzuerkennen, um unsere historischen kulturellen Unterschiede zu versöhnen“, sagt Simonida Selimović-Rosegger, Gründerin des Roma Theatervereins Romano Svato. „Wir haben eine Auswahl an Shows zusammengestellt, die sich um aktuelle Themen und Ästhetiken drehen, die in der Dokumentation der Realität und der Mikrogeschichte verwurzelt sind.“ „E Bistarde“ hat eine klare soziale Botschaft in Bezug auf Bildung, Bewusstsein und Stärkung einer positiven Identität. Ihre kulturelle Vielfalt über und mit Roma arbeitet darauf hin, das Zusammenleben innerhalb der Roma-Gemeinschaften sowie außerhalb zwischen der Nicht-Roma-Mehrheit und den Roma-Gemeinschaften zu harmonisieren.

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Übersicht über die weiteren Auftritte in der Info-Box. Und es wird – natürlich – weiter ausführlich hier berichtet.

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Land ohne Land

Schauspiel
Ab 13 Jahren; ca. 75 Minuten; Deutsch, Romanes, BKSM (Bosnisch Kroatisch Serbisch Mazedonisch)

Text, Regie, Produktionsleitung: Simonida Selimović
Performer:innen
Kosa: Valentina Eminova
Svetlana/ Beamtin MA 35 und in Serbien: Franziska Adensamer
Aca/Beamter im Außenministerium: Sebastian Malfer
Cast Video: Dominic Moldovan, Samuel Rosegger, Radica Savić
Live-Musik (Fagott): Stefanny Leandro Aguilar

Visual Art: Joanna Zabielska
Kamera & Cut: Laura Moldovan
Bühnenbild und Kostüme: Eleni Palles
Dramaturgie: Elif Bilici
Regieassistenz: Vitória Monteiro

Wann & wo?

Bis 3. November 2023; 19.30 Uhr
Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
Telefon: 01 522 07 20-20

3. Internationales Roma-Festival im Dschungel Wien

E bistarde 2023 | Vergiss mein nicht

Bis 9. November 2023
Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
dschungelwien -> festival-e-bistarde

romanosvato.at

Spaces of Memories

Temporäres Mahnmal
Installation Luna De Rosa
Während des gesamten Festivals im Fürstenhof, MuseumsQuartier, vor dem Dschungel Wien

Rom*nja City
Stadt der befreiten Menschen

Ab 16 Jahren; 70 Minuten; Deutsch, Romanes

Text und Regie: Simonida Selimović
Mitarbeit Text: Hanna Altaher
Performer:innen: Joschla Weiss, Nebojša Marković, Estera Sara Stan, Cat Jugravu, Rea Andrea Kurmann, Roxie Thiele-Dogan ğ
Choreografie: Safet Mistele/Aurora Magri
Bühnenbild + Kostüme: Olga von Wahl
Ton + Visuals: Amin Banitaba, Slavisa Marković
Licht: David Scholz
Dramaturgie: Rudi de Melo
Produktionsleitung: Joschla Weiss

Eine Produktion des Rom*nja IN Power Theaterkollektivs, eine Abteilung des Kelipen e.V., in Kooperation mit dem Romanosvato Theaterverein Wien und dem Rroma Aether Klub Theater Berlin.

Wann?

4. und 5. November 2023; 19.30 Uhr

Deno RecorDS
Musik Konzert

4. November 2023; 21 Uhr

Wir Kinder der kleinen Mehrheiten

Lesung und Konzert
Gianni Jovanović und Oyindamola Alashe lesen abwechselnd aus ihrem Buch „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“. Celina Bostić singt, spielt und performt. Am Ende hat das Publikum die Möglichkeit, mit den Künstler:innen ins Gespräch zu kommen.

Wann?

6. November 2023; 19.30 Uhr

Tschandala
The Romani Version

Musik-Performance
Kooperation mit Strindbergs Intima Teater (Schweden)

Regie, Pefomrnace: Lindy Larsson
Text: Lindy Larsson, Stefan Forss, August Strindberg
Musik: Bon Bon Band
Kostüme: Delaine le Bas, Stefan Forss

Wann?

7. November 2023; 19.30 Uhr

Wie kann der Staat die Selbstorganisationen der Roma und Sinti in Österreich stärken? Strukturen und Narrative der Zukunft

Podiumsdiskussion im Parlament (!)

Moderation: Gilda Horvath
Begrüßung durch Faika El-Nagashi, Abgeordnete zum Nationalrat
Roundtable Gespräch
Simonida Selimović, Gründerin Festival „E Bistarde“
Marion Dworzack, Roma Aktivistin
Roxanna-Lorraine Witt, Djelem Djelem Festival Dortmund, Save Space e.V
Danijela Cicvarić, Leiterin Romano Centro
Stéphane Laederich, Direktor der Schweizer „Rroma Foundation“
Dipl.-Ing.in Olga Voglauer, Abgeordnete zum Nationalrat
Mag.a Eva Blimlinger, Abgeordnete zum Nationalrat

Wann & wo?

8. November
18 – 19.30 Uhr
Parlament: 1010, Dr.-Karl-Renner-Ring3
Digitale Anmeldung erforderlich, Link hier

Images of Rom*nja Artist in Media and on Stage

International Podiumsdiskussion – auf Englisch
Gäst:innen
Simonida Selimović, Schauspielerin, Regisseurin und Co-Gründerin des Festival „E Bistarde“
Sandra Selimović, Schauspielerin & Co-Gründerin des „E Bistarde“
Gilda-Nancy Horvath, Deutsche Welle Europa
Adrian Gaspar, Vorsitzender der Academia Romai
Stéphane Laederich, Leiter der Schweizer „Rroma Foundation“
Roxanna-Lorraine Witt, Djelem Djelem Festival Dortmund, Save Space e.V
Jörg Studeman, City Manager, Dortmund
Moderation:  Carmen Gheorghe, E-Romnja (NGO in Rumänien)

Wann & wo?

9. November 2023; 19.30 Uhr
Dschungel Wien, MuseumsQuartier