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Szenenfoto aus "Tschick" in der Bühne im Hof (St. Pölten): Lennart Preining, Tobias Artner, Laura Laufenberg

Maik wächst durch Freund „Tschick“ und Begegnungen mit guten Menschen

Von sonnengelb umgebenen drei Stoffwänden, die von vornherein Zuversicht ausstrahlen und zwischen zwei großen hellgrünen Kulissen-Elementen sowie fallweise Farben wechselnden senkrechten Leuchtstoffröhren spielt sich die Jugend-Kult-Geschichte „Tschick“ seit Kurzem – immer wieder (Termine in der Info-Box am Ende des Beitrages) ab. Obwohl Maik Klingenberg (14) die Hauptperson ist, die die Story aus seiner Sicht erzählt – und auch die größte Entwicklung durchmacht – ist der Roman, Film, die Theaterversion nach seinem zum Freund gewordenen neuen Klassenkollegen Andrej Tschichatschow (manchmal auch Tschichatschoff geschrieben) benannt. Der Einfachheit, weil gleich bei seiner Vorstellung Lehrer Wagenbach den Namen kein einziges Mal unfallfrei aussprechen kann – naja, viel mehr will – eben „Tschick“ genannt.

Szenenfoto aus
Tobias Artner, Lennart Preining beim Autofahren

Roman, Theater, Film, Oper

Vor acht Jahren schon vom Theater der Jugend in Wien, im Vorjahr dann sogar in einer Opernversion in der Wiener Staatsoper gesungen und gespielt, bevölkern Maik und Tschick nun auch in St. Pölten die Bühne im Hof – Gastspiel des Landestheaters NÖ. Links – vom Publikum aus gesehen – der Anfang (oder das Ende?) einer Skate-Ramp; rechts – noch nicht ganz von Anfang an – eine hölzerne Konstruktion, die ansatzweise an ein Auto erinnert (Bühne: Chani Lehmann). Das erst durch das Bespielen durch die Protagonisten, zeitweise auch die Protagonistin zu einem solchen wird – Road-Theatre, ausgeborgt vom Begriff Road-Movie (2016 als Film in den Kinos) sozusagen. Als solches ist auch schon der vor fast eineinhalb Jahrzehnten erschienene Roman geschrieben worden – von dem bald nach der Veröffentlichung jung verstorbenen Autor Wolfgang Herrndorf, der übrigens 2004 den Publikumspreis beim berühmten nach Ingeborg Bachmann benannten Literaturpreis gewonnen hatte. Den Ansatz zum auch für ihn überraschenden Höhenflug (2010 erschienen, in der Saison 2012/13 meistgespieltes Stück auf deutschen Bühnen konnte er noch miterleben; er starb im August 2013). Eines von Herrndorfs Vorbilder für „Tschick“ war „Huckleberry Finn“. Jugendliche, die auf sich allein reisend die Welt erkunden. Weshalb in dem Roman – und seinen Bearbeitungen – die vorkommenden Erwachsenen auch nur Nebenfiguren sind.

Keine Freund:innen

Maik, gespielt von Tobias Artner, stammt aus reichem Haus – mit alkoholkranker Mutter und Vater, der in Immobilien macht, aber gerade mit einem großen Projekt Schiffbruch erlitten hat. Schüchtern, zurückhaltend, ohne Freund:innen. Da kommt „Tschick“ (Lennart Preining, der aber noch in einige andere Rollen schlüpft, unter anderem Maiks Vater!) neu in die Klasse, aber erst am Beginn der Sommerferien kommts zur wirklichen Begegnung der beiden. Der hat in der Klasse auch keine Freund:innen, aber ist der Typ Sch…-dir nix bzw. -drauf. Hat ein Auto „ausgeborgt“ und animiert Maik mit ihm auf Tour zu fahren – in die Walachei. Was Maik für ein Fantasie-Region hält, es als Landschaft im Süden Rumäniens aber wirklich gibt.

Szenenfoto aus
Lennart Preining kopfunter

Fast nur positive Erfahrungen

Nach anfänglichem Zögern, löst sich Maik darauf ein. Und so erleben die beiden das eine oder andere Abenteuer, vor allem aber viele Begegnungen. Und da fast ausnahmslos positive. Weshalb das Landestheater auch gleich im (digitalen) Programmheft Maiks Schlussfolgerung gegen Ende zitiert: „Seit ich klein war, hatte mein Vater mir beigebracht, dass die Welt schlecht ist. Die Welt ist schlecht und der Mensch ist auch schlecht. … Wenn man Nachrichten guckte: Der Mensch ist schlecht… Und vielleicht stimmte das ja auch, und der Mensch war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war.“

Optimismus

Und diese Stimmung strahlen auch die knapp 1¼ Stunden in der Bühne im Hof aus (Regie: Mira Stadler). Abenteuerlich mit immer wieder auch tiefgehenderen Gesprächen sozusagen über Gott und die Welt, das Leben im Allgemeinen, die Liebe im Konkreten, aber nicht abstrakt, abgehoben, sondern wie reale Jugendliche, die den beiden Schauspielern abgenommen werden können. Womit sie Herrndorfs Sprache und Intention live erleben lassen.

Szenenfoto aus
Laura Laufenberg, Lennart Preining, Tobias Artner

Extrem wandelbare Schauspielerin

Weine Wucht ist vor allem aber die Dritte im Bunde auf der Bühne: Laura Laufenberg. Sie spielt nicht nur die freche, offene, aufmüpfige, dauerquasselnde, bei der ersten Begegnung auf der Müllhalde abwehrend aggressive Isa Schmidt, die dann eine Zeitlang das reisende Duo zum Trio erweitert, sondern verwandelt sich – mitunter blitzschnell nur durch Mimik, Gestik, Sprachfärbung oder eine Kopfbedeckung – fast ein Dutzend weiterer Charaktere. Da sind unter anderem drei Kinder, die alternativ aufwachsen, nicht wissen wo der Supermarkt ist, nach dem Friedemann, der erste der Kids, von den beiden Jungs gefragt wird, dafür aber von der Mutter (natürlich ebenfalls von Laura Laufenberg gespielt) gesund und gut bekocht werden. Sie gibt aber auch den ignoranten, autoritären Lehrer Wagenbach, den alten knorrigen Horst Fricke mit seinem Gewehr und nicht zuletzt auch Tatjana Cosić, in die Maik verliebt ist und für die er wochenlang an einer fotorealistischen Zeichnung der Sängerin Beyoncé arbeitet. Dann aber doch nicht zu deren Geburtstagsparty eingeladen ist, mit Maik aber einfach vorbeifährt und ihr die in die Hand drückt.

Szenenfoto aus
Tobias Artner, Lennart Preining

Musik

Die trotz aller Troubles – wie wo kriegen sie was zu essen her, wie kommen sie an Benzin, Unfall, Maiks Vater, der dem Sohn eintrichtern will, alle Schuld auf Tschick zu wälzen, was der dann (natürlich) nicht macht – optimistische, positive Grundhaltung wird nicht zuletzt durch die Musik abgerundet. Bernhard Eder hat den „Lovesong for Isa“ komponiert und bekannte Nummern arrangiert wie „Maschin“ von Bilderbuch, „Yeah!“ von Usher, „Angst“ von Low Life Rich Kids, „Sunny“ von Brockhampton und nicht zuletzt auch den nervigen Uralt-Klassiker „Pour Adeline“ von Richard Clayderman. Letzteren „finden“ die beiden auf einer Kassette im „ausgeborgten“ Lada. Der Musiker hatte – naheliegenderweise – auch eine Nummer von Beyoncé (Halo), aber auch „Survivor“ von Destiny’s Child und weitere Songs eingeplant, die es – wie dem Programmheft zu entnehmen – aber nicht in die Inszenierung geschafft haben. Die eingespielte Musik ist aber nciht nur Hintergrundgeräusch – die Schauspieler:innen verwandeln sich in Tänzer:innen, mitunter auch im Sitzen 😉

Die Bühne im Hof war übrigens – was bei Jugendstücken in Theater nicht immer der Fall ist – sogar bei der Premiere voller Jugendlicher. Die am Ende ziemlich enthusiastisch Beifall spendeten- zaghaft ertönte in einer der vorderen Reihen sogar der Spruch „Zugabe“. Die theater-interessierten 12-jährigen Brüder Jonas und Jakob zeigten sich in einem Kürzestgespräch nach der Premiere Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… gegenüber sehr angetan – vom Stück und dem Schauspiel. Der Zweitgenannte hatte auch schon „erst das Buch zur Hälfte gelesen, den Film angeschaut und dann wieder den Roman weitergelesen“. Womit er wusste, was wann kommt – und die Inszenierung „sehr gut“ fand.

Follow@kiJuKUheinz

https://kurier.at/leben/kiku/tschick-im-theater-der-jugend-abenteuer-vertrauen-schoepfen/172.543.237

Szenenfoto aus
Tobias Artner, Lennart Preining, Laura Laufenberg: Die Musik löst natürlich Tanz-Choreos aus…
Szenenfoto - aufgenommen bei einer der Proben - der Jugendoper "Tschick" an der Wiener Staatsoper

Jugendoper „Tschick“: Von Arien bis Rap

Ziemlich schnell füllt die die große Staatsoper an der Wiener Ringstraße – auf allen Ebenen, also im großen Zuschauer:innen-Raum ebenso wie in den Rängen. Nur die untere Mittel-Loge – und jene, die längere Zeit noch durch zwei Schrift-Banner verhängt sind unmittelbar neben der großen Bühne bleiben frei. Und: (Fast) alle im Publikum sind jung – Jugendliche aus Dutzenden Schulklassen. So manche strahlen anfangs ein eher „naja, Ausflug. Muss halt sein“ mit einer gehörigen Portion Skepsis bis Ablehnung aus nach dem Motto „was soll ich hier?!“

Vieles davon löste sich im Laufe der Vorstellung mit seiner musikalischen Bandbreite auf – bis zu kräftigem Applaus am Ende. Und dazwischen entdeckten mehr und mehr der jungen Opern-Besucher:innen, dass auf den kleinen Displays vor ihnen (an den Rückenlehnen der Vordersitze) der Text – sollte er beim Singen nicht ganz verständlich sein – mitgelesen werden kann.

DER Jugendroman

Das ändert sich im Laufe der knapp mehr als eineinhalb Stunden (ohne Pause). Gespielt, gesungen – und das bei Weitem nicht nur in Arien, sondern in unterschiedlichsten musikalischen Genres bis hin zu Rap (Musikalische Leitung: Johannes Mertl): „Tschick“. Der vor mehr als zehn Jahren (2010) von Wolfgang Herrndorf erschienene Jugendroman wurde bald auch als Theaterstück inszeniert, war zeitweise das auf deutschsprachigen Bühnen meistgespielte Jugendstück. Schon 2012/13 erreichten zweieinhalb Dutzend unterschiedliche Inszenierungen rund 100.000 Besucher:innen, 2016 gab’s eine Kinofilm-Fassung und ein Jahr später die Version als Jugendoper – Musik von Ludger Vollmer. Letztere wurde im Vorjahr für die Wiener Oper adaptiert und ist immer wieder eben auch in Vormittags-Vorstellungen speziell für Schüler:innen zu erleben.

Szenenfoto - aufgenommen bei einer der Proben - der Jugendoper
Szenenfoto – aufgenommen bei einer der Proben – der Jugendoper „Tschick“ an der Wiener Staatsoper

Grundstory

Für jene, die „Tschick“ – hat übrigens nichts mit der umgangssprachlichen Bezeichnung für Zigaretten zu tun – nicht kennen: Maik Klingenberg aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, hat wohlhabende Eltern, denen der Sohn aber nicht besonders wichtig ist. Andrej Tschichatschow ist neu in derselben Klasse. Er und sein Bruder sind aus Russland zugewandert. Dessen Name wird vom Lehrer immer ignorant falsch genannt. Zu Ferienbeginn klaut er ein Auto und überredet Maik, auch irgendwie ein Außenseiter in der Klasse, mit ihm auf Abenteuerfahrt in die „Walachei“ aufzubrechen. Unterwegs treffen sie auf die viel selbstbewusstere, freche, initiative Isa Schmidt. Natürlich begegnen die Jugendlichen auf ihrem Road-Trip noch anderen Menschen, Isa trennt sich bald von den beiden. Maik muss irgendwann das Auto steuern, Unfall. Und Maiks Vater will die Schuld auf Tschick, wie Tschichatschow genannt wird, schieben – es geht dem Vater um seinen Ruf und seine Geschäfte als Immobilien-Unternehmer…

Szenenfoto - aufgenommen bei einer der Proben - der Jugendoper
Szenenfoto – aufgenommen bei einer der Proben – der Jugendoper „Tschick“ an der Wiener Staatsoper

Adaptierungen

Für die Wiener Staatsoper wurde das Lokalkolorit von Berlin nach Wien verlegt  – nur bei der „Förderschule“, die es hierzulande so nicht gibt, wurde „vergessen“ – (Inszenierung: Krysztina Winkel) und es braucht kein Auto auf der Bühne, eine Art Gerüste mit schrägen Leiteraufgängen und Rollen unten dran reichen als fahrbare Untersätze, die noch dazu flexibel in alles Mögliche umgewandelt werden können. So reicht ein Brett zwischen zwei solcher „Fahrzeuge“ und das Bett in einem Krankenhaus wird herbeige„zaubert“ (Bühne: Ella Steinbach & Xandi Vogler).

Für vielleicht so manche Zuschauer:innen – nicht zuletzt begleitende Lehrer:innen, die den Roman nicht kennen – mögen so manch derbe Worte die fallen überraschend bis irritierend sein. Sie passen nur tatsächlich in die Tonalität der musik-theatralen Umsetzung des Romans – und kommen keineswegs in einer anbiedernden Art.

Szenenfoto - aufgenommen bei einer der Proben - der Jugendoper
Szenenfoto – aufgenommen bei einer der Proben – der Jugendoper „Tschick“ an der Wiener Staatsoper

Weite Reisen

Neben den Einzeldarsteller:innen (immer wieder ja nach Vorstellung auch wechselnde Besetzungen) spielt auch der Chor der Opernschule eine große, in vielen Szenen tragende, Rolle. Und das ganz spannend aus der schon oben erwähnten großen Mittelloge im Parterre und den kleineren seitlichen Logen in den verschiedenen Stockwerken – dafür werden die Stoff-Banner zunächst nach oben gezogen, um den Blick freizumachen und natürlich den Gesang besser zu hören. Die Chor-Sänger:innen wuseln aber immer wieder auch auf der großen Bühne selbst hinter oder mitten im Geschehen der jugendlichen Ausreißer mit. Durch ihre ständig wechselnden Auftrittsorte unterstreichen die Chor-Sänger:innen noch das Gefühl der weiten Reise von Maik und Tschick – wobei deren seelische Reise viel weiter geht als die geschilderte Autofahrt.

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Szenenfoto - aufgenommen bei einer der Proben - der Jugendoper
Szenenfoto – aufgenommen bei einer der Proben – der Jugendoper „Tschick“ an der Wiener Staatsoper