Tanzende Bilder? Oder wollen einfach die „gemalten“ lebendigen Menschen raus aus ihrem Rahmen? Vielleicht auch „nur“ die Aufmerksamkeit der feinen Dame erregen, die dann in die Galerie stolziert? Und ist der Rahmen, den sie auf dem Boden findet, nicht zu klein für ihre große Persönlichkeit?
Mit „Galerie der Träume“ gastierte eine Kooperation aus der Gruppe Lemour (Miriam und Sarah Kerneza, Ben Petermichl) und dem Solo-Jonglage-Clown Marijan Raunikar beim Wiener Kultursommer – und ist mit diesem Programm diese Woche noch beim Kultursommer in Wr. Neustadt (Niederösterreich, wenige Minuten vom Bahnhof entfernt – siehe Info-Block) zu erleben.
Ganz ohne Wort kommen die vier Künstler:innen aus – erzählen mit ihren, teils akrobatischen, Bewegungen kunstvolle, verträumte, poetische Geschichten. In die können die Zuschauer:innen jeden Alters durchaus Unterschiedliches hinein-interpretieren oder aus ihnen herauslesen. So ziemlich alles ist möglich.
Da steigen die einen und anderen aus Rahmen heraus, in andere hinein oder hindurch. Neben ihren Körpern und deren Bewegungen erzählen sie viel aber auch mit ihren Augen – diese Blicke! Dieses lautlose Brüllen!
Neben den Rahmen-Handlungen, dreht sich eine lange Szene auch um – ebenso wortlose – Missverständnisse und Streitereien des Trios Lemour (ein Mischwort aus einem Lemur-Äffchen und dem französischen Wort für Liebe Amour) bei einem gemeinsamen Essen. Auch zu erleben: Über weite Strecken gekonnt ungeschickte Jonglier-Künste Marijan Raunikars, bevor er – wie zu erwarten – natürlich auch fünf Bälle gleichzeitig in der Luft halten kann 😉
Üblicherweise bringt „Wortwiege“ neue, ungewohnte Bearbeitungen bekannter Stoffe in den Wiener Neustädter Kasematten zum ersten Mal zur Aufführung. Ausnahme war schon Shakespeares „Coriolanus“ in der Regie und Spielfassung von Azelia Opak im Herbst des Vorjahres. Das Stück über toxische Kriegslüsternheit war ein halbes Jahr zuvor als Regie-Abschlussarbeit am Max-Reinhardt-Seminar zu erleben gewesen.
Das diesjährige „Europa in Szene“-Herbstfestival (6. – 24. September 2023) läuft unter dem Titel „Sea Change – Die Kunst der Verwandlung“. Insbesondere der erste der langgezogenen Räume der einstigen Verteidigungsanlagen wurde zu einer Art Schiffsbauch gestaltet mit sozusagen Bullaugen-Aussicht auf diverse – animierte – Fische an den Wänden und auf der Bühne. Das Meer mit seinen Gezeiten, Wellenbewegungen, Ort weiter Reisen mit all ihren Veränderungen wird zum Hintergrund und zur Metapher für Veränderungen mit unterschiedlichsten Stücken bzw. Theaterformen. Und da an den Gestanden der Meere viele verschiedene Länder liegen wird diese Ausgabe des „Wortwiege“-Festivals noch viel internationaler – und damit oft „nur“ österreichischer Erst-Aufführungsort.
So erlebte die multidisziplinäre Performance „Dido“ ihre Uraufführung beim 26. Istanbuler Theaterfestival. Korhan Başaran machte aus dem Mythos von Dido und Aeneas ein Stück Tanztheater mit Videoprojektionen (Projektionsdesign: Ataman Girisken) zu Kompositionen von Tolga Yayalar (21. und 22. September 2023).
Und das Leitungs-Duo des Festivals (Anna Maria Krassnigg, Christian Mair) bringt seine musikalisch-theatrale (Welt-)Reise „Orlando Trip“, ein Konzert mit wechselnden Video-Sequenzen nach fast einjähriger Tour – unter anderem Rumänien, Türkei, Griechenland, Bosnien, Kroatien, Frankreich, Italien; Israel – gleich nach dem Festival -, Japan, Spanien und New York stehen auf dem weiteren Tourneeplan – zur Österreich-Premiere (die englischen Lyrics erhalten in die Videos eingeblendete deutsche Übersetzungen). Die künstlerische Leiterin Krassnigg hat sich dafür einen weiteren ihrer Vornamen und den Nachnamen des sizilianischen Vaters ausgeborgt. Als Anna Luca Poloni hat sie zwölf Songtexte verfasst, die sich am Orlando-Mythos orientieren. Die Kompositionen sowie die Visuals steuerte der um einen i-Punkt veränderte Christian Maïr bei, der sie auch selber auf der Stromgitarre spielt.
Die Welt-Tour führt übrigens dazu, dass das Duo im jeweiligen Land stets neue Videos dreht, die in die nächsten Auftritte in die Visuals eingearbeitet werden.
Orlando, den Virginia Woolf in ihrem Roman (der übrigens auch Ausgangspunkt für ein eben erst in Wien gelaufenes Stationen-Wanderprojekt mit digitalen Kunstwerken am Smartphone war – siehe Link am Ende des Beitrages) eines Abends in Istanbul als jungen Mann einschlafen und anderntags als Frau aufwachen lässt, steht damit für eine beachtliche Veränderung. Übersetzt textete Poloni/Krassnigg dazu unter anderem:
„Schlaf kann Tod sein
Doch der Tod ist nicht das Ende
Träume alles andere als unschuldig
Wach auf, neues Leben!“
Wobei die Autorin im Auftakt-Mediengespräch und rund um einen Probenbesuch des Konzerts von Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… auf die – kaum bekannte – Tatsache hinweist, dass Woolf „nur“ eine alte italienische Geschichte überschrieben hat: Das fast 40.000 Verse umfassende Werk „Orlando furioso“ von Ludovico Ariosto (erstmals 1516 erschienen). Ausgangspunkt für Aristo war die die sogenannte Roland-Sage, die auf dem historischen Vorbild des fränkischen Markgraf Hruotland basiert, einem angeblichen Verwandten von Kaiser Karl, dem Großen. Und da weniger seinen angeblichen Heldentaten, sondern seiner Liebe zu einer fast magischen chinesischen Prinzessin. Diese Liebe raubt ihm (fast) den Verstand.
In dem stimmungsvollen Auf und Ab der Gefühle und ihrer Veränderungen des konzertanten theatralischen Duos schwingen Macht der Liebe genauso mit wie Angst vor Veränderung und dann doch die Energie, auf der Welle solcher Veränderungen reiten zu können. Mindestens genauso ist die Sehnsucht nach den schier unendlichen Weiten der Meere und die Neugier auf Neues spürbar. Wenngleich die Liebe zur Exotik zu einem Loblied auf „Gipsys“ verleitete, einem Begriff, den Angehörige der Roma, Sinti, Jenischen usw. spätestens eit der ersten internationalen Roma-Konferenz 1971 (!) genauso ablehnen wie das Z.-Wort, für das es ja nur die sozusagen „verbrämte“ Übersetzung darstellt.
Wermutstropfen des jetzigen Festivals: Alle Aufführungen werden nur zwei Mal gespielt, manche sogar nur ein einziges Mal. Sollte der „Orlando Trip“ gut gebucht werden, könnte, so Krassnigg, eine dritte Vorstellung eingeschoben werden.
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