„Dschabber“ – ein Jugendstück über Vorurteile, Ausgrenzung, Toleranz und Vertrauen im Vestibül des Wiener Burgtheaters.
Nach mehreren pandemiebedingten Verschiebungen feierte „Dschabber“ seine österreichische Erstaufführung im Vestibül des Burgtheaters. Grundlage der Inszenierung bildet „Jabber“ des kanadisch-ägyptischen Theaterautors Marcus Youssef. Sein Werk erzählt von Fatima und Jonas. Sie ist erst seit drei Jahren – im Fall der heimischen Inszenierung – in Österreich und bedeckt aus eigener Überzeugung ihr Haar mit einem Kopftuch. Er hat seinen Hoodie fast immer über den Kopf gezogen und provoziert gerne.
In der österreichischen Version – gespielt vom Studio-Ensemble des Burgtheaters und damit sehr jungen Schauspieler:innen – gibt es sowohl Fatima als auch Jonas grundsätzlich dreifach auf der Bühne (bei der Premiere aus Krankheitsgründen Jonas nur zweifach) – siehe dazu auch den Bericht von einem KiJuKU-Probenbesuch hier unten verlinkt.
Ein islamophobes Graffiti mit der Aufschrift „Tötet alle Muslime“ zierte die Wand von Fatimas früherer Schule – weshalb ihre Eltern sie zu ihrer Sicherheit in eine neue Schule schicken. Sie ist kein Fan vom Schulwechsel, immerhin hatte sie ihre Clique – die „Dschabber“. So nannte sich Fatimas Freundesgruppe bestehend aus insgesamt zwei Hijabis/ Hidschabis und einer „Kartoffel“, die aber genauso dazugehört.
In der neuen Schule ist Fatima die einzige Kopftuchträgerin. Obwohl sie kein schüchternes Wesen ist, fällt es ihr nicht leicht Anschluss zu finden. Auch Jonas hat es nicht einfach. Er fällt oft auf, provoziert gerne. Nach einem Holocaust-Witz wird er zur Vertrauenslehrerin geschickt. Dort trifft er auf Fatima. Er bietet ihr seine Hilfe an, falls Fatima sich dazu entschließen sollte, die Schule in die Luft zu jagen – wer Kopftuch trägt, ist Terroristin, so sein Vorurteil – bzw. dessen Aufs-Korn-Nehmen durch den Autor. Sie nimmt sich kein Blatt vor den Mund, macht ihm bewusst, dass all seine Theorien bezüglich ihrer religiösen Identität weder Hand noch Fuß haben und gibt ihm zu verstehen, dass sie das nächste Mal von ihren vermeintlich vorhandenen terroristischen Skills Gebrauch machen würde, sodass er am Ende auf seinen Knien um sein Leben bettelt
Im Laufe der Handlung finden diese zwei jungen Menschen, welche mit unterschiedlichen Facetten von Ausgrenzung, Misstrauen und Vorurteilen zu kämpfen haben, getrieben durch eine wachsende Anziehungskraft den Mut, Grenzen zu überschreiten und einander Vertrauen zu schenken. Fatima weiß, wie es ist, aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes kategorisiert zu werden. Sie weiß, wie es ist, wenn alle einen für einen Freak halten und man einfach nur so sein will wie alle anderen. Dieses Gefühl teilt auch Jonas. Aufgewachsen in einer von Gewalt gezeichneten Familie, muss er für die Taten seines Vaters büßen. Seit der Tat spürt er die Blicke seiner Mitmenschen, hört ihr Flüstern und erkennt die Angst in ihrer Körpersprache. Als wäre er gefährlich. Als hätten sie einen Grund, Angst zu haben …
„Sagen wir, wir sind in einer Schule und sagen wir ich bin nicht 24 sondern 16.“ Mit Einstiegssätzen wie diesen schafft das Studio-Ensemble des Burgtheaters vor vornherein eine Distanz zu den Figuren. Erst nachdem sie sich kurz und knapp als schauspielende Personen vorgestellt haben, schlüpfen sie in ihre Rollen. Trotz der beabsichtigten Distanz am Anfang überzeugen sie in ihren Rollen als Schüler: innen. Eine der Jugendlichen führt uns zusätzlich als Erzählerin durch die Handlung. Hin und wieder vernimmt man Stimmen aus dem Off. Diese lesen uns die Chats zwischen Fatima und Jonas vor. Eine witzige Methode zur Betonung der Handlung. Die Stimmen aus dem Off lassen nichts aus. Selbst Abkürzungen und Smileys werden vorgelesen. Mithilfe von unterschiedlichen Beleuchtungsfarben und Soundtracks, die die jeweiligen Stimmungen unterstützen, überzeugen die jungen Schauspieler:innen in ihren Rollen. Alle sind uns auf ihre Art und Weise sympathisch. Sie verkörpern ihre Rollen so gut, dass sie wiederum locker wirken. Man hat das Gefühl, Teil der Schulgemeinschaft zu sein. Kann sich mit ihnen identifizieren und spürt ihren Frust, ihren Zwiespalt, ihre Wut aber auch die schönen und aufragenden Emotionen kommen nicht zu kurz.
„Dschabber“ durchleuchtet Annahmen auf Grundlage von Erscheinungen in der Schulwelt und weist in seiner Stunde Spielzeit auf omnipräsente Missstände unserer Gesellschaft hin. So belegen diverse Studien, dass mehr als ein Drittel aller SchülerInnen im deutschsprachigen Raum spürbar unter Ausgrenzung leiden. Weitere deuten auf einen deutlichen Anstieg von antimuslimischem Rassismus hin. Opfer dieser sind meist Hijabis wie Fatima aus dem Stück, da sie viel einfacher zu erkennen sind. Zu diesen Vorfällen kommen institutionelle Rassismen und nie enden wollende Diskussionen rund um das Kopftuch.
Doch Hin und wieder verstärkt es auch gewisse Stereotypen. So heißt es am Anfang, dass Fatima aus Überzeugung das Kopftuch trägt. Bereits knapp nach der Hälfte des Stücks legt sie es jedoch kurz ab, um Jonas zu zeigen, dass sie ihm vertraut. Diese Szene erinnert ein wenig an diverse Netflix-Serien mit einer oder wenigen Hijabis. Am Anfang erfreut man sich über die (neu)vorhandene Diversität in diesen Serien. Doch auch in diesen handeln Hijabis klischeehaft und legen ihr Kopftuch ab, um ihr Vertrauen / ihre Liebe einem weißen, nicht muslimischen (jungen) Mann zu beweisen. Wenn Fatima und alle andere Hijabis auf der Bühne/in den Serien ihr Kopftuch wirklich aus eigener Überzeugung trügen, dann würden sie es für niemanden ablegen.
Auch Fatimas Aussagen im Hinblick auf ihre Eltern hatten eine negative Konnotation. „Sie würden mich umbringen“, sagt sie immer wieder.
Tun sie schlussendlich nicht – surprise surprise!
Natürlich gibt es innerhalb der muslimischen Community, wie in jeder anderen auch, angespannte Verhältnisse, Machtmissbrauch und gewisse Ungereimtheiten. Und auch diese Tatsachen gehören diskutiert und dargestellt. Doch auch die Tatsache, dass es MuslimInnen gibt, die sich in ihren Communities gut aufgehoben und aus eigener Hingabe, Überzeugung und Liebe ihre religiöse Identität auch in ihrem Alltag frei ausleben wollen, sollte doch schon langsam Einzug im deutschsprachigen Raum finden.
Die muslimische Community ist divers! In ihren Ansichten, ihren Lebensrealitäten, Bewegungsgründen etc.
Diese Diversität hätte man mithilfe der 3-fachen Besetzung vielleicht auch wenigstens anklingen lassen können. Im Stück waren die Fatimas gleich, vervollständigen die Sätze voneinander und waren in ihrem Denken und Handeln d’accord.
„Sagen wir es gibt 2,2 Milliarden Muslime. Sagen wir, sie sind nicht alle gleich“, heißt es gegen Ende des Stücks.
Sagen wir Fatima 1 trägt aus freien Stücken und eigener Überzeugung das Kopftuch, obwohl ihre Eltern dagegen sind. Sagen wir Fatima 2 hingegen wurde externem Druck ausgesetzt. Sagen wir Fatima 3 möchte das Kopftuch tragen, hat aber Angst, als Teil einer (teils negativ konnotierten) Minderheit diverser Rassismen ausgesetzt zu werden.
Diese drei Zugänge zum Kopftuch hätten auf der kleinen, aber feinen Bühne des Vestibüls Platz finden können. Schließlich war die Bühne mithilfe von wenigen Kisten/Boxen, gezielter Beleuchtung und passendem Sound eine Schule, ein Kanal, Fatimas Haus und das Haus von Jonas.
In der englischen Fassung leitet sich der Titel aus dem englischen Verb „jabber“ her. Zu Deutsch: plaudern, quasseln. In der deutschen Fassung wird gleich zu Beginn erklärt, das Dschabber aus dem arabischen Wort für Kopftuch „Hijab“ hergeleitet worden ist.
So lag der Fokus in der deutschsprachigen Inszenierung von vornherein auf dem Kopftuch…
Dabei kann das Stück auch an anderes appellieren.
Wir labeln gerne Dinge. Es hilft uns, unserer Welt einen Sinn zu geben und unseren Platz darin zu identifizieren. Das Labeln gibt uns einen gewissen Trost. Ein Gefühl der Sicherheit. Wenn ich Dinge benenne, weiß ich, was sie sind, was sie tun können oder was ich mit ihnen anfangen kann. Dschabber konfrontiert uns in seiner Essenz mit der Tatsache, dass wir so weit gehen, auch Menschen gewisse Attribute zuzuschreiben. Diese (Fremd)Zuschreibungen können falsch und einschränkend sein, führen meist zum Othering und zur Exklusion.
„Dschabber“ appelliert, unter die Oberfläche zu gehen, etwas tiefer zu schauen. Wenn wir weniger Zeit damit verbringen würden, unsere Mitmenschen nach unseren Vorurteilen zu kategorisieren und uns tatsächlich die Zeit nehmen würden zu versuchen, einander zu sehen, einander wirklich zu sehen – komplex, verwirrt und fesselnd, wie wir alle sind, – könnten wir die Welt und unseren Platz darin auf eine ganz andere Weise verstehen. Könnten verstehen, dass unsere Wahrnehmung nicht immer die einzig wahre Wahrheit ist.
Fatima Kandil
von Marcus Youssef, Deutsch von Bastian Häfner
Eine Produktion mit dem Studio-Ensemble
Ab 13 Jahren; ca. 1 ½ Stunden
Frau Müller, Herr Levy, Dunja: Dunja Sowinetz
Fatima: Miriam Bahri
Fatima: Jihen Djemai
Fatima: Emilia Mihellyes
Fatima: Anna Sebők
Jonas: Lukas Coleselli
Jonas: Kevin Koller
Jonas: Niklas Schrade
Jonas: Marc Stadler
Erzählerin/ Mitschülerin: Johanna Singer
Regie: Anja Sczilinski
Bühne: Peter N. Schultze
Kostüme: Lili Wanner
Licht: Mathias Mohor
Musik: Kilian Unger
Ton: Christian Strnad, Andreas Zohner
Choreografie: Miriam Lechlech
Dramaturgie: Andreas Karlaganis
Künstlerische Beratung und Workshopleitung: Arwa Elabd
Theaterpädagogik: Anna Manzano, Monika Haberfellner
Regie-Assistenz: Luisa Reiterer
Bühnenbild-Assistenz: Marita Landgrebe
Kostüm-Assistenz: Emma Ursula E. Ludwig
Inspizienz: Stefanie Schmitt
Soufflage: Yasmine Steyrleithner
22. April, 11. und 17. Mai 2022
Burgtheater Vestibül: 1010, Universitätsring 2
Telefon: 01 51 444 – 0
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