„Dido“ von und mit Korhan Başaran aus Istanbul in den Wr. Neustädter Kasematten beim „Sea-Change“-Festival der „Wortwiege“.
Vorbei und über auf dem Boden liegende, sich ballende weiße Stoffe mit vielen Löchern – Tarnnetze für schneebedecktes Gelände – und ein Mann der auf den Stufen sitzt und den ersten Zuschauer:innen hilft, Papier-Schifferln zu falten. Korhan Başaran himself, der später eine einstündige extrem intensive Tanz- und Stimmperformance spielen wird, ist es der beim Basteln hilft. Alle diese Boote sammelt er ein, nimmt sie mit, stellt sie an den Bühnenrand.
Der Tänzer und Choreograf, der ursprünglich aus dem Schauspiel kam, in Istanbul lebt, zieht das Publikum eine Stunde lang mit seinem Tanz und seinen Texten (auf englisch) in den Bann, fesselt die Zuschauer:innen und Zuhörer:innen wie Dido und Aeneas in ihrer Liebe gefesselt waren. Entflammt füreinander, auch wenn Dido lange nicht die Absicht hatte, sich diesem Gefühl auszusetzen. Und letztlich daran psychisch so zugrunde geht, dass sie ihrem Leben ein Ende bereitet als Aeneas göttlichem Ruf folgend mit seinen Schiffen aus Karthago abzieht.
Zum Hintergrund der bekannten mythologischen Geschichte hält eine halbe Stunde vor der Vorstellung Anna Maria Krassnigg, Mastermind des „Sea-Change“-Festivals der „Wortwiege“ in den Wiener Neustädter Kasematten eine Einführung. Aber selbst wer die versäumt oder den Stoff gar nicht kennt – Korhan Başaran verkörpert – von teils winzig kleinen im Lichtfokus intensiv wahrnehmbaren Bewegungen des Oberkörpers bis zu raumgreifendem Tanz – das langsam aufkommende Gefühl der Zuneigung über das Entfachen und Entflammen heftiger Liebe bis zur Verzweiflung über die Unerfüllbarkeit des Auslebens dieser sicht-, hör- und spürbar.
Dazu zitiert er Verse – auf Englisch (Vorgeschichte wird mit deutschen Untertiteln im Hintergrund eingeblendet, die Verse stehen übersetzt gedruckt auf Zettel, die das Publikum beim Eingang bekommt). Er selbst hat die poetischen Liebes-Hochschaubahn auf der Basis des römischen Dichters Vergil sowie von Christopher Marlowes englischer „Dido“-Version verfasst.
Die intensive Stunde wird durch die eingespielte Musik von Tolga Yayalar und mindestens genauso die projizierten abstrakten, die jeweilige Gefühls- und Stimmungslage betonenden Visuals von Ataman Gırısken zu einem multimedialen, umfassenden heftigen Erlebnis. Und obwohl sozusagen „alte“ Tradition aufgenommen wird, als Frauen noch nicht auf der Bühne sein durften und Männer in Frauenkleidern deren Rollen spielen mussten, schafft diese Performance so auch „nebenbei“ den Brückenschlag zu Diskussionen um Genderfluidität.
Tanztheater mit Visuals
Korhan Başaran / Company RAu (Türkei)
eine Stunde
Konzept, Regie, Choreografie, Performance: Korhan Başaran
Text (in englischer Sprache – Vorgeschichte mit deutschen im Hintergrund eingeblendeten Untertiteln; Großteil der poetischen Texte auf einem gedruckten Begleitzettel): Korhan Başaran nach Vergils Aeneis und Christopher Marlowes Dido; Queen of Carthage
Musik: Tolga Yayalar
Visual / Projection Design: Ataman Gırısken
Kostüme: Ümit Ünal Collection
Bühne: +b612 Design Studio
22. September 2023
19.30 Uhr
Einführung: 19 Uhr
Kasematten Wiener Neustadt: 2700, Bahngasse 27
Wortwiege -> Dido