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Szenenfoto aus "Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause" von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)
Szenenfoto aus "Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause" von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)
13.02.2024

Jahrzehnte alt, aber leider brand-aktuell

Zwei (24 und 36 Jahre) alte Elfriede-Jelinek-Texte szenische gespielt im Theater Arche demaskieren – mit Humor gewürzt – (nicht nur) heimischen Rechts-Extremismus.

Wäre nicht so manch unfreiwillig komische Passage – in den Texten, aber noch viel mehr im Schauspiel der Mitwirkenden – könnte es einem die 1 ¼ Stunden des organischen Mixes zweier alter Elfriede-Jelinke-Texte („Das Lebewohl“/ 2000 und „Wolken.Heim“/ 1988) fast nur kalt den Rücken runterlaufen. Und leider nicht nur als historische Erinnerung, obwohl die Ausgangs-Originaltexte 24 bzw. 36 Jahre alt sind. Das ist wohl das Erschreckendste an den analytisch sezierenden, rhythmisch, teils chorisch, mit Wiederholungen arbeitenden Texten der Literatur-Nobelpreisträgerin: Ausgehend von konkreten jeweils aktuellen politischen Ereignissen oder Sagern, legt sie das jeweils Strukturelle im Hintergrund offen. Und das überdauert nicht selten den aktuellen Anlass.

Ansonst könnte ja gelächelt werden über das seinerzeitige „Bin schon weg“, „bin wieder da“ Jörg Haiders, der den Rechtspopulismus (nicht nur in Österreich) schon vor der Jahrtausendwende zu einer Hochblüte getrieben hatte. Bezogen auf seinen Rückzug auf Kärnten, um die erste Schwarz-Blaue Regierung 2000 zu ermöglichen der Drittplatzierten ÖVP das Kanzleramt überließ, um die eigene Politik durchsetzen zu können, beispielsweise.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause“ von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)

Indirekt aktuelle Bezüge

Solches sprechen Jelinek-Texte aber auf einer Art Meta-Ebene und damit auch noch allgemeingültiger an. „Warum bitte sind all diese fremden Leute, die wir nicht persönlich kennen, weil sie sich selber mitsamt den Wurzeln ausgerissen haben, warum bitte sind die überhaupt noch da? – Die sollten doch längst weg sein, als Entwurzelte.“ Und schon schießt dem rezensierenden Zuschauer „Remigration“ oder „Leitkultur“ ein – weit über die seinerzeitigen Rechts-Extremen hinaus von der einstigen politischen Mitte gefordert.

Theater-Geburtstage

Die beiden Texte verwob Karl Baratta, der schon früh Jelinek-Texte auf Bühnen inszenierte, für das Theater Arche in Wien-Mariahilf. Mit „Das Lebewohl.Wolken.Heim
Und dann nach Hause“ begeht dieses Theater seinen eigenen fünften Geburtstag, aber auch gleichzeitig den 40. Gründungstag des Vorläufers „Theaterbrett“ – von Nika Brettschneider und Ludvík Kavín, den Eltern des heutigen Arche-Co-Leiters Jakub Kavín; der übrigens schon als Kind auf dieser Bühne den Kleinen Prinzen gespielt hatte.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause“ von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)

Unterläufel als Antreiber

Nun schlüpft er, Haare frisch geschoren, in eine der „Buberl“-Rollen des „Schattenkanzlers“ J.H. Den Hass gegen Fremde, Andere und nicht zuletzt Journalist:innen – „geschirrt gehören sie unters Joch“ übersetzt Jelinek Haiderisches „Aufräumen in den Redaktionsstuben“ ins Literarische. Sein Co. in der Rolle der Handlanger/Vollstrecker des Anführers: Eckart Schönbeck. Gegenseitige Stichwortgeber einer-, Aufgansler andererseits. In der Rolle des irgendwie zwischen Diabolischem, multipler Persönlichkeit, scheinbar Chaos stiftendem aber mit zielgerichtetem Plan Agierenden glänzt mit immer wieder aufgesetztem Lächeln Manami Okazaki (Co-Leiterin von Theater Arche).

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause“ von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)

Be-greifbarer

Die beiden dichten, tiefschürfenden, die hintergründigen politischen Strukturen freilegenden Texte werde durch die Aufteilung auf die Schauspieler:innen und ihr szenisches Spiel viel (be-)greifbarer und können so in ihrer Dichtheit leichter aufgenommen werden.

Ergänzt werden die beiden genannten zwei bzw. drei Jahrzehnte alten und doch so erschreckend aktuellen Texte durch einen aus dem Vorjahr, vorgetragen von der 13-jährigen Amelie Kanon, die schon davor Tanz-Auftritte in unterschiedlichen Stilen im Hintergrund bei den vier Türen an der Bühnen-Rückwand hatte. „Dieses Land braucht junge Männer und Frauen, die das Herz am rechten Fleck haben, die sich trauen, oft gegen den Strom zu schwimmen, die sich auch trauen, etwas auszusprechen, wofür man vielleicht nicht von allen geliebt wird“, heißt es da unter anderem. Und was wie ein Offenlegen von Elfriede Jelinek sein könnte, stammt original von „Österreichs Jugend, die vorangeht“ vom Bundesjugendtag de RFJ (Ring Freiheitlicher Jugend) 2023.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause“ von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)

Ausgebreitet

Wie auch schon zu Haiders Zeiten ging’s – und geht’s heute genauso – nicht nur um Rechtspopulismus, sondern – durchaus auch offenen – Rechts-Extremismus. Nur heute schon weiter verbreitet. Ob heute in Österreich ein Landeshauptmann noch zurücktreten würde, wenn er von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik im 3. Reich“ sprechen würde?

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Das Lebewohl.Wolken.Heim Und dann nach Hause“ von Elfriede Jelinek im Theater Arche (Wien)

Aus der Geschichte lernen?

Dazu fällt der oftmals – mitunter abgewandelt – zitierte Satz von Ingeborg Bachmann aus ihrem Roman „Malina“ (derzeit dramatisiert im Wiener Volkstheater) ein: „Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler.“ Den sie sich übrigens bei Antonio Gramsci ausgeborgt hat, der schon 1921 in „Ordine Nuovo“ schrieb: „Die Illusion ist das zäheste Unkraut des Kollektivbewusstseins; die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler.“

Der trotz des Ernsts der Texte und noch mehr der Lage immer wieder auch von Humor aus Texten und Schauspiel durchzogene Abend ist ab 1. März wieder – mehrmals bis fast Mitte Mai (siehe Info-Block) im Theater Arche zu erleben.

Follow@kiJuKUheinz

INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Das Lebewohl.Wolken.Heim
Und dann nach Hause

von Elfriede Jelinek
Plus einem Text „Österreichs Jugend die vorangeht“ vom Bundesjugendtag de RFJ (Ring Freiheitlicher Jugend) 2023

Regie: Karl Baratta
Mit: Amelie Kanon, Jakub Kavin, Manami Okazaki, Eckart Schönbeck
Stimme von weit her: Ingrid Lang

Komposition, musikalische Betreuung:  Florin Gorgos
Ausstattung: Paula Knoller
Dramaturgie: Nicole Tsalikoglou
Lichtdesign: Lukas Kaltenbäck
Regieassistenz: Alduin Gazquez, Gioia Morgan, Cornelia Schultz
Regiehospitanz: Charlotte Molitor
Produktionsleitung: Manami Okazaki

Aufführungsrechte: Rowohlt Theater Verlag Hamburg

Wann & wo?

1., 2., 20., 21. März 2024
16., 20. April 2024
10. und 11. Mai 2024
Theater Arche: 1060, Münzwardeingasse 2A
theaterarche -> das-lebewohl