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Szenenfoto aus "Weltuntrgang" in "Theater Arche", Wien
Szenenfoto aus "Weltuntrgang" in "Theater Arche", Wien
17.09.2023

Wen kümmert schon der Weltuntergang

Jura Soyfers satirisches Stück, ergänzt, erweitert, aktualisiert mit Tanz- und Gesangspassagen im Theater Arche  (Wien).

Der seit Jahrzehnten verselbstständigte Witz eines Gesprächs zwischen Planeten und Sternen im Weltall, wonach die Erde darüber klagt, dass sie Menschen hat und die „Kolleg:innen“ sie trösten, das gehe vorbei, stammt ursprünglich aus Jury Soyfers „Der Weltuntergang“ (aus dem Jahr 1936!).

Das Theater Arche zeigt eine schwungvolle Inszenierung mit tänzerischen und Gesangs-Passagen sowie Bezügen zur Gegenwart und Zitaten einer Reihe weiterer Autor:innen aber auch von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens derzeit in seinem Haus in Wien-Mariahilf – nach einer Aufführungsserie im oberösterreichischen Traun im Frühjahr – unter dem Titel „Prof. Guck sucht das Glück“.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Weltuntrgang“ in „Theater Arche“, Wien

Jandls „schtzngrmm“

Schon während des Publikumseinlasses spielt Ruei-Ran „Algy“ Wu – mit dem Rücken zu den Zuschauer:innen – aber einem spiegelnden Instrument auf seinem Piano klassische Hits wie Frank Sinatras „Fly me to the moon“. Und dann geht’s los mit einem (sprach-) choreografierten Art sprachlichem Babel aus Texten von Ernst Jandl, aus dem nicht zuletzt „schtzngrmm“ immer wieder besonders hervorstach eine Buchstabenkombination, die sich bei mehrmaliger Wiederholung leicht im Kopf zu… – genau, womit wir auch schon bei der alles anderen als friedfertige Menschheit sind, die das Universum aus dem Gelichgewicht zu bringen droht. Weswegen der Rat der Planeten samt Sonne beschließt, Komet Konrad loszuschicken. Durch einen Zusammenstoß, soll die Erde von ihren Plagegeistern befreit werden – so die Grundstory Soyfers Stück. Das er dann allerdings nicht so enden lässt, denn noch hat, oder will, er Hoffnung verbreiten. Berühmt auch Jura Soyfers Schilderung der Widersprüchlichkeit im „Lied von der Erde“: „Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde/ Voll Leben und voll Tod ist diese Erde“.

… dann halt auf zum Mars

Das war dem Regisseur Jakub Kavin, der gemeinsam mit Dramaturgin Jana Schuller-Frank und dem Ensemble das Stück bearbeitet hatte, zu pathetisch. Und so endet dieser „Weltuntergang“ in der Theater Arche damit, dass sich der Komet Konrad in die Erde „verguckt“ hat, wunderbar getanzt und gesungen von Manami Okazaki.

Diese Inszenierung ist überhaupt eine grandiose, liebevolle, vielfältige runde Sache mit unterschiedlichsten ineinander greifenden und übergehenden Elementen – Schauspiel, Gesang, Tanz und vor allem dem humorvollen Spirit des besonders satirisch talentierten Jura Soyfer. Der Einbau von Texten andere Autor:innen – Jandl war schon, die anderen sind in der Infobox genannt – ist ebenso organisch gelungen wie die Herstellung aktueller Bezüge mit zum Brüllen komischer Persiflagen in Form der „Geistesgrößen“ Ronald Tramp (Markus Pol) und Iron Trust (Georg Behma-Kreuzbauer), die gemeinsam mit Präsident Xe Jenpeng (Multitalent Ruei-Ran „Algy“ Wu) beschließen: Wurscht, wenn die Welt untergeht, wir hauen ab auf den Mars.

Vielsprachig

Dieser Präsident, vom Musiker gespielt, der zwischendurch auch schon in die Rolle eines fotografierenden Journalisten beim Treffen diverser Staatsoberhäupter schlüpft, tritt auch in einer wichtigen Verhandlung in Sachen drohender Weltuntergang mit Allgemeinplätzen zwischen Sicherheit und Balance auf. Dabei verwendet er seine Erstsprache Mandarin-Chinesisch. Sein Gegenüber, Präsident Amazon Nengege (Futurelove Sibanda) spricht ähnliche Floskeln und Phrasen auf IsiNdebele. Georg Beham-Kreuzbauer und Michaela Khom „übersetzen“ in (deutsche) Lautsprache, während im Hintergrund Markus Pol – theatral vergrößert und überhöht – in Österreichische Gebärdensprache übersetzt. Eine Szene großen „Kinos“ mit etlichen Anklängen an reale TV-Bilder von Politiker:innen-Treffs – übertroffen vielleicht nur noch von der oben angesprochenen über das Mars-Trip-Trio.

Übrigens bringt Okazaki schon in einer früheren Szene ihre Erstsprache japanisch ins Spiel.

Ignoranz und Krisengewinn

Alle Akteur:innen auf der Bühne kehren immer wieder von den unterschiedlichsten Rollen in ihre angestammten Himmelskörper-Figuren zurück, hinreißend vor allem Futurelove Sibanda als Venus und Manami Okazaki als Komet Konrad.

Margot Binder (u.a. Mond) tritt vor allem als die Wissenschafterin (bei Soyfer männlich) Professorin Guck auf, die verzweifelt versucht, Beamt:innen und Entscheidungsträger:innen vom drohenden Weltuntergang und vor allem von der eigenen Erfindung, diesen verhindern zu können, zu informieren, in die Gänge zu bringen. Und treffen auf Ignoranz bei den einen – symbolisiert durch die berühmten drei „äffischen“ Handhaltungen Augen, Ohren bzw. Mund zuhalten. Sowie gar Abwehr bei den anderen – denn so manche Unternehmen profitieren gut und übermäßig: Wenn die Welt bald untergeht, dann erst recht noch schnell: Kaufen, kaufen, kaufen…

Geschichte und ihre Lehren

Bitterböse ist vor fast einem Jahrhundert entstandene Stück mit gar nicht allzu vielen Aktualisierungen leider noch immer oder gar noch aktuell(er). Wie schon Ingeborg Bachmann im Roman „Malina“ (1971), der derzeit dramatisiert im Volkstheater läuft, schreibt, dass die Geschichte lehrt, aber keine Schüler hat – was allerdings Antonio Gramsci schon 50 Jahre ähnlich formulierte: „Die Illusion ist das zäheste Unkraut des Kollektivbewußtseins; die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler“, zitiert aus marxists.org -> gramsci -> italspan

Weshalb auch der sarkastische Song von K.I.Z. ft. Henning May nicht fehlen darf mit den Songtext-Zeilen: „Und wir singen im Atomschutzbunker: Hurra die Welt geht unter“.

Jura Soyfer…

… wurde 1912 in Charkiw (heute Ukraine) geboren, maturierte in Wien im Gymnasium Hagenmüllergasse, kam – mit nur 27 Jahren im Konzentrationslager der Nazis in Buchenwald ums Leben (1939). In seinen wenigen Lebensjahren schrieb er – neben Gedichten – etliche Theaterstücke, die sich sozialkritisch und satirisch mit seiner Gegenwart – und der drohenden Zukunft auseinandersetzten, darunter nicht zuletzt „Der Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein‘ Fall mehr lang“. Dieses wurde im Frühjahr 1936 uraufgeführt und nach wenigen Vorstellungen abgesetzt.

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Weltuntergang

von Jura Soyfer
In einer Bearbeitung von Jakub Kavin, Jana Schuller-Frank und dem Ensemble
Mit Zitaten von: Hugo Ball, Die Bibel, Bertolt Brecht, Jacques Brel, Skeeter Davis, Jochen Distelmeyer, Friedrich Dürrenmatt, Ernst Jandl, Abraham Gotthelf Kästner, K.I.Z., Caroline Koczan, Helmut Kohl, Georg Kreisler, Angela Merkel, Christian Morgenstern, Elon Musk, Johann Nestroy, Rainer Maria Rilke, Paul Scheerbart, Donald Trump

Regie: Jakub Kavin
Dramaturgie: Jana Schuller-Frank
Musik: Ruei-Ran „Algy“ Wu
Kostüme und Grafik: Nayeun Park
Masken: Anouk Ecker

Es spielen, singen und tanzen

Sonne: Michaela Khom
Mars: Georg Beham-Kreuzbauer
Venus: Futurelove Sibanda
Saturn: Markus Pol
Komet Konrad: Manami Okazaki
Mond: Margot Binder

Professorin Guck: Margot Binder
Telegraph:innen: Georg Beham-Kreuzbauer, Michaela Khom, Markus Pol
Journalist:innen: Manami Okazaki, Michaela Khom, Georg Beham-Kreuzbauer, Futurelove Sibanda
Politiker:innen: Georg Beham-Kreuzbauer, Michaela Khom, Manami Okazaki, Markus Pol, Futurelove Sibanda
Fotograf: Ruei-Ran „Algy“ Wu

Modefrauen: Michaela Khom, Manami Okazaki
Herr Maier, KAKO (Kometen-Abwehr-Kommando)-Kommandant: Markus Pol
Herr Meyer, Kometenkleber: Georg Beham-Kreuzbauer

Präsident Amazon Nengege (IsiNdebele): Futurelove Sibanda
Präsident Xe Jenpeng (Mandarin-Chinesisch): Ruei-Ran „Algy“ Wu
Dolmetscher:innen: Georg Beham-Kreuzbauer, Michaela Khom, Markus Pol (Österreichische Gebärdensprache)

US-Amerikanische Beamtin: Michaela Khom
Japanische Beamtin: Manami Okazaki
Deutscher Beamter: Markus Pol
Österreichischer Beamter: Georg Beham-Kreuzbauer

Weltuntergangs-Prediger: Markus Pol
Straßensänger:innen: Manami Okazaki, Futurelove Sibanda
Dieb: Georg Beham-Kreuzbauer
Papagei: Georg Beham-Kreuzbauer

Reporter:innen: Michaela Khom, Futurelove Sibanda
Iron Trust: Georg Behma-Kreuzbauer
Ronald Tramp: Markus Pol

Wann & wo?

19., 20. September 2023
11., 12., 19., 20., 21. Oktober 2023
23. November 2023 (Sondervorstellung im Rahmen des 32. Internationalen Jura-Soyfer-Symposions
Jeweils 19.30 Uhr
Theater Arche: 1060, Münzwardeingasse 2A
Telefon: 0660 474 09 28
office@theaterarche.at

Theater Arche -> Weltuntergang

Jura Soyfer Gesellschaft

Die Jura-Soyfer-Gesellschaft hat übrigens auf ihrer Homepage viele gescannte Original-Manuskripte des Autors mit seinen handschriftlichen Anmerkungen, Streichungen, Kürzungen usw., u.a. vom „Weltuntergang“.

soyfer.at -> Weltuntergang 1

Soyfer.at -> Weltuntergang2

jura-soyfer-gesellschaft